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Interview: ATROCITY
Titel: Aus verschworener Finsternis

Schon immer für eine stramme Überraschung gut, zelebrieren die schwäbischen Schmiedemeister um Hauptmann und Haarmonster Alexander Krull nun die schwarzokkult geschwängerte, rituell erscheinende Todesbeschwörung. So bietet die neue EP „Masters Of Darkness“, deren vier Songs sich mit teuflisch heißer Klangglut erheben, ebenso imposant-pompös errichteten wie rasiermesserscharf ausgeführten Epic Death Metal.

Theatralisch, Thrash-bekräftigt sowie typisch teutonisch: monumental und tonnenschwer. Schließlich hat Genreveteran Krull in seinem bekannten Mastersound Studio nichts unversucht gelassen, um ein perfekt arrangiertes, bombastisches Präzisionsspektakel zu ermöglichen.

Mit dem frischen EP-Release kultiviert das seit 1985 aktive Quartett nach Jahren stilistischer Ausflüge ins eher schöngeistig Dominierte wieder mit rauer Entschlossenheit die dicken und stabilen Death Metal-Wurzeln.

Sänger Alex kommentiert mit entschlossen-energischer Stimme:

„‚Masters Of Darkness‘ ist der dunkle und brachiale Vorbote von ‚Okkult II‘, welche im Juli 2018 erscheinen wird! Wer unser letztes Album ‚Okkult‘ oder die harte Seite von Atrocity wie ‚Hallucinations‘, ‚Todessehnsucht‘, ‚Atlantis‘, ‚Willenskraft‘ oder ‚Blut‘ mag, wird die neue EP und das kommende Album lieben. Wir haben mit Atrocity schon immer alles mit Herzblut und aus voller Leidenschaft gemacht. Diese Philosophie wird sich nie ändern, unser Motto im Metal ist und bleibt: ‚Breaking the Law!‘ Für uns als Künstler zählt einzig und alleine, die Umsetzung unserer Ideen und Konzepte und geile Songs zu schreiben. Wenn wir damit konservativ Denkende vor den Kopf stossen, umso besser! [lacht] Genau dafür, dass wir nicht angepasst und ‚everybody's darling‘ sind, sind uns die Fans bis heute sehr dankbar, und wir ihnen für ihre langjährige Unterstützung!“

Gitarrist Thorsten ‚Tosso’ Bauer bestätigt den Frontmann: „Ganz genau! Die EP ist eine fette Breitseite geworden. Düster, direkt auf die Fresse und gewürzt mit vielen Elementen die Atrocity seit jeher ausgemacht haben.“

Der ‚neue‘ Stil des wandelbaren Vierers ist totaldüster und vollkommen todesthematisch, aber auch in bemerkenswert eingängiger Weise regelrecht operettenhaft. Aber eben dennoch schonungslos dunkel. Alex nickt:

„Das trifft den Nagel so ziemlich auf den Kopf. Das Konzept der ‚Okkult‘-Trilogie ist ein Hybrid aus ungebändigter Härte und mystisch-epischer Musik. Passend zum textlichen Konzept von den Mysterien der Welt und krassesten Geschichten aus den dunkelsten Epochen der Menschheit und ihrer abgrundtiefen Bosheit. Frei nach Rainer Werner Fassbinder: ‚Der Mensch ist ein hässliches Tier.‘“

Ganze vier Jahre sind seit dem letzten Album „Okkult“ ins Land gegangen. Tosso resümiert:

„Wir haben natürlich allerlei Konzerte und Touren weltweit gespielt. Europa, Nordamerika, Asien, Russland und Lateinamerika standen auf dem Programm. Und bevor wir uns ins Studio für die finalen Aufnahmen verdrückt haben, waren wir letzten Sommer auch noch das erste Mal in Weißrussland. Die vielen Live-Shows waren auch hilfreich, um eine genaue Idee zu haben, in welche Richtung wir mit dem neuen Songmaterial gehen werden. Vom ersten ‚Okkult’-Album haben uns live Songs wie ‚March Of The Undying‘, ‚Death By Metal‘ oder ‚Pandeamonium‘ besonders gut gefallen, also Lieder, die eine gewisse Dramatik und Epik haben, aber eben auch sofort auf die zwölf gehen!“

Wie Alex hochmotiviert zu berichten weiß, war die aktuelle ‚Masters Of Darkness’-EP eine gemeinsam ausgeheckte Idee von Label und Band. Er schießt wörtlich in den Raum: „Genau richtig, jetzt damit rauszugehen!“

Tosso hierzu, mit leuchtenden Augen: „Ich finde es sehr cool, daß es recht unerwartet nun statt ‚Okkult II‘ eine EP gibt, die dazu auch noch als limitierte 7-Inch-Vinylplatte auf den Markt kommt. Das läßt mein Metal-Fanherz höher schlagen. Mir gefällt auch, daß man sich bei vier Songs auf jeden einzelnen einlassen und einhören kann. Das ist quasi gegen den Trend, Musik nur noch als Massenware zu behandeln. Diese Liebe zur Musik haben wir ja auch mit unserer Schatzsuche zum ersten ‚Okkult‘-Album dokumentiert, bei der wir einen Song quasi ‚geopfert‘ und der Welt des Internets entzogen haben, indem wir ihn an einem geheimen Ort auf einer 24 Karat Gold-CD versteckt und die Fans zur ‚Schatzsuche‘ aufgefordert haben. Dennoch ist die EP aber auch ein Einstieg und Vorgeschmack auf die ‚Okkult II‘- Dampfwalze, die schon bald im nächsten Jahr auf die Menschheit zurollen wird.“

Atrocity haben sich so einige Zeit gelassen für die ’Neue’. Was hat die Band denn am meisten aufgehalten? Alex, lachend:

„Je älter der Wein desto besser! Im Ernst, bei uns ist halt ständig was los, mir kommt es deswegen gar nicht so lange vor. Für uns war es nun aber tatsächlich an der Zeit wieder mit einem Release loszuschlagen! An den Songs haben wir natürlich schon länger gearbeitet, aber bei Atrocity verhält es sich wahrscheinlich ähnlich wie bei anderen Bands, die länger im Geschäft sind. Man muss nicht unbedingt jedes Jahr ein neues Album veröffentlichen, um am Start zu sein. Dafür wird dann jeder neuer Release gebührend gefeiert und zelebriert, weil Fans und Band gleichermassen sehnsüchtig darauf gewartet haben! Man darf wie gesagt nicht vergessen, wir haben mittlerweile mit unseren beiden Bands Atrocity und Leaves' Eyes in 50 Ländern und auf fünf Kontinenten getourt und alle wollen, das man immer wieder kommt! Das freut uns natürlich und man benötigt dafür Zeit. Manchmal ist es wirklich so, dass wir Dinge, die wir sehr gerne in Angriff nehmen würden - ob musikalische Projekte oder Touren - aus Zeitgründen gar nicht mehr machen können. Das heisst also, wenn man hier bei uns zuhause vielleicht nicht so viel wahrnimmt oder mitbekommt, kann es sein, dass wir gerade in Moskau, New York oder Sao Paulo spielen!“

Tosso ergänzt seinen Kollegen dazu: „Mit Leaves' Eyes haben wir in der Zeit auch eine neue Platte namens ‚King Of Kings‘ und die EP ‚Fires In The North‘ veröffentlicht, das nächste Album ‚Sign Of The Dragonhead‘ kommt auch schon im Januar 2018. Langweilig wird es uns also nie. Alex arbeitet zudem als Produzent mit Bands in unserem Headquarter Mastersound Studio. Wir sind niemals untätig, und freuen uns jetzt natürlich besonders mit Atrocity wieder Dampf ablassen zu können.“

Und 2017 ging es für die Band in Sachen Label wieder zurück zu Thomas Hertler, dem Inhaber von Massacre Records. Never change a winning team? Tosso: „Ja, es fühlt sich sehr gut und richtig an wieder bei Massacre zu sein und mit Thomas und Massacre zu arbeiten. Wir kennen uns seit vielen Jahren und haben von der ‚Blut’-Platte bis zur ‚Werk 80‘-Scheibe dort unter Vertrag gestanden. In gewissem Sinne schließt sich so der Kreis.“

Alex fügt an: „Massacre Records haben uns damals viele Ideen ermöglicht, sowas wie ‚Werk 80‘ zum Beispiel. Ich habe ja früher in den 90ern selbst bei Massacre Records und zusammen mit Thomas als meinen Kollegen gearbeitet, und als Soulfood Music Massacre Records kürzlich übernommen haben, war quasi mit Jochen Richert und seinem Soulfood-Team die Sache perfekt! Jochen kenne ich seit meiner Jugend und er war damals schon in meiner Zeit bei Massacre Records erfolgreicher Vertriebspartner! Die alte Schwaben Connection bläst also wieder vereint zur Attacke“, scherzt der Hüne.

Das Frontcover spricht ja neben dem EP-Titel an sich bereits im Vorfeld schon eine deutliche Sprache. Darum gebeten, einen Einblick in die neue lyrische Ausrichtung und den thematischen Hintergrund zum Titel der neuen Veröffentlichung zu geben, kommentiert der Vokalist:

„Der Titeltrack ‚Masters Of Darkness‘ umschreibt den Wahnsinn und den Okkultismus im Dritten Reich: Menschenverachtende Ideologien, eine absurde Weltanschauung und Deutung der Weltgeschichte vereint als ‚Schwarzer Orden‘ der ‚Religion des Blutes‘ und dem Schwur auf die ‚Blutfahne‘.“

Die Feststellung, dass es seine Formation seit sage und schreibe 30 Jahren gibt, zaubert Hartmeister Krull ein ebenso breites wie verschmitztes, von Freude generiertes Grinsen aufs Antlitz. „Was, so lange schon? Ich bin sprachlos.“

Tosso freut sich aufrichtig mit Alex: „Das ist schon gigantisch, prägend fürs Leben und auch mittlerweile Generationen-übergreifend. Viele von unseren Freunden und Fans der ersten Stunde kommen heute hin und wieder mit ihrem eigenen Nachwuchs zu Konzerten. Das ist schon ziemlich geil, daß es diese Band und diese Musik jenseits von den schnellen Trends, die kommen und gehen, über einen so langen Zeitraum gibt.“

Pflegen Atrocity noch Kontakte zu befreundeten Bands, mit denen sie damals gestartet sind, werden sich so einige Fans hin und wieder fragen. Alex gibt die Antwort:

„Klar, ab und zu sieht man sich oder schreibt einander in den Sozialen Medien. Manche Kollegen kommen bei uns auf den Shows vorbei, wie Mark Grewe (ex Morgoth) oder Schmier von Destruction. Oder man trifft sich auf Tour oder bei Festivals. Da freut man sich, wenn sich die Wege kreuzen. Beim Wacken Open Air stand einmal der Nightliner von In Flames genau neben unseren Nightliner, logisch haben wir dann zusammen gefeiert, und über die alten Zeiten gequatscht, als In Flames ihre erste Tour mit uns gefahren sind.“

Wie geht man bei Atrocity an neues Songmaterial heran, wenn man schon so dermaßen lange dabei ist - mit dem selben, enthusiastisch geprägten Schaffenshunger wie beispielsweise vor 25 Jahren? Alex’ Augen beginnen regelrecht zu leuchten:

„Der Spirit und die Leidenschaft sind immer noch die selben Antriebe bei mir wie anno dazumal! Das ist tatsächlich so! Gerade, wenn wir jetzt mit ‚Masters Of Darkness’ solch ein Feuerwerk abfeuern, geht einem selbst einer ab“, platzt es laut lachend aus dem Mann heraus.

Wie Tosso addiert, wollten Atrocity auf jeden Fall die Marschroute von ‚Okkult I‘ mit griffigen Riffs und Refrains und Hooks beibehalten. „Es macht einfach Spaß und Laune, wenn ein besonders brutales Riff oder ein brachialer Chorus zum ersten Mal aus den Boxen dröhnt. Diesbezüglich sind wir auch selbst immer noch Metal-Fans mit Spaß und Enthusiasmus für die Musik.“

Gibt es nach Ansicht von Tosso aktuell etwas erwähnenswertes Neues geboten, was eventuell zuvor so nicht bei Atrocity zu hören war? Der lässt wissen: „Wir hatten in der Vergangenheit sehr viele musikalische Entdeckungsreisen unternommen. Alben wie ‚Blut‘, ‚Die Liebe‘, ‚Werk 80‘ hätten sonst nie entstehen können. Bei ‚Masters Of Darkness‘ sind wir bei unserer Kernkompetenz ‚düsterer, extremer Metal‘ geblieben und bringen dies so geballt und brachial wie möglich auf den Punkt und haben natürlich immer wieder frische, neue Ideen dazu!“

Alex fügt an: „Wir schreiben die Songs eigentlich immer von Scratch und arbeiten sie aus. Manchmal eben über einen längeren Zeitraum, wir arbeiten also immer parallel mit mehreren Songs bis wir final damit am Start sind.“

Laut Tosso sind er und Alex sicherlich das Kernteam bei Atrocity.

„Wir haben den Löwenanteil der Songs, Aufnahmen und Produktion gestemmt. Dennoch hat auch Pete ein paar Ideen zum Album beigetragen, beispielsweise bei ‚Menschenschlachthaus‘. Unser Drummer Joris ist eh und je ein Extreme-Metal-Freak und unglaublich versierter Drummer, das heißt, auch er konnte sich am Schlagzeug wieder so richtig austoben. Bei jeder neuen Albumphase haben wir erstmal Bock neue Musik zu schreiben, anstatt jetzt irgendwelche Restware zu verwerten. So verhält es sich auch bei ‚Masters Of Darkness‘. Wir haben diese vier Songs ausgewählt weil sie einfach stimmig ausdrücken für was Atrocity im Jahr 2017 stehen.“

Alex kommt es letztlich bei der aktuellen Musik am allermeisten auf „packende, geile Songs mit Atmosphäre und krassen Lyrics“ an, wie er sagt. Tosso haut noch raus: „Dass es richtig ballert und Spaß macht!“

Ob es nennenswerte musikalische Einflüsse gibt, die in den neuen Stücken ihre Facetten bekommen haben, lautet die nächste Frage an ihn, und Tosso informiert:

„Als Musikliebhaber bringen wir natürlich alle ganz unterschiedliche Einflüsse mit rein. Möglicherweise ist dieses Mal unsere eigene Bandgeschichte und ihre Musik Inspiration und Ansporn genug. Wir sind gewissermaßen dem Namen und der Band Atrocity verpflichtet.“

Auf spezielle Textpassagen angesprochen, die ihm auf der neuen EP ganz besonders unter die Haut gehen, erwidert Alex:

„Logischerweise packt einen als Muttersprachler vielleicht ‚Menschenschlachthaus‘ ganz besonders, denn der Text ist keine einfach zu verdauende Kost, und so soll es auch sein! Ein deutscher Lehrer hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg ein Buch verfasst, und über den maschinellen Vernichtungskrieg, der kommen werden würde, bis ins Detail berichtet. Und als die zum Teil sehr jungen Soldaten dann tatsächlich zwei Jahre später wie die Schweine zum Schlachthof angetrieben von den Phrasen der Hetzer der Obrigkeit, zu Hunderttausenden in den Schützengräben im Schlamm durch die moderne Kriegsmaschine dahingerafft wurden, begann das ganze Drama des 20. Jahrhunderts und seinen desaströsen Folgen für die Menschheit, welche sich bis heute noch auf uns auswirken.“

Alex möchte sich noch im Namen der gesamten Band für die jahrelange Unterstützung der Fans bedanken. „Wir freuen uns natürlich ganz besonders, jetzt mit der neuen EP ‚Masters Of Darkness‘ und dem neuen Album ‚Okkult II‘ im Jahr 2018 mit Atrocity wieder auf der Bühne zu stehen! Wir sehen uns!“

© Markus Eck, 17.11.2017

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