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Interview: NOCTE OBDUCTA
Titel: Prosaische Morbidität

Immer für eine düstere Überraschung gut, taucht diese aus leidenschaftlichen Schwarzmetallpoeten bestehende Formation nun wieder mit einem neuen Album aus der Versenkung auf. Vom damaligen 1998er Debüt „Lethe – Gottverreckte Finsternis“ bis hin zum aktuellen Opus „Nektar – Teil I: Zwölf Monde, eine Handvoll Träume“ war es ein weiter Weg – beschritten wurde er von Nocte Obducta stets mit absoluter künstlerischer Eigenständigkeit, die sich in weiten Kreisen des Undergrounds herumsprach und große Anerkennung mit sich brachte.

Nicht zuletzt auch die mordskranke Deutschlyrik des Quintetts, in dem einige Mitglieder von Agathodaimon mitmischen, macht aus diesen Mainzer Mondsüchtigen eine querköpfige Black Metal-Horde der ganz besonderen Art. Der Albumnachfolger „Nektar – Teil II“ wird laut Gitarrist Marcel Va. Traumschänder, der auch als Sänger und Keyboarder agiert, voraussichtlich im Januar 2005 erscheinen.

„Das Material von `Nektar – Teil I: Zwölf Monde, eine Handvoll Träume` entstand zwischen 1994 und 2000. Auf dem aktuell vorliegenden ersten Teil werden in erster Linie stimmungsvolle Bilder anhand von Szenen beschrieben, die sich vermischen mit einer sehr negativen Sichtweise der gegenwärtigen Welt und dem Erträumen einer anderen Welt. Man könnte also sagen, alles ist im klassischen Nocte Obducta-Style gehalten, was daran liegt, dass es sich eben um altes Material handelt.“

Teil zwei ist dann wiederum in zwei Parts untergliedert, wie der kreischende Traumschänder zu Protokoll gibt:

„Die erste Hälfte davon beschäftigt sich rückblickend mit der Zeit, die für `Nektar – Teil I: Zwölf Monde, eine Handvoll Träume` am wichtigsten war, also von Ende 1994 bis Mitte 1995. Hier kann man sozusagen erfahren, was hinter den Gedanken und Träumen steckt, die im aktuellen Album beherrschend sind. Die zweite Hälfte von `Nektar – Teil II` schließlich sieht nach vorne, textlich im Sinne einer Bereitschaft, niemals aufzugeben und einem zumindest teilweisen Loslösen von Vergangenheiten, die die Zukunft behindern. Musikalisch bewusst nicht einzuordnen, damit niemand auf die Idee kommt, über eine Entwicklung zu orakeln.“

Sollte es eine solche Entwicklung geben, wird sie sowieso von dem sich im Interview sehr selbstbewusst äußernden Marcel ausgehen, wie dieser offenbart. „Ich habe hier das Ruder ganz klar in der Hand, und so wird es auch bleiben. Ich bin für alle Texte und praktisch die ganze Musik verantwortlich, und auch wenn ich in Zukunft den Rest der Band mehr in den Schaffensprozess einbeziehen will, ist eigentlich für alle klar, dass ich der Kopf dieser Band bin und auch bleiben werde.“

Nocte Obducta bedeutet soviel wie „Nachdem die Nacht herabgesunken war.“. Und wir erfahren dazu auch gleich noch: „Korrekt wäre unser Bandname also eigentlich nur mit den Pünktchen am Schluss, aber das muss ja in einem Schriftzug nicht wirklich sein.“

Wie mein Gegenüber weiter ausführt, sieht er sich immer weniger gerne innerhalb der Black Metal-Szene. „Wir können trotzdem behaupten, dass wir zu den Bands gehören, die recht ungeachtet der öffentlichen Meinung ihr Ding durchziehen, und zwar auf eine Art und Weise, dass man nie so recht weiß, was als nächstes kommen wird.“

Aber diese Szene, wie sie sich heutzutage darstellt, ist seiner Meinung nach nur ein einziger Witz. Er formuliert somit in aller Offenheit: „Es ist bitter, dass es hier anscheinend nur um Regeln und Dogmen geht, darum, was man tun darf und was nicht, obwohl in meinen Augen der Black Metal aufgrund seiner ehemaligen Andersartigkeit einen sehr freiheitlichen Gedanken haben sollte. Die ganz bösen Kiddies, die mittlerweile die Städte bevölkern und sich für ach so böse und elitär halten, obwohl sie allesamt so schrecklich gleich und tödlich langweilig sind, sind für mich das Gegenteil von dem, was sie zu sein glauben. Und da der Überbegriff Szene ohnehin ein nicht zu erfassendes Gedankenkonstrukt ist, das eigentlich keiner braucht, weil es im Endeffekt nur eine Kategorisierung und damit eine Einschränkung darstellt, ist der ganze Black Metal Underground- oder sonst was -Scheiß obsolet. Zumindest für Nocte Obducta, und was die anderen machen, interessiert mich nicht.“

Herdenverhalten, Gesichtslosigkeit, Eigennutz auf Kosten anderer – gesellschaftliche Kritikpunkte, die einst zur Gründung von Nocte Obducta führten:

„Die musikalischen Einflüsse waren seit jeher, also seit der Gründung der Vorgängerband Desîhra 1993, weit gestreut, auch wenn der Schwerpunkt in den härteren Musikrichtungen lag. Der Black Metal nahm dann irgendwann in Sachen musikalischer Inspiration eine klare Führungsrolle ein, die ist aber eigentlich auch nicht mehr vorhanden, denn wir hören allesamt allen möglichen Kram. Ich denke, das hört man auch, selbst wenn die aktuelle Scheibe sicher als Black/Death Metal-Output zu beschreiben ist.“

Bis auf einzelne Ausnahmen waren die Kritiken laut Marcel zu allen Nocte Obducta-Scheiben gut bis überragend. „Da kann ich mich nicht beklagen. Hinsichtlich der Verkaufszahlen lief natürlich nie etwas, das einen zum Jubeln veranlasst hätte, aber ich würde auch mal sagen, Nocte Obducta waren von Anfang an eine sehr sperrige und unbequeme Band, die nicht so leicht zu erfassen war, und so was ist im Musikmarkt halt nicht allzu gerne gesehen – schon gar nicht in einer so derart konservativen Szene wie dem Black Metal. Und auch wenn ich im Nachhinein bei jedem einzelnen Album einiges gerne anders gemacht hätte, so fühlt sich doch jedes für mich irgendwie richtig an. Auch die `Unzulänglichkeiten`, die ein Album in den Augen seines Erschaffers aufweisen mag, ist ja irgendwie auch ein Charakteristikum seiner Entstehungszeit, und somit nach ein paar Jahren sehr reizvoll.“

Insgesamt sind die Mainzer Musiker sehr zufrieden mit dem, was sie aktuell abgeliefert haben. „Sicher hätte man auch hier wieder einiges anders machen können. Aber man muss wissen: Besser geht immer, anders sowieso und Kompromisse geht man von dem Moment an ein, in dem man versucht, etwas so abstraktes wie ein Gefühl via Musik auf einen Tonträger zu bannen. Und wenn man sich dann stilistisch auf einem recht großen Terrain bewegt, dann mag es halt sein, dass man hier und da sagt: `Dieser Part hätte sich aber mit einem anderen Sound besser angehört`.“

Die Verbundenheit zum Dunklen in seiner negativen Ausprägung ist bei der Band mittlerweile weitaus weniger stark als zu Zeiten der Gründung von Nocte Obducta. „Das liegt daran, weil es mir mittlerweile eigentlich recht gut geht und ich glücklicher als früher bin. Der Reiz des Dunklen als eine Reise in das Verborgene, in das Gestern, in die eigene Vergangenheit, die eigenen Träume und Wünsche, die man verspürt oder lange zu greifen versucht hat, ist aber ungebrochen und bei Nocte Obducta absolut bestimmend, was die künstlerische Äußerung angeht. Es ist ein Weg, sich auf Pfaden zu bewegen, die ganz anders sind als der Alltag, und hätte ich nicht die Musik oder die Texte, um das alles zu kanalisieren, dann würde ich wohl platzen oder wie früher mehr malen und zeichnen. Musik und Lyrik, aber auch Prosa, sind aber für mich die perfekte Verbindung, um sich ganz einfach gleichzeitig fallen zu lassen und auszudrücken.“

Ein Lied muss für Marcel sowieso in erster Linie exakt das ausdrücken, was er fühlt, wenn er sich mit dem Thema beschäftigt, das behandelt wird.

„Doch das lässt sich nicht wirklich in Richtlinien festhalten. Ich habe auch oft genug das Problem, dass ich beim Spielen eines im Entstehen begriffenen Riffs etwas daran nicht leiden kann, weil es unpassend klingt, obwohl es mir als Riff an sich sehr gut gefällt.“

Was den Albumtitel „Nektar – Teil I: Zwölf Monde, eine Handvoll Träume“ betrifft, suchte Marcel als Kopf von Nocte Obducta speziell nach einem Wort, das auf beide Alben passt.

„Es durfte also nicht zu speziell sein. `Blut` gab es leider schon. Nektar, das Getränk der Götter schien mir auf der Grundlage der Texte dem am nächsten, zumal es auf dem zweiten Teil dann auch ein Lied mit diesem Titel geben wird.“

Der Titel lässt einen großen Interpretationsspielraum zu, und das ist, wie zu erfahren ist, bei einem Zweiteiler auch angebracht: „Der Untertitel `Zwölf Monde, eine Hand voll Träume` beschreibt sozusagen den Inhalt des ersten Teiles: Ein Jahr, fünf Lieder. Es handelt sich um die vier Jahreszeiten und jede Jahreszeit wird durch ein bestimmtes Szenario, eine bestimmte Geschichte beschrieben, ohne dass aber die einzelnen Texte direkten Bezug zueinander haben, was ihre Handlung angeht.“

Inspirationen für die Texte seiner Songs erlangt er aus seinen Wünschen und Träumen. „Aber auch aus dem, was ich täglich sehe und erlebe, sowie aus dem, was ich erlebt und gedacht habe. Im Endeffekt sind es die gleichen Einflüsse wie bei jedem anderen vernünftigen Texter auch – und damit meine ich jeden, der wirklich das schreibt, was er schreiben will, weil es ihn berührt, nur eben aus meiner ganz speziellen Sichtweise heraus.“

Live gibt es bei Nocte Obducta nur Pure Fucking Metal und Rock´n´Roll mit verpeilten Ansagen. „Ich würde gerne mehr Effekte etc. einbauen, aber dazu braucht man eigene Mischer, eigene Beleuchter und so weiter, damit es nicht peinlich wirkt. Aber für so was fehlt uns leider Zeit und Geld. Das stört mich nicht allzu sehr, denn wenn ich meine Gitarre in der Hand habe, dann will ich den Kram einfach nur spielen. Aber wir gehören nicht zu den Bands, die ihre alten Alben vernachlässigen, auch wenn wir in Zukunft eventuell die Leider bisweilen anders spielen werden als auf den Alben selbst. Das liegt aber vor allem an den Überlängen, da muss man live eben ein paar Änderungen vornehmen, wenn man einen ausgewogenen Querschnitt bieten will. Ich persönlich würde das Kotzen kriegen, wenn ich nicht mindestens ein Lied von `Lethe – Gottverreckte Finsternis` spielen könnte.“

Über die „Nektar“-Alben hinaus arbeiten Nocte Obducta an einem Konzeptalbum, für dessen Aufnahmen sie laut Marcel Anfang 2006 ins Studio gehen werden.

„Da die Veröffentlichung von `Nektar – Teil II` ja noch aussteht, können wir uns eine längere Studioabstinenz also locker leisten. Das Material wird dem einen oder anderen sicher ein wenig bitter aufstoßen, denn man hört vermutlich stärker als je zuvor, dass ich Darkthrone genauso gerne höre wie Pink Floyd oder Progressive Rock. Jedenfalls wird die stilistische Bandbreite wesentlich weiter sein, beziehungsweise, man wird es wesentlich stärker hören. Das Material befindet sich noch im Schaffungsprozess, aber ich empfinde die Arbeiten daran und das Proben schon jetzt wesentlich intensiver als die letzten Jahre. Ich habe das Gefühl, das Zeug wird sehr, sehr eindringlich und energiegeladen, gerade weil sehr viel stilfremde Elemente tragende Rollen bekommen, so dass vielleicht in Zukunft ein gänzlich unmetallischer Part viel stärker drücken wird, ganz einfach deswegen, weil wir uns mittlerweile auf diesen Ebenen wesentlich effektiver bewegen können. Wenn dieses Ding im Studio angemessen umgesetzt wird, dann geht für mich ein Traum in Erfüllung, und ich gehe davon aus, dass Vagelis genau der Mann ist, der diese Produktion verstehen und deshalb wieder erstklassig meistern wird.“

© Markus Eck, 16.08.2004

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