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Interview: BETHLEHEM
Titel: Morbide Kopfgeburten

Bethlehem sind die unnachahmlichen Originatoren eines bizarren und nur schwer verdaulichen Metal-Stils. Die deutschen Schocklyriker mit dem rätselvollen Namen kreieren stark psychotische und wirklich krank anmutende Kompositionen von stellenweise abstoßender Absurdität.

Die nach dem Verstand greifende aber künstlerisch doch sehr wertvolle Musik dieser fast schon umstürzlerischen metallischen Avantgardisten ist ebenso unkonventionell wie die einige Toleranz erfordernden Texte.

Lieben oder Hassen – entscheiden muß auch hier wieder mal der eigene Geschmack, und nur der allein. Der bisherige große Erfolg gibt den querköpfigen Outsidern jedoch recht. Den werden Bethlehem auch mit dem neuen Doppelalbum „Schatten aus der Alexander Welt“ haben.

Bassist Jürgen Bartsch tritt mit mir in den Dialog. Der Tieftöner glänzt durch wirklich einmalige Ansichten und nennt die nonkonforme Band auch noch ein geistvolles Wesen. Bis das Interview dann in verwertbarer Form vorliegt, sind noch einige technische Hürden zu nehmen. Aber Bartsch hängt sich rein, ruft mich extra vorher an und dann klappt es zum Glück schließlich doch noch:

„Jau, da bin ich noch mal. So ... ich mach jetzt die Diskette klar und werde sie morgen über einen der Mac´s heizen. Es ist nicht so, daß ich in der Steinzeit lebe, im Gegenteil. Mein Haus ist multimedial vernetzt, da ich ein vergnügungssüchtiger Technik-Freak unserer degenerierten Scheiß-Gesellschaft bin. Ich bin halt auch nur Scheiße. Fakt ist aber auch, daß ich eineinhalb Jahre lang den E-Müll Zirkus in der Firma unseres Gitarristen – er ist Doppel-Unternehmer – mitgemacht und wieder aufgegeben habe. Denn man glaubt ja gar nicht, wie viele Bethlehem-Fans mit einem in Kontakt treten können. Das ist mir persönlich alles viel zu viel. Ich möchte Musiker/Macher bleiben und nicht schon wieder den ganzen Tag Briefchen etc. schreiben. Das ist der Grund, warum mir Internet nicht in die Bude kommt. Momentan arbeite ich an einer Bethlehem-CD-Präsentation mit Video-Filmchen, netter Navigation, Animationen, Texten, Bildern, Grafiken, dies und das und was. Ich biete es dann im nächsten Jahr Red Stream Records und Prophecy Productions gegen Mocken an. Besorg' Dir übrigens mal irgendwo das Digipak. Ich hab´s komplett gelayoutet und an meinem Rechner in fünf Nächten zusammengebastelt. Ist echt ein geiles Teil geworden, das. Und voll fett, mit zwei Booklets und so. Zieh´s Dir einfach mal rein. All das braucht Zeit und die habe ich kaum, da ich sehr rastlos – (Rudi Rastlos) und dauernd unterwegs bin. Mal nach Berlin zu unserem Elektroniker, mal ein Wochenende nach Brooklyn zu Freunden, wenn Mami oder sonst wer gerade mal wieder ´n bißchen Taschengeld locker gemacht hat. Für Schmonzetten-Interviews geben pisst mich total an, da ich so was für völlig überflüssig halte. Für uns ist so was nicht mehr sonderlich interessant und wir sind halt auch nicht drauf angewiesen (zum Glück nicht, obwohl Prophecy Productions das wohl auch gerne anders hätten...). Seit Jahren machen wir unsern Kram in kleinerem Kreise, da sind wir zu Hause. Scheiß auf das Biz, Brother! Wir bleiben besser unter uns. Dennoch hat´s mich sehr gefreut, dich kennen zu lernen. Drum tu' mir bitte, bitte den Gefallen und mach´s so reißerisch, wie´s deine Schmonzette erlaubt. Please! Das Interview ändere ich nicht mehr, ich muss gegen zwei in der Nacht noch weg und habe noch ein paar Vorbereitungen zu treffen. Machs man gut Mann! Und nochmals vielen Dank für deine Hilfe. Endlich mal wieder Bethlehem-Fans.“

Na, nach diesem ausgeprägten und offenen, aber auch Symphathie zeitigenden Bekenntnis geht es nun aber zur Sache.

Es war für die Band nicht immer einfach, sich zusammen zu raufen. Sind halt alles sehr ausgeprägte Charaktere.

„Von 1991 bis heute änderte sich unser Line-Up permanent. So blieb die Sache für uns selbst immer recht spannend und frisch. Langeweile beziehungsweise Routine ist der natürliche Feind des Bethlehem und es gilt diesen dauerhaft zu dissen. Deshalb. Und nur deshalb. Momentanes Line-Up ist Bartsch-bass, Eckhardt-guitars, Meyer de Voltaire-vox, Tiedemann-electronics, Wolz-drums, Johannsen-electronics.”

Auch stammen die Members aus den unterschiedlichsten Teilen Deutschlands. „Jürgen Bartsch kommt aus Grevenbroich, Olaf Eckhardt aus Krefeld, Guido Meyer de Voltaire aus Bonn, Reiner Tiedemann aus Mönchengladbach, Steve Wolz aus Köln und Marcus Johannsen aus Berlin.“

Bartsch gewährt noch einen kleinen Einblick in die Gründerzeit von Bethlehem: „Die Band wurde 1991 von Klaus Matton & mir selbst gegründet. Das musikalische Ziel war, höchst nervtötend und peinlich zu sein; Leuten auf den Sack zu gehen. Wir agieren/reagieren einfach nur... Die `Wertung` überlassen wir anderen. Leuten wie dir zum Beispiel.“

Wer sich über seine Truppe akustisch informieren will, der soll das bitte auch anständig tun, verkündet der Kerl.

„Am besten das ganze Material vom 1992er Demo `Bethlehem` bis zum 2001er Doppel-Album `Schatten aus der Alexander Welt` besorgen und selbst bewerten, beantworten, entscheiden etc. Ist immer noch besser als ein umständlicher Erklärungsversuch meinerseits, der letztlich doch nur nichts besagt. Das Menschliche fällt unter Privatsphäre und hat niemanden zu interessieren.“

„Schatten aus der Alexander Welt“ ist schon wieder mal ein sehr ungewöhnlicher und auch obskurer Plattentitel.

„Der Albumtitel sowie sein Inhalt ist ein Platzhalter für meine physischen- und psychischen Selbstversuche in Sachen Verrücktheit aus den Jahren 1998 und 1999. Platzhalter insofern, da ich diesen Titel nebst Inhalt bereits im November 1994 für unser 96er Album `Du sollst dich töten` kreierte, mir das eigentliche Verständnis für das Geschriebene aber noch nicht gänzlich bewußt war. Und erst in weitschweifenden Experimenten klarer wurde.“

Ich frage ihn einer etwas länger ausformulierten Frage, wie er denn den Stand seiner doch sehr aus der Art tanzenden Band zur Metalszene im Allgemeinen sieht. Das bringt ihn etwas auf die Palme.

„Wow! Setzen; Eins plus!! Ihr Schreiberfritzen versteht es doch immer wieder, uns arme Probanden gar völligst mit eurer Rhetorik zu verblüffen. Ja, nun, wie denn nun? Ich dachte immer, wir wären die Gesellschaft und etwa der Bethlehem wäre nur eine weitere Facette gerade dieser. Sicherlich eine äußerst eigenständige Facette, keine Frage. Unser Anspruch ist aber vielmehr Provokation mit dem Ziel der Reaktion, mitunter auch Revolution. Niemals zuvor konnte eines unserer Werke so stark polarisieren, wie es momentan mit dem aktuellen geschieht. Und gerade deshalb verzichte ich hiermit auf eine weitschweifende, für die gegebenen Möglichkeiten unmögliche Vertiefung in meine Gedankenwelt. Das Resultat spricht weitgehend für sich und wenn wir da an einige Reaktionen solcher Biedermänner wie etwa Pete Spermeth von Ablaze oder den Faschisten vom Rock Hard denken, ist dieses mit Sicherheit eines der größten Erfolge für uns. Wenn ich in Interviews Afro-Amerikaner als `Nigger` bezeichne und uns gerade die sich völlig selbst überschätzenden Szene-Faschisten durch den nationalsozialistischen Fleischwolf drehen, ist das Kalkül bis hin zur Anarchie und der Bethlehem sieht seinen ursprünglichen Sinn und Zweck immer noch in der anarchischen Befreiung von der Augenzeugen-Religion. Denn es ist genau diese, die krankt und einer Heilung bedarf. Wir sind diese Heilung, liebt oder haßt uns einfach. Mehr können wir euch nicht bieten.“

Hiervon muß ich mich doch eindeutig distanzieren, da ich die Hintergründe seiner Meinung nicht kenne. Der Typ ist wirklich ein außergewöhnlicher Künstler. Bartsch schreibt auch all die abgründigen und krankhaften Song-Lyriken für die Band.

„Alle Texte inklusive des Hörspiels stammen von mir. Herr Meyer de Voltaire hat diesmal hier und da beim Umschreiben der Lyrics geholfen. Gerade weil diesmal die Lyrics gesungen und nicht wie sonst üblich gestammelt werden mußten. Das Songwriting hat sich einigermaßen die Waage gehalten; mit einigem Übergewicht für mich. Wer den direkten Vergleich mit Vorgänger-Alben sucht, muß Taschengeld investieren. Definitiv eine sinnvollere Alternative, als ellenlanges (und doch nicht gedrucktes) Belanglos-Geschwafel eines Beteiligten. Mundgerechtes Schneiden sehen wir ja noch ein, aber kauen müsst ihr schon selbst.“

Hat er denn gar keine Angst, daß die doch sehr depressiv ausgerichteten Songtexte seiner abstrakten Lieder bei einigen – gerade jüngeren – Fans gedanklichen Schaden anrichten? Er wiegelt gelassen ab:

„Im Gegenteil. Für viele labile Naturen waren wir ausschließliche Lebenshilfe und sind immer noch äußerst dankbar für unzählige Briefe von Menschen an uns, deren suizidale Tendenzen wir von ihnen nehmen konnten. Gerade das erfüllt uns mit Stolz. Sicherlich ist der Bethlehem interpretierbar und soll es auch sein. Sicherlich haben wir keinen direkten Einfluß auf potentielle Interpretationen; das wollen wir auch gar nicht. Der Bethlehem schürt vielmehr die Eigenverantwortung und schärft den Sinn für das uns Umgebende. Mitunter in einer äußerst provokanten Art und Weise, schuldig im Sinne der Anklage. Aber der Kauf von Musik und Inhalten unterliegt schließlich keinem Zwang und wer Hollywood sucht, wird doch gerade in den gängigen Schubladen – von Power Metal bis Black Metal – immer fündig. Diesem Herdenprinzip entziehen wir uns vehement und in aller Deutlichkeit. Wir haben schließlich keine Konsequenzen zu befürchten, auch wenn hier und da mal der Herr Staatsanwalt aus seinem Mittagsschlaf erwacht. Wir sehen uns als die beinahe ausgestorbene absolute Freiheit eines musikalischen Genres, was sich mehr und mehr über Plattitüden definiert beziehungsweise definieren lässt. Wir sind totale Anarchie und Revolution und wem solche Doofi-Sprüche nur noch ein müdes Gähnen entlockt, der ist dem Bethlehem bereits aufgesessen. Ihr wißt ja noch: `But you know, we get paid. You don´t. We get paid. You pay to get in. So you loose.`”

Der Mann weiß, wovon er spricht. Die heutige Metalszene an sich findet er immer schlechter und ärmlicher werdend.

„Schon seit längerem beschleicht uns mehr und mehr das Gefühl, Metal verkommt zum Hippietum. Denn Hippies fanden früher auch alles besser. Nur sind Hippies keine Faschisten und wenn ich mir da so totalitäre Manipulatoren wie beispielsweise aus Dortmund ansehe, wird schnell klar, wo denn der Hammer hinfällt beziehungsweise noch hinfallen wird. Das `Ewig Gestrige` birgt Gefahren und wer sich diesen hingibt, macht sich mitschuldig. Denn auch im 'Dritten Reich' wurde Innovation zuerst lächerlich gemacht, später verfolgt beziehungsweise unterdrückt. Die Gedankenpolizei ist allgegenwärtig, Big Brother is watching you. Denkt immer daran. Denn schließlich füttert ihr das Biz und nicht andersherum.“

Erneut lasse ich auch diese gedanklichen Ausführungen von Bartsch unkommentiert, damit die Leser sich damit auseinander setzen.

Live ist die Band sicher auch ein ganz besonderes Erlebnis nachhaltig in Erinnerung bleibender Art, denkt man sich.

„Das letzte Mal live haben wir am 24.12.2000 in einem Weltkriegs-Luftschutzbunker gespielt. Wie immer mit derben Snuff- & Elektronik-Bands vor ausgewählter Minimal-Meute. Wir laden jeweils maximal hundert Leute zu unseren Gigs ein, da wir kein Interesse mehr an `öffentlichen` Veranstaltungen haben. Leider hat sich bei dem letzten Gig eine Snuff-Performance-Künstlerin beinahe umgebracht und deshalb müssen wir nun (gezwungener Maßen) erst mal eine kleine Pause einlegen. Weitere Gigs in dieser Richtung sind jedoch fest geplant. Nur diesmal ohne Snuff-Interpreten. Und in einem Bunker mit Stromleitungen, da uns das LKW-Batterie-Geschleppe durch die Wallachei langsam aber sicher auf die Eier geht. Auch werden wir die Zuschauerzahl auf maximal dreißig Leute drosseln. Und die Gigs auf drei pro Jahr reduzieren. Prophecy Productions haben zwar andere Pläne, mit Wave Gotik Treffen und so, doch möchten wir dies aus gegebenen Gründen unkommentiert lassen.“

Was soll man da noch hinzufügen? Wo Bethlehem drauf steht, ist eben auch Bethlehem drin. Zu den nennenswerten Stärken Bethlehems auf der Bühne will er abschließend nichts sagen. „Dazu können wir uns nicht äußern, da bei unseren letzten Gigs immer wieder Leute zu Schaden kamen und von einer Nachahmung dringend abzuraten ist.“ Letzte Worte an seine Anhängerschar kann ich dem Bassisten ebenfalls nicht abringen. „Wir haben unseren Fans nichts zu sagen, was sie nicht schon wüssten.“

© Markus Eck, 13.07.2001

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