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Interview: END OF GREEN
Titel: Einzig menschlich

Ihr letztes Album „High Hopes In Low Places“ zeigte das Schaffen dieser schwäbischen Melancholikerherzen mal wieder unverändert tief gehend und vor allem selbstlos auf. Ehrensache somit für die Ernsthaftigkeits-Idealisten End Of Green, dass es auch genau so weitergeht. Seit einiger Zeit werkt die Göppinger Formation darum erneut mit Produzent Corni Bartels in dessen Münchner Weltraum Studios am neuen Album, welches „The Painstream“ betitelt wurde.

Zum dritten Mal derart in den dortigen bajuwarischen Studioräumlichkeiten vereint, bastelten die Beteiligten seit Ostern emsig aber ohne störende Hektik an elf neuen Tränendrüsen-Tracks.

„Wir kommen auch im digitalen Zeitalter nicht davon ab, schönklingende alte Amps, echte Drums und Raummikros zu benutzen. Unsere Musik ,menschelt‘ seit jeher, deshalb werden wir auch weiterhin nicht auf den ,human factor‘ verzichten“, konkretisiert Gitarrist Michael Setzer, mit der Band wohl besser bekannt als Sad Sir, die aktuelle Entstehungsgrundlage des typischen End Of Green-Sounds, gewohnt direkt und betont lässig. Der Rotbart hängt an:

„Bereits ,The Sick's Sense‘ und ,High Hopes In Low Places‘ haben wir zusammen mit Corni in München aufgenommen. Der Mann ist nicht nur ein sehr guter Produzent, sondern auch abgrundtief sympathisch und längst auch ein guter Freund von uns geworden.“

Der Griffbrettschrubber konstatiert hinsichtlich der Frage nach musikalischen Zielen beziehungsweise Interessen, die sich seit dem letzten Album in der Gruppe entwickelt haben:

„,Wie immer‘ klingt zwar doch etwas unspektakulär, trifft die Sache aber im Kern. Da wir uns weiterentwickeln bleibt das schließlich trotzdem spannend. [lacht]. Wir schreiben Lieder im ,Hier‘ und ,Jetzt‘ und wir achten darauf, uns nicht zu wiederholen. Wir sind uns durchaus bewusst, welche Lieder von uns populär oder beliebt sind. Wir schreiben aber weiterhin lieber Neue, anstatt die alten Lieder zu kopieren.“


Momentan ist noch immer keiner der Kerle dazu imstande, so Sad Sir, sein ganz persönliches Lieblingslied inmitten der Tracklist der neuen Scheibe eindeutig auszumachen.

„Wir sind schließlich noch mittendrin in den Aufnahmen. ,Death Of The Weakender‘, ,Hangman’s Joke‘ oder ,Chasing Ghosts‘ gehen mir aber schon jetzt nicht aus dem Kopf. ,Miss Misery‘ ist auch ein wunderschönes Lied. ,De(ad)generation‘ ist ein fieser Ohrwurm. Momentan bin ich aber froh, dass uns noch keiner fragt, was wir uns als Single vorstellen würden. Ich würde ja gerne von ganzem Herzen sagen: Alle elf. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich uns als Album-Band sehe. Ein Lied allein wird nie das Ganze beschreiben können.“

Die konkreten künstlerischen Ziele von End Of Green haben sich eigentlich nie großartig geändert, wie von dem Gitarristen in Erfahrung zu bringen ist.

„Uns geht es um Songs und um eine Form von Freiheit. Ich störe mich immer daran, wenn Bands erzählen, sie würden ,etwas probieren‘. Wir tun das nicht. Wir machen es einfach. Unsere Lieder sind keine Experimente, sondern ein Spiegel der Zeit, in der sie entstehen. Ich weiß, dass wir in einer schnelllebigen Zeit leben, trotzdem wollen wir eine Platte, die als ganzes Sinn macht. Ich beispielsweise nehme mir eben gerne die Zeit, Platten ganz anzuhören, um ein Bild von einer Band zu bekommen.“

Was das internationale Musik-Geschehen anbelangt, da schätzt mein Gegenüber seine Band auch nach all den Jahren herzlich lachend als „Underdogs for life“ ein.

„Eventuell auch Nomaden. Aber ich denke, meine Perspektive ist da vermutlich etwas verzerrt. Dafür steckt auch jeder von uns zu tief in der Sache drin. Irgendwo stand mal, wir würden zwischen irgendwelchen Stühlen sitzen. Das mag sein, wir haben die aber nicht aufgestellt. Und werden gerade deswegen nicht unseren Arsch aufblasen, nur um auf einen dieser Stühle zu passen. Wir genießen diese Freiheit. Für mich gab es bereits als Kind keinen Grund, nicht gleichzeitig Fields Of The Nephilim, Ramones, Kreator, The Cult oder Kiss zu mögen. Ich glaube, diese Haltung haben wir auch in unserer Band beibehalten.“

Apropos, wie wichtig ist dem Sad Sir denn eigentlich gegenwärtig das Gesamtkonzept aus Musik, Optik etc. bei End Of Green? „Unsere Optik ist uns recht egal. Die der Platten nicht. Da liegt es uns seit jeher am Herzen, dass das eine runde Angelegenheit ist. Frontcover, Artwork und Lieder – aus einem Guss. Was Konzerte oder eben unser Aussehen angeht, sind wir eine klassische Rock’n’Roll-Band: Keine Gimmicks. Wir spielen Lieder – laut, intensiv und mit Seele.“

Wir schwenken aus diesem inhaltlichen Anlass heraus zu den neuen Liedertexten über. Schmunzelnd offenbart der Saitenartist zunächst, dass „The Painstream“ grundlegend sehr schmerzlastig ist. Mehr:

„Das ist nicht einmal unbedingt auf die Weltlage zurückzuführen, die sich aus aneinandergereihten Schreckensmeldungen und Angst befüttert. Das bekommen wir auch in unserer kleinen Welt hin. [lacht] Wir setzen uns textlich mit unserer Welt auseinander, die allerdings recht oft im direkten Zusammenhang mit der Weltlage steht. Alleine wenn ich den Fernseher anschalte, verstehe ich nichts mehr: Keiner hat etwas zu beißen und trotzdem wird auf allen Kanälen gekocht.“

Lyrisch? Sad Sir weiß gar nicht, wie er mit lockerer Miene bekennt, ob End Of Green nun überhaupt sonderlich lyrisch sind.

„Ich denke, dass wir es manchmal schaffen mit einfachen Worten komplexe Dinge zu beschreiben. Und wenn ich Lyrik schätze, dann meistens wegen so etwas. Worte, die das Leben beschreiben, Bilder malen mit Worten – und sie müssen nicht einmal sonderlich komplex sein.“


So wird die mentale Welt demnächst wieder mal ein wenig düsterer und melancholischer, als sie es sowieso schon so sehr ist. Schuld daran wird „The Painstream“ sein, der neueste Tränen-Kickstarter in Albumform der Göppinger Depressive Dark Rocker um Gitarrist und Tieftonsänger Michelle Darkness.

Ohnehin gilt für End Of Green: Sehr wenige Repräsentanten aus diesem speziellen musikalischen Spektrum beschreiten ihren klanglichen Pfad mit einer dermaßen linientreuen und einer so hochgradig emotional authentischen Attitüde wie es diese ewigen schwäbischen Schwerenöter tun. Von ureigener Identität geprägt also.

Mit der Fragestellung konfrontiert, was genau die Hörer auf musikalischer Ebene auf dem neuen Werk „The Painstream“ denn nun erwartet, lässt Sechssaiten-Greifer Sad Sir ab:

„Ein bunter Strauß an ,dunkel‘. Wir waren immer schlecht darin, etwas bewusst zu tun, das wird sich vermutlich auch nie ändern lassen. Die Wucht von ,The Painstream‘ erschloss sich auch uns erst, als wir den ersten Mix hörten.“

Dazu ist „The Painstream“ teils auch sehr opulent arrangiert, so der Rotbart.

„Viele Melodien, viele Kleinigkeiten, die Zusammen ein großes Bild ergeben. Ich denke wir haben uns auch noch nie derart weit aus dem Fenster gelehnt und viele Dinge einfach gemacht, ohne darauf zu achten, ob jemand das komisch oder irre finden könnte. Wir sind uns durchaus bewusst, dass es viele verschiedene Meinungen darüber gibt, wie ein End Of Green-Album bitteschön zu klingen habe. Würden wir versuchen, dem gerecht zu werden, dann könnten wir gleich den Laden dicht machen. Es geht nicht. The Painstream ist Musik, das sind Lieder. Und das ist alles, was ich auch selbst von einer Band erwarte. Lieder. Ich brauche kein gestricktes Lebensgefühl, das zwei Wochen später schon wieder hinfällig ist. Ich will den Menschen aus den Melodien und Liedern heraus hören.“

Für „The Painstream“ nahmen hauptsächlich Frontmann Michelle und Gitarrist Kerker das Ruder in die Hand, wie in Erfahrung zu bringen ist. Sad Sir umschreibt:

„Da stehen dann Ideen im Raum und zusammen wird so lange daran gefeilt, bis es tatsächlich End Of Green-Lieder sind. Das war schon immer so bei uns. Dann wird diskutiert, gestritten, verfeinert und ab Ende zufrieden genickt.“

Und der reine Kompositionsprozess ist für den traurigen Herrn, wie er ergänzend berichtet, eigentlich gar nicht so spannend, wie der Aufnahmeprozess an sich. Der Blick des Interviewten wird jetzt geradezu visionär:

„Da werden beispielsweise von einem Moment auf den anderen Ideen in den Mülleimer geworfen, weil fast aus dem Nichts neue auftauchen. Plötzlich wird eine kleine Hintergrundmelodie zum tragenden Teil eines Lieds, oder es entstehen aus heiterem Himmel Textzeilen, die alles besser auf den Punkt treffen als die Wochen und Monate zuvor.“

Welche Einflüsse und Inspirationen für die Lyriken der neuen Kompositionen von Relevanz waren, das kann der Schwabe nicht eindeutig benennen, wie er achselzuckend bekennt.

„Ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Ich kann das nicht richtig einschätzen. Im Prinzip saugt man Musik oder Bücher eben auf. Es wird zu einem Teil von einem, danach denkt man nicht mehr großartig darüber nach.“ 


Bei den Lyrics von End Of Green geht es seit jeher um die Welt der Band, ihre Gedanken.

Sad Sir glaubt, wie er konstatiert, dass das letztlich auch der Grund ist, weshalb sich viele Menschen darin wiederfinden. Wir erfahren:

„Wir sind schließlich weder Außerirdische, noch anderweitig abgehoben. Bücher, Filme oder andere Musik zeigen uns dabei manchmal lediglich auf, wie man schwierige Gedanken, in einfache Worte fassen kann. Ich habe während wir im Studio waren zum Beispiel Hunter S. Thompson und David Foster Wallace gelesen. Das wird sich in unserer Musik oder in unseren Lyrics nur so weit niedergeschlagen haben, als dass mir beide immer wieder den Kopf, beziehungsweise Verstand öffneten. ,This Is Water‘ von David Foster Wallace zum Beispiel hat mein Leben verändert, meinen Blickwinkel erweitert. Ähnliches passiert mir aber auch, wenn ein Freund etwas sehr Schlaues sagt oder ich etwas Saudummes mache und etwas daraus lerne. Das inspiriert auf gleicher Ebene. Ich bleibe dabei: Unsere Inspiration ist das Leben.“

Das Spannendste dabei bleibt für ihn persönlich ohnehin immer, so der angenehme Göppinger Zeitgenosse, die Lieder aus dem Kopf bestmöglich ins echte Leben zu transportieren.

„Nichts soll verloren gehen, nichts auf der Strecke bleiben. Und am Ende kommt doch etwas dabei heraus, dass keiner von uns vorher hätte absehen können. Das ist Spannung für mich. Oder eine kleine Idee, die aus dem Nichts auftaucht und plötzlich ist alles anders. Kreativer Prozess, blabla, menschlicher Faktor. Es klingt nach dummem Künstlergeschwätz, ist dann am Ende schließlich aber doch irgendwie ganz genau so.“

Die neuen Tracks wurden passagenweise eingespielt:

„Beziehungsweise Instrument nach Instrument. Der Traum, eine Platte live einzuspielen und diese ,Soundcity‘-Romantik heraufzubeschwören ist für uns derzeit utopisch, weil wir keine drei Monate am Stück im Studio arbeiten können. Da unser Produzent Corni mit seinem Studio mittlerweile umgezogen ist, war es aber zumindest ein völlig neues Umfeld für uns. Eigentlich ein neues Studio, in dem eben Corni Bartels sitzt, der Mann der andere Ohren für unsere Lieder hat, als wir selbst.“

Fiel es der Band eigentlich schwer, dabei auch mal irgendwann zum Ende in München zu kommen? Sad Sir:

„Die Zeit wird natürlich immer knapp, das ist normal. Aber in gewisser Hinsicht freue ich mich über derartige Deadlines, beziehungsweise die Tatsache, dass wir ohne Deadlines nicht arbeiten könnten. Gäbe es keine, würden wir wahrscheinlich in vier Monaten unsere dritte Platte veröffentlichen. [lacht] So sehr der Moment schmerzt, zu sagen: ,So das war’s. Ab jetzt können wir nicht mehr feilen.‘, so sehr freuen wir uns darauf, weil wir sonst ewig weiterarbeiten würden.“

Der Rotbart glaubt, wer nach einem Studiotag noch Kraft hat, etwas Besonderes zu unternehmen, der macht etwas falsch.

„Ich wollte einen Abend zum Black Rebel Motorcycle Club Konzert ausbüchsen, aber ich hab’s gelassen: Weil ich keine Lust auf die Musik anderer Leute hatte und dort wahrscheinlich nur apathisch in der Ecke gestanden hätte. Im Prinzip haben wir uns Abends höchstens noch mit den Dingen beschäftigt, die am nächsten Tag anstehen. Ein bisschen runterkommen, etwas kochen, reden, ein Glas Wein – so wie Leute, die ihre Kinder Torben oder Carl-Ingwer nennen.“ [lacht]

Und worin sieht der Mann mittlerweile die ganz speziellen Stärken seiner Band auf der Bühne?

„Rock’n’Roll. Wir legen keinen gesteigerten Wert auf unser Outfit oder Posen, die etwas symbolisieren sollen, das wir gar nicht sind. Wir wollen kein Bild vermitteln, sondern durch unsere Lieder einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Und dazu gehört bei uns Leidenschaft, Lautstärke und die Tatsache, dass wir auf der Bühne alles andere ausklammern können. Gebrochene Rippe? Kein Problem, wir sehen nach dem Konzert, ob es schmerzt. Manchmal habe ich fast das Gefühl, dass wir mehrere Bands in einer sind. Zum Beispiel eine, die im Studio auf den kleinsten Ton und die kleinste Nuance achtet. Und eine die live nichts großartig anders tut als die Ramones oder Motörhead das tun würden. Raufgehen, einstöpseln, Amp auf ,11‘ und dann spielen. Scheissegal ob die Frisur sitzt.“

Im Weiteren dazu befragt, wie es sich anfühlt, das neue Werk nach all der Arbeit daran nun endlich fertig zu haben, kommt es von Gitarrist und Rotbart Sad Sir:

„,Machtlos‘ trifft es am ehesten. Neben ,neugierig‘ und ,erfreut‘. Wir freuen uns tatsächlich auf den Release-Termin, auch wenn uns immer wieder Dinge auffallen, die wir vielleicht noch gerne gemacht, versucht oder geändert hätten. Es überwiegt aber tatsächlich die Freude, die Neugierde und auch etwas Stolz.“

Und dazu haben die langlebigen Göppinger Depressive Dark Rocker auch allen berechtigten Grund.

Denn das neue Album „The Painstream“ zeigt das Schaffen der selten linientreuen Band auf dem bisher souveränsten und, äh, ja, diesmal tatsächlich auch massentauglichsten Level.

Der aktuelle Nachfolger zum 2010er Vorgänger „High Hopes In Low Places“ gleicht somit gar einem Korkenzieher, den diese Musiker einem mit Hingabe in die Gehörgänge drehen.

Rasch geht der Dialog über zur Entwicklung der zwischenmenschlichen Chemie in der schwäbischen Formation seit dem letzten Album.

„Ich denke, da sind wir die falsche Adresse, um das wirklich zu beurteilen. Ich kann mit voller Überzeugung sagen, dass ich in keiner anderen Band der Welt spielen möchte – und ich glaube, das sagt alles über das Innenleben unserer Band aus. Ich fühle mich da wohl, gerade weil wir eine gute Chemie haben. Die Art kann von Mittwoch auf Freitag völlig unterschiedlicher Natur sein, aber wir reagieren miteinander und aufeinander. [lacht] Und wenn mal einer explodiert, dann ist das auch normal. End Of Green beruht auf Freundschaft, vielleicht unterscheidet uns das von vielen anderen Bands.“

Das neue Material der Göppinger Melancholiker hört sich immens „verbunden“ an. Stärken sich die Bandmitglieder denn auch gegenseitig, falls mal einer einen Durchhänger hat, Sad Sir?

„Natürlich. Dazu sind Freunde da. Sich gegenseitig zu stärken ist da mit das Wichtigste. Auch, sich gegenseitig Last abzunehmen oder manchmal auch einfach mal gar nichts zu sagen und stattdessen für einen ruhigen und angenehmen Ort zu sorgen. Ich hoffe, dass man das in unseren Liedern tatsächlich hören kann. Vieles davon entsteht eben erst aus diesem Gefühl der Vertrautheit. Ich würde einzelne Textzeilen oder Ideen nicht mit einem Idioten oder einem Arschloch besprechen wollen.“

Gesanglich dominieren ja jetzt viel mehr die Dualgesänge als vorher noch Michelle mit seiner ultra-kernigen Aufwühler-Röhre. Ursache: „Lust“, so der Rotbart schlicht.

„Mehr nicht. Auch daran, die Melodien auf die Spitze zu treiben. ,The Painstream‘ ist allgemein sehr opulent, was die Vielschichtigkeit der Melodien und eben auch des Gesangs angeht. Ich denke den ,Wer singt am tiefsten‘-Wettbewerb haben wir bereits ganz passabel abgeschlossen“, gibt der Mann lachend vor. 


Weiter: „Wir haben auf ,The Painstream‘ in jeglicher Hinsicht alles fließen lassen ohne daran zu denken, ob wir ,das machen können‘ oder ,dürfen‘. Wir sind eine Rockband, es wäre eine Schande, wenn wir uns von Angst beeinflussen ließen. Gerade im Studio ist es wichtig, sich diesen Luxus zu gönnen. Und ich freue mich jetzt schon darauf, die neuen Stücke live zu spielen. Nicht selten entwickeln sie da nochmals ein ganz anderes Eigenleben.“

Die neuen Lieder sind diesmal sowieso überraschend catchy, teils gar „beschwingt“, vor allem, was die (berührend melancholischen) Melodie-Aufbauten angeht.

„Wir haben noch nie eine catchy Melodie von der Bettkante gestoßen. [lacht] Die Melancholie wird bei uns immer allgegenwärtig bleiben, so sind wir nunmal. Auf ,The Painstream‘ gibt’s daher auch allerlei sehr getragene Momente, auch weil es eben die Stimmung treffend widerspiegelt.“

Wir sprechen im Weiteren darüber, ob aktuell diverse Bands oder etwaige Soundtracks zu nennen sind, welche die Jungs für die neue Musik beeinflusst haben. Das Ergebnis fällt da mager aus.

„Ehrlich gesagt, keine so richtig. Sicherlich, The National habe nicht nur ich hoch und runter gehört. Aber wirklich beeinflusst hat uns das denke ich nicht. Kvelertak, Amesoeurs, Baroness, Nails, Tom Petty oder Heaven Shall Burn sind da auch eher ein kleiner Einfluss. Ich höre gerne und vor allem sehr viel Musik und manchmal klingt etwas später einfach ,richtig‘ für mich. Ich habe aber das Gefühl, dass das die Summe aus meinen Hörgewohnheiten ist.“

Wir alle leben in emotional sehr düsteren und oftmals doch arg befremdlichen Zeiten. Es scheint, als ob die Menschheit immer extremer wird, und das in vielerlei Richtungen.

Ist Sad Sir dahingehend eigentlich der Ansicht, dass somit gesteigerter Bedarf an Musik wie der von End Of Green besteht?

„Keine Ahnung, ehrlich. Die Zeiten waren wahrscheinlich noch nie ideal. Wir hatten schließlich auch in den rückblickend tollen 90er-Jahren einiges zu beanstanden [lacht]. Ich denke trotzdem nicht, dass wir Reklame für ein bestimmtes Lebensgefühl laufen. Ich sehe uns da eher als geerdet und trotz all des Schlamassels eben bei klarem Verstand. Wenn jemand in unseren Liedern eine Heimat, ein gutes Gefühl, Spaß oder einfach nur ein paar Minuten Ablenkung oder Linderung findet – dann ist das wohl das Schönste, was einem als Musikant passieren kann. Ich befürchte allerdings, dass der Bedarf an wirklich hohler, inhaltsleerer und sehr sehr dummer Musik auch nie größer war als jetzt. Weil Musik nun mal auch eine Form der Weltflucht ist – einfach mal nicht an all’ den Scheiß, all die Probleme, an die Krise erinnert zu werden.“

Er fügt dem nach einer kurzen Phase der Nachdenklichkeit noch mit lächelnder Miene an: „Ich hoffe, dass ,The Painstream‘ auch das Leben anderer Leute etwas bereichert. Wir haben die Lieder schließlich nicht nur für uns aufgenommen.“

Man fragt sich ob dessen, was End Of Green denn nun selbst eigentlich für Typen sind. Gibt es bei den fünf Göppingern überhaupt was zu Lachen? Sad Sir bekennt einmal mehr unumwunden:

„Manchmal lache ich nicht über Dinge, die andere witzig finden. Manchmal leider auch umgekehrt. Wenn ich darüber aber auch lachen kann, dann ist alles in Ordnung. [lacht] Ich bleibe dabei: Melancholie ist etwas Positives. Und nur wer wirklich von ganzem Herzen lachen kann, der kann es mit dem widrigen Rest des Lebens aufnehmen. Wir sind gerüstet.“

Was den End Of Green-Gig auf dem diesjährigen WGT aus der Sicht des Gitarristen anbelangt, der war „schmerzhaft“. Der Klampfer kommt abermals ins Lachen:

„Ich hatte mir kurz zuvor eine Rippe gebrochen. Ansonsten war das aber vorzüglich und auch sehr befreiend, weil wir quasi direkt aus dem Studio kamen und schon monatelang auf keiner Bühne mehr standen.“

Grundsätzlich gefällt dem Mann das WGT, wie er wissen lässt.

„Wir waren da ja schon ein paar Mal. Ich mag die Stimmung dort und auch, dass man als Band manchmal das Gefühl hat, man sei eine Nebensache. [grinst]Vor einigen Jahren spielten wir dort auf der Parkbühne und vor der Bühne standen tausende bestens gestylte Leute. Als es zu regnen anfing dachte ich: ,Das war’s. Die gehen jetzt gleich alle, ihren Style in Sicherheit bringen.‘ Nix da. Es machte ein paar hundert Mal ,plopp‘ und plötzlich spielten wir vor wippenden Regenschirmen, zwischen den Augen hervor linsten. Toll.“

Ob End Of Green die Massen überhaupt suchen, dessen ist sich der Gesprächspartner gar nicht sicher. Er zuckt mit den Schultern:

„Keine Ahnung, ich glaube wir suchen nach gar nichts. Wir schreiben Lieder und es wäre albern zu behaupten, dass wir nicht wollen, dass die so viele Leute wie möglich hören – und auch mögen. Der Knackpunkt ist, denke ich, nicht unter allen Umständen jedem gefallen zu wollen. Das geht nicht. Ich spiele ebenso gerne auf einem großen Festival, so wie ich es mag, die Leute in den ersten Reihen im Club vollzuschwitzen. Ich habe kein Problem, wenn jemand gleichzeitig uns und eine Band mag, die mir persönlich nicht gefällt. Und prinzipiell hätte ich rein gar nichts dagegen einzuwenden, wenn ,meine Bands‘ im Radio laufen würden. Ich finde es immer vermessen, anzunehmen, jemand der doofe Bands anhört, würde sich deren Liedern nicht auch hingeben. Ich bevorzuge andere Bands – meine Entscheidung. Wenn ich bei Konzerten von der Bühne schaue und sehe wie Leute mit geschlossenen Augen mitwippen und die Texte singen, geht mir das Herz auf.“

Es geht nachfolgend über zur absolvierten „20 Years Of Selfdestruction Tour“ von End Of Green und zur damit verbundenen Frage, ob sich die schwäbische Band bisweilen tatsächlich auch selbstzerstörerisch fühlt. Es wird schon wieder sehr ehrlich:

„Nicht in dem Sinne, in dem wir es vor ein paar Jahren noch waren. Zum Glück. Letztendlich sind die Jahre aber nicht spurlos an uns vorbeigezogen. Wir gehen aber oft an unsere Grenzen und sind eben öfter auf der Autobahn als beim Wellness-Wochenende. Wenn es hoch kommt, haben wir in den vergangenen Jahren fünf Shows nicht gespielt, weil wir krank oder fast tot waren. In all den anderen Fällen waren wir auf der Bühne, anstatt uns zu schonen oder irgendetwas gescheit auszukurieren. Ich befürchte, wir werden nicht so alt, wie andere Leute – und das nicht nur, weil ich zu viel rauche, zu viel Kaffee trinke und zu wenig schlafe.“

„13“, die „Neue“ von Black Sabbath, gefällt ihm wirklich gut, wie er dazu verlauten lässt.

„Da passiert nix, das ich nicht irgendwie erwartet oder zumindest gehofft hätte. Die Erwartung, dass da die ersten vier Alben in den Schatten gestellt würden, hatte eh keiner ernsthaft. Es klingt ein bisschen wie alte Kumpels wieder zu treffen und irgendwie ist alles ein bisschen wie früher. Und ich bin einfach ein Fan von Tony Iommi und seinen Riffs.“

Als es an „Monsters Of Book - Sad Sir Reads“ ging, war der Kerl nur zu gerne dabei.

„Kai Thomas Geiger, ein guter Freund von mir, hat ein phänomenales Buch namens ,Autoreverse‘ geschrieben. Es geht um Freundschaft, die frühen 80er-Jahre und um Metal. Mir wurde die Ehre zuteil, bei der Release-Party-Lesung des Buches ein Kapitel daraus lesen zu dürfen: Über den Tod von Bon Scott.“

Was war eigentlich die bislang irrste Reaktion, die ein Sad Sir je auf seinen neonroten Kinnbart bekam? „Außer Menstruationswitzen oder Feststellung, dass ich einen roten Bart trage? [lacht] Ich kann damit umgehen, bitte aber manchmal auch um Verständnis, dass ich einfach grußlos weiterlaufe, wenn ich mit abgehangenen Sprüchen vollgequatscht werde.“

Und woran erfreut beziehungsweise worauf freut sich ein Mensch und Musikus wie er am allermeisten auf musikalischem Sektor? „Die Zeiten waren selten besser für gute Musik. Wer reich und berühmt werden will, der veröffentlicht keine Platten mehr, beziehungsweise stellt schnell fest, dass das nix wird. Nach zwei Scheiben lösen sich die Leute auf, weil’s dann doch nicht so einfach war mit dem Weltruhm. [lacht ] Wer trotzdem dabei bleibt, scheint ein Anliegen zu haben. Ich genieße auch deshalb Bands wie Kvelertak, There Will Be Fireworks, What The Blood Revealed oder The Estranged – ich habe das Gefühl, dass da mehr ist als ,Coolness‘ oder lediglich ein Karriereweg beschritten wird.“

© Markus Eck, 09.08.2013

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