Top
Special: Till Lindemann
Titel: Enttabuisierende Poesien

Als dieser weltberühmte Herr am vierten Januar 1963 in einem Leipziger Krankenhaus den Leib seiner Mutter verließ, war die Welt in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik noch weitgehend unberührt von gegenwärtiger Dekadenz beziehungsweise westlichen Errungenschaften.

So konnte der heute als Sänger der Neuen Deutschen Härte-Superstars Rammstein weltbekannte Exzentriker seine Kindheit im Dörfchen Wendisch-Rambow bei Bad Kleinen verbringen, im heutigen Mecklenburg-Vorpommern. Seine sechs Jahre jüngere Schwester machte dem passionierten Liebhaber altdeutscher Dichtkunst das kindliche und pubertäre Leben erträglicher, nachdem Lindemann sich ab relativ jungem Alter mehr und mehr zum Außenseiter entwickelte.

Letzteres lag neben einem sehr eigensinnigen Naturell nicht zuletzt auch an der für ihn teilweise unerträglichen Erziehungsstrenge seines Vaters, von welchem der Junge nicht selten körperlich hart gezüchtigt wurde. Vater Lindemann, ein in der damaligen DDR überaus populärer Kinderbuchautor (!), segnete das Zeitliche 1993. Seit der Beerdigung besuchte der Sohn niemals mehr das Grab, was Bände spricht.

1975 erlebte der stimm- wort- und poesiegewaltige Gesangsmann die Ehescheidung seiner Eltern, was für den Zwölfjährigen hinsichtlich seines Vaters respektive dessen Peinigungen einer regelrechten Erlösung gleichkam.

Auch Mutter Lindemann schien nicht sonderlich darunter gelitten zu haben.

Denn sie ehelichte alsbald erneut: Einen amerikanischen Nachfolger.

Somit zu neuer mentaler Stärke befähigt, bewies sich Till nachfolgend in der Disziplin Leistungsschwimmen und legte darin herausragende Leistungen vor.

Er brachte es darin zum Vize-Jugendeuropameister im Schwimmen über 1.500 Meter und wurde 1980 sogar für die Olympischen Spiele in Moskau nominiert.

Die Teilnahme daran wurde ihm jedoch vom zuständigen Komitee verwehrt, da er sich während der Schwimm-Europameisterschaft im Langstreckenschwimmen in Rom unerlaubt aus dem dortigen Hotel geschlichen und in dieser Nacht eine handfeste Rauferei hatte.

Im Nachhinein sprachen diverse Quellen davon, dass der leidenschaftliche Theatraliker nur aufgrund einer daraus resultierenden Verletzung nicht mitmachen konnte. Wie auch immer, dies war jedenfalls eine gigantische Schlappe für Till, die ihn tief traf und unter der er schwer zu leiden hatte.

Sein Stiefvater besorgte ihm daraufhin eine Beschäftigung als Bautischler und Korbmacher, die er jedoch alsbald wieder an den Nagel hängte. Allzu eigenwillig, idealistisch und vor allem antiautoritär gebärdete sich Lindemann schon zu dieser Zeit, was ihm bis heute immer wieder massive Probleme mit allzu bestimmenden Zeitgenossen einbrachte. Sein „erstes Mal“ absolvierte der wuchtige Frontmann mit 16, eine feste Freundin hatte Till jedoch erst zwei Jahre später, also Anfang der 80er.

Als er die väterlich bedingten Traumata seiner Jugend überwunden hatte, ging er einige Jahre später mit Anja Köseling den Bund fürs Leben ein.

Aus der Ehe gingen die zwei Töchter Lene und Marie-Louise hervor. In dieser Zeit starteten im Hause Lindemann erste musikalische Aktivitäten.

Till besetzte im Weiteren den Schlagzeugschemel bei der DDR-Punk-Band First Arsch.

Nicht allzu lange Zeit später trennte er sich von seiner Frau. Nach der Trennung erzog er seine beiden Töchter sieben Jahre lang erfolgreich im Alleingang.

Lange Zeit hielt indes auch die Kooperation mit First Arsch nicht. Denn in den frühen Neunziger Jahren wechselte Till auf Einladung von Bandleader und Zonenflüchtling Richard Zven Kruspe in Berlin als Vokalist zur Gruppe Rammstein, welche Anfangs noch als reines Bandprojekt angedacht war – zunächst noch mithilfe von Bassist Oliver Riedel und Drummer Christoph Schneider.

Kurze Zeit später traten noch Gitarrist Paul Landers und Stromorgelspieler Christian „Flake“ Lorenz hinzu. Lindemann verfasste mit Leidenschaft erste (zunächst englische, dann ausschließlich deutsche) Liedertexte, der Stil der angehenden Rockband orientierte sich an US-Vorbildern.

Bis in die Gegenwart bezieht Lindemann die Ideen zu seinen Lyriken noch immer stets aus Alpträumen, wie immer wieder zu lesen ist. 1994 sollte der Zeitpunkt der Gründung von Rammstein dann endgültig gekommen sein.

Der Gruppenname stammt von Paul Landers, Christoph Schneider und Flake:

Am 28. August 1988 führte die italienische Kunstflugstaffel Frecce Tricolori auf der rheinland-pfälzischen Ramstein Air Base eine Flugschau vor, bei welcher es zu einem tragischen Fugzeugabsturz kam, welcher 70 Menschen das Leben kostete.

Kurz nach Bandgründung traten Lindemann & Co als „Rammstein-Flugschau“ auf, was mit steigendem Bekanntheitsgrad schlicht in Rammstein geändert wurde.

Die Band selbst distanzierte sich jedoch jahrelang von einem direkten beziehungsweise indirekten Bezug des Bandnamens zu diesem verheerenden Unglück.

Dadurch brachte sie sich jedoch in aller Munde, was nicht wenig zum gigantischen Erfolg beitragen sollte.

Das 1995er Debütalbum „Herzeleid“ schließlich markierte den Anfang einer beispiellosen Weltkarriere, infolge dieser die Band sich ihre ganz eigene musikalische Nische schuf, Neue Deutsche Härte genannt.

Zudem eine hervorragende Möglichkeit für Lindemann, seine umfangreichen Fähigkeiten als einzigartiger Texter zu demonstrieren, dessen lyrische Geschicke vor allem ein ausgesprochenes Faible für explizite Tabuthemen nährt.

Seit 1991 schreibt Lindemann mannigfaltige Gedichte. Eine Vielzahl davon machte er Gert Hof zugänglich, welcher die Bühnenshows für Rammstein inszeniert. Hof wählte aus circa 1.000 Gedichten die seiner Ansicht nach besten aus, welche 2002 gemeinsam im Buch „Messer“ veröffentlicht wurden.

Im Privatleben gilt die stark polarisierende Person Till Lindemann als ein äußerst ruhig erscheinender Mensch. Eine bestätigende Anekdote ist mit der Tatsache überliefert, dass der Sänger bei der allerersten Studioaufnahme von Rammstein seine Bandkollegen aus dem Raum schickte, weil es ihm peinlich war, dass diese ihn dort beim Einsingen zuhören konnten.

Der in allen künstlerischen Belangen Ausdrucksstarke besitzt seit 1996 gar eine Befähigung nach Paragraph 20 des Sprengstoffgesetzes, da er umfangreich Pyrotechnik bei Rammstein-Live-Spektakeln einsetzt.

Ein Erlaubnisinhaber nach Paragraph Sieben dieses Gesetzes trägt auf den Konzerten der Band jedoch die Verantwortung für Planung, Logistik und Einsatz der Pyrotechnik-Effekte.

Auch als Schauspieler trat der talentierte Gedichtschreiber in Erscheinung.

So wirkte er in den Streifen „Pola X“ (1999), „xXx – Triple X“ (2002) sowie 2003 in „Amundsen der Pinguin“ ein Jahr später in „Vinzent“ mit.

Auch heute noch gibt der stämmige und mit Muskeln bepackte 1,92 Meter große Hüne nur sehr ungern Interviews, in welchen er sich nur mit Bedacht äußert. Charakterlich bemerkenswert wiegt dies umso mehr, da Rammstein mit ihren martialischen Stampferhymnen laut Auskunft von Billboard Charts bis heute die international erfolgreichste deutschsprachige Musikgruppe überhaupt sind. Alles in allem gingen über zwölf Millionen Tonträger über internationale Ladentische, davon mehr als die Hälfte sogar im Ausland.

Wichtigste Alben:
„Sehnsucht” (1997)
„Mutter” (2001)
„Reise Reise” (2004)

Bekannteste Songs:
„Engel“ (1997)
„Sonne“ (2001)
„Links 2-3-4“ (2001)
„Mutter“ (2002)
„Mein Teil“ (2004)
„Amerika“ (2004)
„Benzin“ (2005)

© Markus Eck, 22.06.2007

[ zur Übersicht ]

All Copyrights for band-photos, -logos, & -front-cover art reserved by its Respective Owners.

Advertising