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Interview: NEON DREAM
Titel: Den 80ern zugetan

„Anodyne“, dem stimmigen Debütalbum dieses aus Münster stammenden Quintetts, entströmt schwermelancholischer und die Seele sanft berührender Gothic Rock dunkelmelodischer Prägung. Besinnlicher Dämmerungssound, welcher mit dezent dosierten Schwermetallanleihen für anhaltend schwelgerische Düsterstimmung sorgt. Mit Gitarrist Randy Meinhard befindet sich auch ein alter Death Metal-Hase in den Reihen von Neon Dream – Todesbleifanatiker älterer Tage kennen ihn vielleicht noch von Pestilence und Sancrosanct, evtl. aber auch von Submission her. Die ebenso wohlklingende wie aussagekräftige, aber auch beschwörende und sehr wandelbare Grabesstimme von Vokalist und Tieftöner Klaus Möllers ergänzt die Songs von „Anodyne“ in Perfektion. Ihr Auftritt, Mr. Möllers!

„Anodyne“ scheint gut bei den Anhängern solchen Liedguts anzukommen, wie ich erfuhr:

„Es wäre dürftig, nicht zuzugeben, dass es auch kritische Anmerkungen gegeben hat. Letztlich fielen aber so gut wie alle Bewertungen sehr positiv aus. Die meisten haben erkannt, dass wir einen starken Ausdruck in den Songs haben. Sowie mit Sandra und mir gesanglich zwei spannende Gegenparts, die sich im Grunde auch wieder ergänzen. Und dass zum Beispiel die Gitarrenarbeit, vor allem durch Randy, enorm ist: Hart, kraftvoll, dabei mit viel Gefühl und geschmeidig. Kritisiert wurde eher, dass wir eine Nähe zu der Musik der 80er haben. Aber das beeindruckt uns nicht. Wir wollen ja gerade diese Musik, weil sie uns gefällt. Es wäre doch albern, immer auf irgendwelche Trends aufzuspringen. Das ist doch wie mit der Mode: Ganz nett, aber keiner braucht sie“, lacht der singende Bassist.

Er knüpft an: „Ich mag durchaus einige elektronische und, ja, auch EBM-Bands, wie etwa Front 242. Ich glaube aber auch nicht, dass das Publikum mittlerweile nahezu ausschließlich auf synthetische Sounds abfährt. Das auch angesichts der Tatsache, dass viele dieser Gruppen von Musik wenig Ahnung haben, sondern eher rausbekommen haben, wie man Maschinen bedient.“

Wie schon von ihm erwähnt, liegen die 1980er-Jahre für Neon Dream als Einflussquelle gar nicht so weit entfernt. Klaus offenbart hierzu: „Und sicher hat jeder bei uns seine eigenen Einflüsse. Randy und Chris etwa eher aus dem Metal- und Hardrock-Bereich, Ole und ich hingegen viel mehr aus dem gitarren-orientierten Gothic. Wobei hier Bands wie Dead Can Dance, London After Midnight, die Dreadful Shadows und auf der anderen seite auch Diary Of Dreams zu nennen wären. Übrigens, zum Vergleich mit den Sisters Of Mercy, der leidlich immer wieder aufkommt und letztlich sogar mehr Lob als Tadel für uns ist: Die stimmliche Ähnlichkeit zwischen mir und Mister E. ist da. Es war aber nie beabsichtigt, dass wir konzeptionell so klingen wie Sisters Of Mercy. Wenn Ähnlichkeiten da sind: Bitteschön. Kein Problem.“

Neon Dream wollen laut Klaus zweifellos das „schwarze“ Publikum ansprechen; wie sie laut seiner Aussage nicht zuletzt bei den Release-Parties bemerkt haben, ist ihre Musik sehr clubtauglich: „`Overscreening` und `Whining Sounds` etwa sind ja auch Songs, die Biss und einprägsame Melodien haben. Gleichzeitig haben wir mit `Red Light Anodyne` und `Viable` zwei Stücke, die rund acht Minuten lang sind. Die haben sich so entwickelt und während sie entstanden, haben wir gemerkt, dass sie wie Geschichten sind, die so sein müssen. Die konnten und wollten wir gar nicht kürzen. Warum auch? Man kann sie wunderbar auf sich wirken lassen, wobei `Red Light Anodyne` auch noch sehr rockig ist und durch viele Elemente nicht überfrachtet, sondern vielfältig rüber kommt“, erklärt er und freut sich mit seiner Band, dass mit dem Label Équinoxe Records und dessen Veröffentlichung der neuen CD alles so wunderbar geklappt hat:

„Immerhin ist es unser Debütalbum und wir waren ja auch nicht untätig, damit wir mehr Gehör finden. Der Kontakt zu Équinoxe bestand schon eine ganze Weile. Letztlich sollten die Songs so klingen wie wir wollten, und dafür haben wir uns auch Zeit genommen. Ich denke, das Resultat kann sich hören und sehen lassen! Wir sind gespannt, wie sich alles weiter entwickeln wird. Auch angesichts dessen, dass wir mit Endless Booking nun eine Agentur gefunden haben und im Herbst und Winter 2003 sicher einiges live möglich sein dürfte“, klärt mich Klaus betreffend meiner Frage über die derzeitige Stimmung in seiner Truppe auf.

Vor etwa zwei Jahren, also so ungefähr im zweiten Halbjahr 2001, vollzog sich ein Besetzungswechsel in Neon Dream, wie er sich nun erinnert:

„Ich habe viele Stücke mitgebracht, natürlich sind in den zwei Jahren aber auch neue entstanden. Wir haben das Beste - quasi `the best of both worlds` - ausgewählt. Mit den älteren Stücken, die noch eher wave-lastiger waren, kann man sagen, ist das Fundament dafür gelegt worden, dass wir so weit vorangekommen sind. Allerdings haben viele Songs, die derzeit zu unserem Set gehören und teilweise auch auf `Anodyne` zu finden sind, erst in der neuen Besetzung den wuchtigen Schliff bekommen, den sie heute haben. Dabei ist beispielsweise aber auch zu bedenken, dass wir früher mit einem Drum-Computer gearbeitet haben und heute mit Sebastian ein Leibhaftiger bei uns für die Beats zuständig ist.“

Während des mehrmaligen Hörens von „Anodyne“ entwickelte sich so manche Düstervision im meinem mentalen Imaginationszentrum. Welche fiktiven Gedankengänge wünscht sich wohl Klaus in den Geistern der Hörer?

„Vielleicht mag derjenige, der sich etwas mehr mit unserem Ausdruck und auch den Texten befasst, merken, dass da eine ganz bestimmte Sicht des Lebens existiert. Es ist der Gedanke, dass man sich fortwährend in einem Zwiespalt zwischen dem befindet, was man tagtäglich antrifft, dem `Notwendigen` und den eigenen Ideen. Vielleicht auch der Frage, warum Menschen von ihren Wünschen und Träumen sprechen [oder sie für sich behalten] und der tägliche Wahnsinn aus kalten Fassaden, Anforderungen, Neid, Vorgeschriebenem und Leid das Leben bestimmt. Realisten mögen sagen, dass das Ergebnis einer Ungleichheit von Interessen und Zielen entspricht. Ich denke aber, dass man inmitten dieser verzerrten Wirklichkeit so realistisch sein sollte, offen auszusprechen, dass jene mit Macht, Zaster, Einfluss und eben die Meinungsverwalter uns eine Wirklichkeit vorschreiben, in die man sich notgedrungen einfügt. Jene, die sie nicht mehr hinterfragen, haben entweder schon aufgegeben, sehen es nicht oder wollen es nicht wahrhaben. Neon Dream beschreibt diesen Zwiespalt und die Flucht aus dem Alltäglichen in das schrille Leben der Nacht. Neon Dream beschreibt auch eine Art Ausbruch – nicht mit Gewalt, sondern mit Fantasie, Ehrlichkeit und Zusammenhalt. Denn die kommen immer mehr abhanden.“

Der aktuelle Albumtitel klingt laut Aussage von Klaus etwas androgyn. So wie diese Wirklichkeit seiner Meinung nach mitunter unmenschliche Züge annehmen kann, die schon manchen verrückt gemacht haben: „`Anodyne` bedeutet Schmerzmittel und soll vielleicht helfen, den Schmerz zu lindern, den dieses Leben zuweilen hervorruft. Auf eine Weise ist unsere Darstellung etwas untypisch für eine harte Rockband. Aber an der Stelle kann man den Gedanken beinahe beliebig fortsetzen: Wozu ist Musik da? Wem nützt sie? Ist sie Ausdruck des eigenen Lebens und der eigenen Haltung, wie es uns etwa Leute wie Bob Dylan und Janis Joplin gezeigt haben? Oder ist sie etwas für, ja, Metaller würden sagen, `Poser`? Ich trage die Lederjacke ja nicht, weil ich mich wahnsinnig cool und als oberflächlicher Macho darstellen möchte, sondern, weil sie eine gewisse Härte, wie man mit dem Leben umgeht und gewissermaßen eine Zähigkeit, Dinge auszuhalten, an sich hat.“

Eine ehrliche und intelligente Aussage, die ich hier sehr gerne wiedergebe. Wie sich im Weiteren auftat, hoffen Neon Dream hinsichtlich des aktuellen Releases, dass sie viel Gehör finden, dass sich die CD deshalb natürlich auch gut verkauft und dass sie in absehbarer Zeit deutlich mehr live spielen können sowie gute Support-Jobs haben. Klaus hierzu: „Wir sind im Moment ohnehin recht kreativ. Es sind seit der Veröffentlichung von `Anodyne` schon wieder vier neue Songs entstanden, mit denen wir den bisherigen Weg fortsetzen, die aber auch sehr unterschiedlich und zum Teil mit wunderbaren Ideen im Spirit der 80er entwickelt sind. Wir sind gespannt, wie es weitergeht.“

Wenn es an private Musikvorlieben geht, hat jedes der Bandmitglieder von Neon Dream unterschiedliche Neigungen, wie in Erfahrung zu bringen war. „Das ist bei jedem anders. Und darin finden sich dann auch tatsächlich nicht nur gotische oder härtere Bands, sondern auch Nightwish, Genesis, die Simple Minds, alte Rock-Sachen, Rio Reiser und bei jemandem sogar Klassik.“

Zukunftspläne? Klar: „Équinoxe Records stärken uns den Rücken und mit einem so guten Partner lässt sich einiges machen. Auch den Kontakt zu befreundeten Bands wie The House Of Usher, Access Denied und The Merry Thoughts wollen wir wieder besser pflegen. Da kann man sicher noch eine Menge zusammen machen, beispielsweise viele geile Konzerte und Abende mit ihnen und dem Publikum verbringen. Und: Wir grüßen alle, die uns kennen oder sich sonst für uns interessieren. Man sieht sich bestimmt bald wieder.“

© Markus Eck, 08.07.2003

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