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Interview: ATTONITUS
Titel: Von der Freude am Alten

„Minne – Metal – Mittelalter“, so lautet das musikalische Motto dieses aufstrebenden Flensburger Septetts – und seit 2005 rockten die fleißigen Attonitus (lat. „Wie vom Blitz getroffen“) ihr kerniges Material auf nicht wenigen Bühnen.

Mit dem neuen Album „Opus II – Von Lug und Trug“ in der flinken Hinterhand, schicken sie sich derzeit an, ihren Gruppennamen und ihr Liedgut nach allen Seiten zu tragen. Abwechslungsreichtum liegt dem norddeutschen Siebener dabei sehr am Herzen. Das verwendete Instrumentarium beispielsweise reicht von Dudelsack, Schalmei, Harfe, Trummscheid, diversen Flöten, Schlagzeug und reichlich sonstiger Perkussion über E- und Akustikgitarre, E-Bass und Mandoline bis hin zu Cister und Nickelharpa. Für mich gaben die inniglichen Mittelaltermarktliebhaber ihren Sänger und Dudelsackmann Vodric Kurtzweyl für kurze Zeit frei, um Kunde zu tun vom aktuellen Treiben seiner fidelen Truppe.

Hört beziehungsweise liest man als Interessierter etwas zum Kontext Mittelalter, kommt immer wieder recht schnell der negativ beladene Terminus „Heilige Inquisition“ ins Spiel. Und auch an Attonitus ist diese üble historische Begebenheit nicht spurlos vorüber gezogen.

„Nun, gerade da wir ja neben unserer Tätigkeit als Rockmusiker auch immer gern auf Mittelaltermärkten aufspielen, werden wir auch regelmäßig mit diesem Thema konfrontiert. Als Musiker setzen wir uns in der Art damit auseinander, dass wir besonders in unserem folgenden Album diese Thematik kritisch beleuchten. Schon der Titel des Albums gilt auch als Überschrift und zeigt sofort unsere Intention zur Inquisition. Inquisition heißt für uns pure Boshaftigkeit unter der Maske der Rechtschaffenheit, mit anderen Worten absolute Perversion. Trotzdem ist es auch reizvoll, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, was meiner Meinung nach durch dieselbe Hassliebe begründet wird, aus welcher heraus man auch in Foltermuseen geht oder sich Horrorfilme anguckt. Dass nun so etwas wie öffentliche Hinrichtungen und Folterungen sehr großen Anklang bei der Bevölkerung oder auch den Fragenden selbst, bei denen teilweise übrigens regelrechte Hingabe dokumentiert ist, fand, liegt denke ich an dem einfachen Effekt der Ablenkung. Das eigene Leid scheint kleiner, wenn das Leid des anderen wächst. Quasi umgekehrtes Mitleid.“

Ich hakte nach, ob mein Gesprächspartner und seine Mitmusiker von Attonitus dazu ausreichend über die eigentlichen Hintergründe Bescheid wissen; beziehungsweise warum genau die international organisierte Kirche Abermillionen von unschuldigen Menschen beziehungsweise Ureinwohner und Tiere zum globalen Machtaufbau schändlich gequält and skrupellos getötet hat.

Vodric hierzu: „Im Prinzip sind es dieselben Hintergründe, die schon immer für Massen- oder Völkermord, Hetze und Verfolgung, Krieg und Eroberungen verantwortlich waren beziehungsweise sind. Die Möglichkeit auf Machtmehrung, Geld und Einfluss. Nur das in der Hochzeit der katholischen Kirche eben diese bekannten Ziele auf einmal theologisch und nicht politisch begründet waren, sodass man all das perfekt rechtfertigen konnte. Dass die breiten Massen dann keinen Widerstand leisteten, ist angesichts der durch die Kirche verbreiteten Angst vor Gott nur allzu gut nachzuvollziehen. Diese Angst war eines der wichtigsten und größten Zahnräder der katholischen Machtmaschine und wer konnte diese besser schüren als die Inquisition? Während der sich selbst hohe Kirchenmitglieder vor den schwarz-weißen Dominikanerwappen fürchteten, die zu früheren Zeiten für das Wort Jesu standen. Dieser sich übrigens im Grab umdrehen würde, wäre er noch da... Im Verlaufe der Inquisition wurden aber auch die privaten Interessen vieler unterstützt, so konnte man als Eifersüchtiger oder Habgieriger relativ einfach Konkurrenz durch Anzeige aus dem Weg schaffen. Davon handelt unser Lied "Inquisition".“

Wir gingen anschließend aus aktuellem Gesprächsanlass zum Mythos der Kreuzritter über. In oftmals arg aufgeblähter cineastischer Verklärung doch stets als mutige Helden und selbstlos-tapfere Streiter dargestellt, waren diese ja am Ende doch nichts anderes als brutale Söldner, die für andere – also die Kirche – rücksichtslos raubten und grausam töteten. Daher war es eigentlich überflüssig zu fragen, ob mein Gegenüber das Kreuzrittertum bewundert. Ich tat es trotzdem. Wir erfahren:

„Meine Bewunderung gegenüber dem Kreuzrittertum kippte etwa zu der Zeit zu Mitleid, als ich lernte das Schwerter nicht aus Holz bestehen. Denn auch hier will ich eher die Kirche verurteilen, als die vielen verblendeten Menschen, die für erlogene Ideale fochten, denn auch jene taten es meist aus Angst oder Hunger. Doch ähnlich war es im Nationalsozialismus auch und Angst darf nie Unmenschlichkeit rechtfertigen. Wie dem auch sei, Helden gehen meiner Meinung nach nicht in fremde Länder und töten für das eigene Seelenheil, eine Hand voll zu essen und die Aussicht auf ein besseres Leben. Da würde ich schon eher die Templer als Helden bezeichnen, die auf dem Jakobsweg die Pilger beschützten, aber diese wurden ja leider von der eigenen Kirche gejagt und zu Hunderten verbrannt. Daumen hoch, lieber Herr Philipps!“

Die internationale Kirche selbst hat sich für all die von ihr ausgegangenen unglaublichen Völkerverbrechen, ihre gierig-kriminellen historischen Raubzüge beziehungsweise Landnamen und Kulturnivellierungen bislang nicht bei den Völkern dieser Erde entschuldigt, während die Vatikanbank vor einigen hundert Jahren dafür mit unermesslichen zusammengerafften Reichtümern bis heute überaus erfolgreich ins internationale Bankgeschäft einstieg. Doch die Welt betet bis heute weiterhin verblendet das Kreuz aus der Wüste an. Wie wird das nach Meinung des Sängers und Dudelsackspielers weitergehen?

„Nun die bis heute anhaltende Popularität, Macht und Einflussnahme der katholischen Kirche, ist in meinen Augen eines der weltgrößten Paradoxa überhaupt. Ist es denn auch in Ordnung, wenn wir in 300 Jahren wieder die NPD in der Bundesregierung haben? Und zynischerweise wäre das weniger verwunderlich, da selbst unsere Kinder mit einem Schuldgefühl geboren werden, also mehr Schuld verziehen wurde, als es bei der Kirche der Fall ist. Dieses Schuldgefühl suche ich in der Kirche vergebens. De Facto ist dort eine Organisation, die über hunderte von Jahren kontrolliert getötet hat, sich aber nicht zur Rechenschaft ziehen lässt und immer noch auf dem Thron der Weltreligionen sitzt. Ab wann verjährt denn Massenmord, Herr Ratzinger? In unserem musikalischen Genre kehren wir in die Zeit dieser Verbrechen zurück und wir werden verdammt noch mal anklagen! Jetzt liegt es an dem geneigten Leser, wie weit diese Klagen gehört werden.“

Gutes Stichwort, so war es denn dann auch an der Zeit für uns zwei, zur Musik an sich überzugehen. Vodric resümiert:

„Seit meiner frühen Kindheit und den ersten Marktbesuchen habe ich eine innige Leidenschaft zum "modernen Mittelalter", seiner Musik und seinen Menschen aufgebaut. Als ich dann im Alter von circa zehn Jahren von meinem Bruder das Album "Weckt die Toten " von In Extremo in die Hand bekam, war für mich klar, was ich mal machen möchte. Bis zu meinem ersten Dudelsack sind dann zwar noch sechs Jahre vergangen, aber bis jetzt konnte ich meine Vorstellungen dank meiner wunderbaren Mitmusiker besser als erwartet verwirklichen. Dass der Antrieb nicht vergeht, liegt an dieser mir in allen Dingen zuspielenden Szene. Ich fühle mich hier einfach gut!“

Und das kommende Album „Opus II – Von Lug und Trug“ ist zum einen homogener als das vorherige und bietet einen konsequenten Klang, der zum Thema passt, so Vodric. „Zum anderen arbeiten wir nun verstärkt mit der Harfe oder auch mit mehrstimmigem Gesang, bleiben aber bei eingängigen Riffs, wobei wir themabezogen um einiges düsterer geworden sind. Mir persönlich gibt das neue Album das, was ich bei vielen neuen Alben aus der Szene vermisse. Was das allerdings genau ist, kann ich selbst als Komponist nicht sagen. Ich denke, dass man das als Hörer am besten selbst herausfinden sollte.“

Was nun die neuen Liedertexte bei Attonitus anbelangt, so sind diese laut Aussage des erzählfreudigen Vokalisten hauptsächlich wie zu erwarten:

„Die Überschrift lautet "…von Lug und Trug", die Titel "Der Ketzer", "Deus Lo Volt", "Inquisition", "Labyrinth" und "Der alte Ritter", doch zuletzt dann doch noch "Tanzt ohne Zweifel". Alles in allem sehr kirchenkritisch. Dass es so sehr in diese Richtung geht, liegt sicher auch daran, dass ich mit unserem Schlagzeuger Gomez im Sommer 2009 den Jakobsweg gelaufen bin, auf welchem man auf die geballte Kommerzialisierung der Kirche trifft. Ansonsten wurde ich auch von einem Gespräch mit einem dänischen Pfarrer inspiriert, der in der Flensburger Innenstadt predigte. Dieser war zum Beispiel der Auffassung, dass die katholische Kirche der Antichrist sei, was bei näherer Betrachtung wirklich logisch ist. Nun, neben all dem Gezeter findet man gegen Ende des kommenden Albums aber auch noch Lieder wie "Laut" oder "Skol", die doch um einiges heiterer sind. Die Idee dazu ist selbsterklärend. Prost!“

Dem folgte eine lebhafte Diskussion darum, was die Band so sehr fasziniert an der mittelalterlichen Historie mit all ihren Mysterien und Legenden? Vodric bringt es unumwunden auf den Punkt:

„In Zeiten von absoluter medialer Reizüberflutung, Zukunftsangst, Globalisierung, Dezentralisierung und allgemeinem politischen Wahnsinn, ist es einfach unglaublich befriedigend, sich von all diesem demonstrativ abzuwenden, sich in einer "kleinen" Gemeinschaft wieder zu zentrieren und sich an dem Alten und Wesentlichen zu erfreuen. Auf einem Mittelaltermarkt hat man für gewöhnlich nichts zu tun mit abstürzenden Computern, Terrorwarnungen, Jamba-Klingeltönen und Dieter Bohlen. Also wohin sonst soll man als denkendes Individuum denn noch gehen, wenn man nicht gerade ins tibetanische Kloster will? Warum steigen denn die Besucherzahlen auf den Märkten stetig? Wir haben doch eigentlich eine so genannte "Wirtschaftskrise"? Eben deshalb ja. Was das Mysterium angeht, ist uns natürlich auch klar, dass man die ganze Epoche eigentlich viel zu romantisch sieht, aber würde man auch soviel Elend und Dreck re-engagieren, dann sähe es mit den Besucherzahlen auf besagten Märkten auch wieder anders aus. Doch ob Elend oder nicht, es ist unglaublich schön zu sehen, wie die Magie zurückkehrt, wenn die Technik schweigt. Außerdem sind die Frauen schön, die Biere süß, die Schweine saftig und die Nächte lang!“

Nur zu gerne flüchtet sich unser sympathischer Held also in die Welt des Mittelalters. Wir setzten uns somit damit auseinander, ob Vodric Klangkunst und ideellen Hintergrund von Attonitus nun mit verträumter Hingabe oder eher mit nüchterner Professionalität sieht. Der Kerl lässt hierzu vom Stapel:

„Natürlich gibt es immer beide Aspekte. So ist es bei langwierigen Feilereien im Studio eher die Kunst, als das Verlangen, anders ist das aber auf der Bühne. Dort tauche ich sogar so dermaßen ab, dass ich mich teilweise direkt nach einem Auftritt nicht mehr an eben diesen erinnere. Was aber nicht am Met liegt! [lacht] Wenn man aus dieser Welt nicht wenigstens ein bisschen flüchten möchte, hat man von der Mittelalterszene wohl noch nie gehört. Ich denke, in diesem Punkt spreche ich für alle Bandmitglieder: Wir sind zwar nicht feige, aber vor der Welt flüchten wir immer gern!“

Und wie wurden die sieben Flensburger Musikanten beziehungsweise ihre Musik und Live-Gigs von Fans und Medien bislang überwiegend aufgenommen? „Da schwinge ich doch einmal den Weihrauchtopf zur Selbstbeweihräucherung! Nein, im Ernst kann ich da guten Gewissens behaupten, dass wir bis jetzt immer noch positiv überraschen konnten. Man lobt auch häufig unser publikumsnahes Auftreten, welches auch hoffentlich so bleibt – jedoch wird es leider allmählich lächerlich so etwas zu versprechen, aber wird sind da optimistisch.“

Vereinzelt gibt es sogar Fanpost aus dem Ausland: „Ja, hin und wieder. Dadurch, dass Gomez und ich mit Cister und Bodrahn bewaffnet durch ganz Spanien gepilgert sind, kennt man uns nun auf allen Kontinenten, ausgeschlossen Alaska, denke ich. [grinst] Zudem wurden wir durch unseren alten Manager auch ein wenig in China publiziert, wo wir in manchen Großraumdiskotheken gespielt werden. Doch im Prinzip sind wir noch zu 90 % auf Deutschland fixiert, wobei eventuell eine kleine Hollandtour in Frage kommt, aber das ist nun wirklich aus dem Nähkästchen.“

Abschließend verkündet Meister Vodric noch stolz die Band-Pläne für den Rest des aktuellen Jahres 2010. „Wir bemühen uns, Vertragsbindung zu erlangen, Märkte in Süddeutschland zu bereisen und zu bespielen, den Contest auf dem Festival Medieval zu gewinnen, Ruhm und Ehre zu erlangen, den Hörern und uns unvergessliche Auftritte zu liefern und letztendlich den Papst zu einer offiziellen Entschuldigung zu nötigen! Lasst euch sehen, wir lassen von uns hören! Vodric Kurtzweyl verneigt sich mit Attonitus.“

© Markus Eck, 25.02.2010

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