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Interview: MY DYING BRIDE
Titel: Außerordentlich tiefsinnig

Als diese Briten 1992 ihr epochales Debütalbum „As the Flower Withers“ auf die Menschheit losließen, schien alles zu spät.

Solcherlei abgründig depressiven, solch suizidalen, solch monströsen, solch inhumanen und dabei auch noch in gewissem Sinne mit anmutig liedhafter Noblesse versehenen Doom Death Metal hatte man bis dahin nicht vernommen. Die vollkommen lichtlose Intensivscheibe schlug ein wie die berühmte Bombe.

Seine schreckliche Schönheit hat dieser zeitlose Genre-Meilenstein bis zur Gegenwart nicht ansatzweise eingebüßt. My Dying Bride wurden im Juni 1990 gegründet, nach einem halben Jahr des Zusammenspielens brachten die Jungs ein ziemlich erfolgreiches Demo mit dem Titel „Towards The Sinister“ unter die einschlägige Klientel.

Kurze Zeit darauf veröffentlichte das damalig hierzulande noch beinahe gänzlich unbekannte Label Listenable Records eine schicksalhafte Sieben-Inch-Vinylsingle namens „God Is Alone“.

Diese Schallplatte zog im Gegensatz zu ihren kleinen Ausmaßen rasch große Aufmerksamkeit auf sich, was die junge Band direkt in die gierig zuschnappenden Fänge des seinerzeit zu den Death Metal-Marktführern gehörenden englischen Labels Peaceville trieb.

„As the Flower Withers“ trat infolgedessen seinen weltweiten Siegeszug an.

Den schon auf diesem Debüt zu registrierenden Gothic-Touch bauten die offenbar manisch melancholischen Trauermänner um Gründungsmitglied und Gruftbarde Aaron Stainthorpe mit den nachfolgenden Jahren und Veröffentlichungen immer weiter aus. Mit weiteren Erfolgsalben nicht geizend, festigten Aaron und seine Tränentruppe ihren Ruf bis heute, eine der originellsten, eigenständigsten und in ihrer Subkategorie sicherlich besten Bands dieses Erdballs zu sein.

Derzeit feiern My Dying Bride die Veröffentlichung ihrer neuen DVD „Sinamorata”, Aaron lässt sich daher von mir gerne zu einem ausgiebigen Dialog bewegen.

„Mit dem letzten Album `Songs Of Darkness, Words Of Light` sind wir insgesamt sehr zufrieden, sowohl, was die Songs, die Produktion als auch die Verkäufe anbelangt. Im Nachhinein durch und selbst streng betrachtet, hätten wir schon noch so einiges besser auf dieser Scheibe machen können, aber das geht ja wohl jedem Musiker so. Fest steht aber: Wir haben zu dieser Zeit jedenfalls die genau richtigen Songs in genau richtigem Sound zur genau richtigen Zeit veröffentlicht. So sind wir auch noch immer vollauf stolz darauf und wir spielen die Stücke des Albums noch immer gerne auf der Bühne. In den nächsten Wochen stehen für uns wieder mal ein paar Shows an, und so wird der Hauptteil der Setlist wieder auf `Songs Of Darkness, Words Of Light` liegen. Auch die Fans haben die CD sehr positiv aufgenommen, wie uns das zahlreiche gute Feedback der Hörer auf unserer bandeigenen Website noch immer beweist.“

Der in Halifax, 200 Kilometer nördlich von London lebende Vokalist ergänzt überraschend dialektfrei, dass er und seine Bandkollegen auch, beziehungsweise vor allem, stolz darauf sind, selbst nach den über 15 Jahren ihrer Existenz als Musikgruppe noch Freude am Spielen zu haben und den Fans interessante Musik bieten zu können:

„Denn live entfalten die Stücke von `Songs Of Darkness, Words Of Light` immer wieder ein Eigenleben, das uns trotz der Hitze auf der Bühne fast Gänsehaut bereitet. Mitzuerleben und zu hören, wie die tobende Menge Songzeile für Songzeile lauthals mitsingt, das berührt mich stets sehr tief, bis ins Mark. Manchmal scheint es mir gar, als ob unsere Anhänger die Worte der Texte besser kennen als ich in meiner Eigenschaft als Sänger selbst. Doch auch die alten My Dying Bride-Stücke werden noch immer fanatisch vom Publikum abgefeiert, was uns eins ums andere Mal bestätigt.“

Wie Aaron mir in diesem Kontext erzählt, absolvierten My Dying Bride dieses Jahr zahlreiche Konzerte und Sommer-Festivals, was die Arbeiten für das kommende Album erwartungsgemäß verzögerte. Und nicht nur solcherlei Aktivitäten sollten weiteres Ausarbeiten neuer Lieder weitgehend hemmen:

„Unser Drummer Shaun Taylor-Steels hatte eine Reihe von Unfällen zu verzeichnen, im Moment ist er daher sowieso nicht fähig zu trommeln. Er brach sich den Arm, als er mit seinem Wildwasser-Kajak durch die Fluten flitzte. Er ist ohnehin immer auf der Suche nach dem nächsten Kick, der ihm einen Adrenalinstoß versetzt. Als er sich auszubalancieren hatte und dafür mit der Hand blitzschnell durchs Wasser fuhr, schlug er aus Versehen auf einen unter Wasser liegenden Felsen auf und dabei krachten dann wohl die Unterarmknochen, wie man so schön sagt. Kaum war dieser Bruch nach einiger Zeit verheilt, stürzte er irgendwelche Treppen hinunter und brach sich den Arm gleich noch mal, dieser verdammte Pechvogel. Das war eine schlimme Nachricht für uns. Im Moment machen wir also gerade so etwas wie eine kleine Misere in der Band durch. Eigentlich wollten wir dieses Jahr im November mit dem Schreiben der neuen Lieder beginnen, was sich nun aber verzögern wird.“

Nach all den Jahren im harten Geschäft extremer Musik tätig zu sein, das bedeutet für den Frontmann laut eigenem Bekennen noch immer die pure Leidenschaft:

„Nicht nur ich, wir alle in der Band verspüren noch immer große künstlerische Erregung, wenn einer von uns mit einer guten und viel versprechenden Songidee ankommt. Denn gerade gute, brauchbare und ausbaufähige Ideen für ein Lied kommen auch uns immer seltener in den Sinn, denn wir machen das Ganze ja nun schon so viele Jahre und so vieles ist von uns bereits kreiert worden. Nicht selten sitzen wir aus diesem Grund Tage und Wochen jeder für sich zuhause herum, vollkommen in uns gekehrt, und überlegen und überlegen – wenn Glück im Spiel ist, kommen eine oder mehrere gute Songideen zustande. Das ist nicht zuletzt auch deshalb so, weil unsere Musik ja so immens tiefgründig ist, von daher können wir keine Tralala-Liedchen schreiben. Wir sind uns und unseren Fans schließlich etwas schuldig.“

Denn eine Komposition von My Dying Bride muss schon etwas außerordentlich Tiefsinniges sein, wie Mr. Stainthorpe verkündet:

„Vor allem auch auf textlicher Ebene. Wenn einem von uns mal wieder ein gewünschter Einfall ins Oberstübchen schießt, mutet das zumindest für mich als Cheflyriker der Band immer wie ein Fest an, ich fühle mich dann geradezu fantastisch und ruhe nicht eher, als bis ich alles zu meiner vollsten Zufriedenheit vollendet habe. Es hört sich vielleicht ein wenig kitschig an, aber meine besten kreativen Momente habe ich ausnahmslos tief in der Nacht, bei einem oder mehreren Gläsern Wein. Wenn ich dadurch in der `richtigen` Stimmungslage bin, ja, dann fallen mir die ergiebigsten Dinge ein. Ich kann beim besten Willen keine passende Lyrik für My Dying Bride-Tracks zustande bringen, wenn draußen die pralle Sonne scheint und ich die Leute gut gelaunt auf den Straßen herumlaufen sehe. Aber auch all die lärmenden Autos am Tage, ihr Gehupe, die allgemeine Hektik der umtriebigen Menschen, schrill läutende Telefone, Handys und Ähnliches, all das lenkt mich viel zu sehr davon ab, tiefgründige Zeilen niederzuschreiben. Daher bin ich froh, des Nachts dafür Zeit zu haben. Wie gesagt, entsprechende Ruhe und ein guter Wein, ergänzt mit einigen leuchtenden Kerzen, dann können sich meine Gedanken und Passionen bestens entfalten. Leidenschaft ist schon etwas Wunderbares.“

Für das Songwriting an sich bei My Dying Bride sind die beiden Gitarristen Andrew Craighan und Hamish Glencross zuständig, so Aaron.

„So wie ich sämtliche Lyrics schreibe, arbeiten die beiden die Songs komplett aus, ein jeder den anderen entsprechend am richtigen Punkt ergänzend. Zusammen sind wir nach wie vor ein gut harmonierendes Team von sehr produktiver Güte.“

„Sinamorata”, die neue DVD, ist mittlerweile die zweite der Band, wie Aaron resümiert.

„Zeit wurde es. Denn `For Darkest Eyes`, unsere allererste DVD, die vor circa drei Jahren erschien, beinhaltete neben diversen alten Promo-Videos zum Teil das Remake eines alten VHS-Videos, welches eine Live-Show zeigte, die wir irgendwann 1996 in Polen gespielt haben. Wir waren mit dieser Veröffentlichung nicht besonders glücklich, muss ich zugeben. Da ist `Sinamorata` schon von ganz anderem Kaliber: Wir nahmen dafür hauptsächlich eine gut besuchte Live-Show auf, welche wir 2003 im belgischen Antwerpen spielten.“

2003? „Ja, 2003. `Sinamorata` erscheint leider mit einiger Verzögerung, die von unserer Seite aus bestimmt nicht eingeplant war. Als wir die Konzertaufnahmen damals im Kasten hatten, gingen wir davon aus, dass die DVD schon ein halbes Jahr später auf den Markt kommen wird. Die genauen Ursachen für diese Verzögerung kenne ich nicht, doch unser eineinhalbstündiger Auftritt bei dieser Show hat dadurch natürlich nichts an Reiz verloren. Wir spielten altes als auch neues Material, und es ging dabei ganz schön zu, so herrscht manches Mal eine ziemlich turbulente Szenerie vor. Einige Bühnenmomente wurden direkt aus dem tobenden Publikum heraus gefilmt, sodass der Zuschauer letztendlich die beinahe komplett authentische Live-Atmosphäre eines Konzerts von uns direkt vermittelt bekommt. Daneben wurden auch noch einige Musikvideos auf `Sinamorata` verewigt; darunter sogar solche, die von unseren Fans für uns gemacht wurden.“

© Markus Eck, 15.10.2005

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