Interview: | BEFORE THE DAWN |
Titel: | Wenn die Seele entkernt wird |
Die neue und siebte Langspiel-Liederkollektion „Rise Of The Phoenix“ gelang Tuomas Saukkonen und seiner Band so sehr berührend, dass es unweigerlich ergriffenes Staunen auslöst. Seine ganz spezifische, betont stimmungsvolle und atmosphärisch geartete Melodic Death Metal-Formel behielt der talentierte finnische Sonderling voll und ganz bei, was die vielen Anhänger der beliebten skandinavischen Ausnahmeband ebenfalls sehr freuen wird.
1999 gegründet, steht die Formation damit nach so einigen schwierigen Karriere-Stationen auf dem strahlenden Zenit ihres durchdringend emotionalen Schaffens. Übermächtige Gefühlsregungen, peinigende Obsessionen und allerlei vollauf entblößende Offenbarungen aus dem tiefsten Innern rotten sich auf diesem wahrhaftig fesselnden Album zu einem wahren Sturm an Leidenschaften zusammen.
Dem Gründer, Vokalisten und Multiinstrumentalisten Saukkonen ist zudem trotz aller fatal bissigen Härte im Gesamtsound noch immer immens am ästhetischen musikalischen Erscheinungsbild gelegen.
Letzteres bringt willkommen zeitlose Noblesse mit sich, an der sich selbst die anspruchsvollsten Genre-Gourmets verzehrend berauschen können.
„Das neue Before The Dawn-Material ist insgesamt erachtet schneller, aggressiver und sogar noch ein wenig melodischer, zumindest was die Ausrichtung der Gitarren anbelangt. Alles in allem haben wir uns damit vom Dark Metal mit Gothic-Einflüssen hin zum Melodic Scandinavian Death Metal bewegt. Eine der größten Veränderungen ist daneben die komplette Abstinenz von klaren Gesangslinien. Als wir uns nämlich von Bassist Lars Eikind trennen mussten, suchten wir erst gar nicht mehr nach einem Vokalisten für die klaren Passagen“, lässt der im vergangenen Jahr mit dem Finnish Metal Award als „Bester Musiker 2011“ ausgezeichnete Finne wissen, der nach eigenen Angaben selten vor 14:00 Uhr aus dem Bett kommt.
Denn, wie Saukkonen dazu entspannt fortfährt, merkten Before The Dawn sowieso, dass das neue Songmaterial gar nicht mehr nach klaren Gesangslinien verlangte.
„Ehrlich gesagt wollte ich Before The Dawn schon seit einiger Zeit in eine aggressivere und schnellere musikalische Richtung bewegen, doch mit dem alten Line-Up war das einfach nicht entsprechend möglich. Denn schnelle Musik benötigt eben auch einen schnellen Schlagzeuger.“
Und Tuomas legt die vorangegangene Umbesetzung seiner von ihm gut gehegten Formation auf Wunsch gerne tiefer dar. Der Mann gerät dazu in eine merklich nachdenkliche Stimmungslage:
„Lars hatte diverse persönliche Probleme, was sich im Laufe der Zeit immer stärker auf Before The Dawn auszuwirken begann. Er war wenig motiviert, und er verhielt sich ziemlich unprofessionell. Dazu soff er viel zu viel. Das entwickelte sich sogar soweit, dass er vermehrt bei Gigs betrunken auf die Bühne ging. Am Ende machte er es uns als Band bei Konzerten wirklich unmöglich, dem Publikum 100 % zu geben. Sein Verhalten löste eine große Frustration innerhalb der Band aus. Wir kamen schließlich 2011 an den bestimmten Punkt, an dem gewisse große Veränderungen nötig sind. Lars entschied sich dabei, dass er uns lieber verlassen wollte. Und was unseren alten Drummer Atte Palokangas betrifft: Den hätte ich wirklich sehr gerne weiterhin bei uns gehabt, aber wie erwähnt konnte er mit meinen Wünschen nach Weiterentwicklung bedauerlicher Weise nicht Schritt halten. Bei unseren Rehearsals bekam er es nicht hin, Blast Beats und auch rasantere Double Bass-Attacken zu spielen. So entschied er sich ebenfalls dafür, Before The Dawn zu verlassen. Das ging bei den zweien innerhalb von wenigen Tagen.“
Glücklicherweise rappelte sich Meister Saukkonen seiner Natur entsprechend dann blitzschnell wieder auf und griff fix zu seinem Telefon. Ja, auf diese Weise definiert sich Schnelligkeit eben auch:
„Die beiden Neuen in der Band sind gute alte Freunde von mir, und sie sagten mir nach meiner Offerte sofort freudig zu. Um das neue Line-Up auf die Beine zu stellen, benötigte ich also genau einen Tag. Nach all den Reibereien mit den beiden Ehemaligen vollzog es sich als die reinste Freude für mich, Drummer Joonas Kauppinen und Tieftöner Pyry Hanski bei Before The Dawn herzlich willkommen zu heißen. Beide sind absolut professionell bis ins Mark. Schon bei den ersten Bandproben schienen Pyry und Joonas meine Songs besser zu kennen als ich selbst. [lacht] Endlich war der ganze Missmut vor, endlich hatte der Stress ein Ende, endlich war meine ganze diesbezügliche Frustration auf einmal wie weggeblasen. Und schlussendlich hatte auch erwähntes Limit in Sachen Drumming ein Ende!“
Beide der neuen Band-Mitglieder beglückten Tuomas also mit ihrem großem Enthusiasmus und ihrem umfangreichen Können gleichermaßen. Der Before The Dawn-Boss lobt sogar noch weiter:
„Im Studio ging das Angenehme dann weiter. So entspannt konnte ich noch niemals zuvor ein Before The Dawn-Album aufnehmen. Ich konnte mich voll und ganz auf meine eigenen Gitarren- und vereinzelte Keyboard-Passagen konzentrieren und hatte den Kopf voll und ganz frei dafür. Pyry und Joonas erwiesen sich auch hierbei als absolut umgängliche Typen, und sie hielten sogar im Studio ihre jeweiligen Verantwortungsbereiche bestens zusammen. So kam es mir nach relativ kurzer Zeit tatsächlich so vor, als würde ich mit guten alten Kumpels einfach so im Studio abhängen, ohne mich einer riesigen Aufgabe stellen zu müssen. Das erfreuliche Resultat war ein neues Album, welches von uns in weniger als zwei Wochen komplett eingespielt wurde.“
Gut im Redefluss zugange, legt der Finne anschließend gleich noch dar, wie er persönlich den eigentlichen Geist von „Rise Of The Phoenix“ einschätzt. Jetzt gerät er gar in lauteren Tonfall:
„Triumphal! Als die Line-Up-Probleme beseitigt waren, fühlte es sich wie ein Neuanfang an. Und das nach bereits sechs vorherigen Alben. Wie gesagt wollte ich den Stil der Band als Hauptsongwriter in eine neue Richtung lenken. Für ,Rise Of The Phoenix‘ gestalteten sich die Geschicke glücklicherweise wie erwähnt und ich fühlte beim Komponieren eine mächtige Freiheit in mir aufsteigen, was regelrecht beflügelnd auf meine Kreativität wirkte. Ich fühlte mich oftmals sogar so, als würde ich ein zweites Mal ein Debütalbum komponieren. Daher hatte ich sämtliche Nummern auch in nur zwei Monaten ausgearbeitet. Es war regelrecht wie ein fulminanter Schaffensrausch. Dies ist ja auch nur allzu verständlich, denke ich. Denn wenn man wie ich mehrere Jahre darauf warten muss, als Songwriter endlich so richtig nach eigenen Vorstellungen loszulegen, und dann auf einmal die Möglichkeit für den ersehnten Neuanfang aufblitzt, dann gibt es kein Halten mehr. Für mich persönlich war es immer schon sehr wichtig, bei Before The Dawn meine ureigenen spirituellen Visionen und Gefühle umzusetzen. Ich verwende von Zeit zu Zeit sogar religiöse oder politische Metaphorik in meinen Liedern, aber das Zentrum der Songs setzt sich im Kern stets aus persönlichen Belangen oder Ansichten zusammen.“
Wie dabei zu erfahren ist, verknüpfen die neuen Lyriken auf „Rise Of The Phoenix“ Siegesgefühle von vielerlei Erscheinung.
„Dominierten auf früheren Alben noch Thematiken wie aufwühlende emotionale Zustände, dunkle Umstände etc., so beschreiben die Texte diesmal das Aufsteigen daraus. So kam letztlich ja auch der Titel des neuen Albums zustande, welcher absolut sinnbildlich zu verstehen ist. Before The Dawn lagen im Dunklen, jetzt erhebt sich der Phönix daraus. Ich bin so verdammt froh, mit der Band so aktiv sein zu können. Denn hier kann ich all das ausdrücken, worüber ich nicht sprechen kann. Meine Lieder stellen meine Liebe und meine Leidenschaft dar. Ohne sie wäre mein Leben so schrecklich langweilig und leer. Wir Finnen sind bekanntlich nicht die Gesprächigsten, daher brauche ich eine Band wie diese, um mich, einem Tagebuch gleich, zu vermitteln.“
Und so schreibt Tuomas seine Songs stets primär für sich selbst, wie der stark tätowierte und nicht weniger heftig gepiercte Musikus im Dialog unumwunden bekennt.
„Ich versuche dabei nicht, künstlerische beziehungsweise musikalische Perfektion zu erlangen. Aber ich möchte meine Empfindungen und Gefühle möglichst wirklichkeitsnah und möglichst authentisch damit umsetzen. Natürlich strebe ich die höchstmögliche Qualität in den Liedern an, auch spieltechnisch und in der dazugehörigen Produktion. Doch der tiefe innere Kern meiner Musik ist sehr einfach zu erklären: Was sich für meine Ohren gut anhört, und was meine Stimmung trifft, das schafft es auch auf ein Before The Dawn-Album.“
Im Weiteren darauf angesprochen, dass sich auch seine neuen Kompositionen überwiegend so anhören, als würden wilde und schöne Winterstürme vertont, bestätigt der bekennende Langschläfer jedoch recht aufgeweckt:
„Ich mag den Winter eben am liebsten von allen vier Jahreszeiten, was an seiner nicht selten ungestümen Erscheinung und Anmut liegt. Doch ich liebe auch den gesamten Kreislauf der vier Jahreszeiten an sich, den wir hier in Finnland erleben dürfen. Jede Jahreszeit übt daher einen nennenswert großen Einfluss auf mein Schaffen aus. Wenn ich die Gitarre in die Hand nehme, dann spiele ich ohnehin sehr selten ,nur so zum Spaß‘. Es gestaltet sich bei mir viel eher so, dass ich zu Spielen beginne, wenn ich eine ganz besondere Stimmung in mir zu verspüren beginne. Unter Tags kriege ich eigentlich nichts Brauchbares zustande. Mein Kopf funktioniert einfach nicht vor 18:00. [grinst dezent] Spätabends oder nachts, das sind ,meine‘ Zeiten dazu. Immer dann kommen die weiterführenden Ideen dann wie von selbst in mir hoch. So arbeiten starke Emotionen in mir und ich arbeite das an den Saiten um beziehungsweise ganz individuell aus. Ich liebe das so. Dennoch registrierte ich über die Jahre meiner musikalischen Aktivitäten ganz eindeutig, dass es bei mir ein ganz bestimmtes schöpferisches Muster gibt. Denn am besten und effizientesten gestaltet sich mein Songwriting, wenn es draußen Herbst oder früher Winter ist. Von daher gefällt mir der Vergleich mit wilden und schönen Winterstürmen sehr.“
© Markus Eck, 08.04.2012
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