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Interview: BORKNAGAR
Titel: Ungewohnte Ambitionen

Manchmal scheinen Änderungen bitter nötig, um sich gerade als Künstler nicht in der Gewohnheit zu verlieren.

Davon kann zwar im Falle dieser norwegischen Avantgardisten um Gitarren-Spitzenkönner Øystein G. Brun ohnehin nicht die Rede sein, dennoch: Auf ihrem brandneuen Studioalbum „Origin“ ziehen Borknagar ganz andere Saiten auf, nämlich rein akustische.

Fest steht jedenfalls: Für die außerordentlich träumerisch ausgefallene Sammlung von Songs hat Mastermind und Gitarren-Spitzenkönner Øystein sein Innerstes restlos nach außen gestülpt. Ein musikalisches Unikat wurde da sozusagen kreiert, welches gleichermaßen gewagt avantgardistische wie gezielt inszenierte progressive Charakterzüge trägt.

Anspruchsvoll ausarrangierte Folk- und Klassik-Anleihen wurden für diese Platte samt der einmalig schönen und glasklaren Ausnahmesingstimme von Mikrofon-Veteran Andreas Hedlund alias Vintersorg zu einer wohl bisher einmaligen Mischung zusammengebracht.

„Wir wollten die spezielle bodenständige Botschaft der neuen Scheibe bereits mit dem aktuellen Albumcover andeuten, was uns auch sehr gut gelungen ist“, merkt ein gut gelaunter Øystein zu Beginn unseres erneuten Interview-Gesprächs mit höflichem, aber bestimmendem Tonfall an.

Seiner Auffassung nach ist es in unserer immer noch hektischer und schnelllebiger werdenden Zeit der Moderne umso notwendiger, dass gerade solcherlei Veröffentlichungen wie „Origin“ den überwiegend von Zeitnot geplagten Menschen beim Entspannen helfen.

Dennoch: „Man hört es dem ruhigen Album `Origin` zwar wirklich überhaupt nicht an, aber es war ein richtiger Höllenstress für uns alle in der Band, diese Scheibe termingerecht zu genau dem werden zu lassen, was es geworden ist. Jetzt aber, wenn ich die neuen Songs nachträglich höre und auf mich beziehungsweise mein Gemüt wirken lasse, bringen sie mich hervorragend `down to earth`.“

Und das war laut Statement des Gitarristen auch die Basis der zugrunde liegenden künstlerischen Intentionen. „Dafür steht ja nicht zuletzt der Albumtitel `Origin`, wir kehrten für die neue Platte zu unseren musikalischen Ursprüngen zurück. Ich selbst begann auf einer Akustikgitarre Musik zu machen, das prägt einen natürlich als Künstler. Ich habe mir sozusagen mit der neuen Borknagar-CD einen alten, lange gehegten Traum verwirklicht.“

Wie weiter von dem redseligen Norweger in Erfahrung zu bringen ist, sollten die enthaltenen Kompositionen so simpel wie möglich gestaltet werden, was für eine ansonsten sehr anspruchsvoll agierende Gruppe wie Borknagar jedoch gar nicht so einfach war.

Øystein expliziert diesen Kontext: „Wir mussten hierzu ganz schön tief in uns gehen und stellenweise gar völlig neuen Songwriting-Ansätzen gehorchen. Aber diese Herausforderung wurde im Kollektiv sehr gerne angenommen. Es ist für einen langjährigen Musiker, welcher mit seinem kreativen Schaffen immer wieder eine bestimmte Stilistik bedient, schließlich doch sehr reizvoll, etwas völlig Neues mit seinem Können zu erschaffen. Letztendlich sind die neuen Sachen auf `Origin` aber dann doch nicht `simpel` im eigentlichen Sinne des Wortes geworden. Es entstanden eine Menge ziemlich ineinander verschachtelter Songaufbauten, abgedrehter Gitarrenläufe, komplizierter Harmonien etc. Wir können eben nicht anders, die Progressivität steckt uns wohl im Blut.“

Und dies basiert nicht zuletzt nicht zuletzt auf dem steten Bestreben, den kommerziell orientierten Business-Mechanismen dieser Musikrichtung samt den ständig einhergehenden neuen „Genre-Trends“ seit jeher die Stirn zu bieten, so mein Gesprächspartner.

„Von Anfang an war ich mit Borknagar ohnehin primär daran interessiert, etwas Eigenständiges zu machen. Und das haben wir all die Jahre auch durchgezogen, wenn nicht sogar perfektioniert, auch bei den Cover- und CD-Booklet-Gestaltungen unserer Werke. Mir beziehungsweise uns ist es auch noch immer ganz egal, ob wir das `richtige` Publikum mit unserer Musik erreichen. Es zählt daher letztendlich nur eins bei Borknagar, und das galt auch für das aktuelle siebte Album: So authentisch wie nur möglich zu komponieren beziehungsweise zu musizieren.“

Wie sich im Weiteren noch auftut, können die Herren sich solcherlei Attitüde auch erlauben.

„Denn wir sind frei, auf musikalischer Ebene zu tun, was immer wir wollen. Unser Label vertraut hundertprozentig auf uns, schließlich haben wir bislang über 100.000 Einheiten an Tonträgern absetzen können; in diesem Metier beileibe nicht alltäglich. Wer nun daraufhin meint, der kreative Prozess wäre für uns zu einem reinen Vergnügen geworden, der irrt gründlich. Denn wer die Wahl hat, hat bekanntlich die Qual. Je mehr Freiheit einem als Künstler zusteht, desto größer kann im ungünstigen Falle auch die Unentschlossenheit darüber werden, in welche Richtung die künftige Ausdrucksform gehen soll. Vereinzelt haben sich solche Ansätze auch bei Borknagar bemerkbar gemacht, aber wir haben da glücklicher Weise schnell die für uns richtigen Entscheidungen treffen können.“

Wie der kahlköpfige und vollbärtige skandinavische Saitenmeister abschließend noch anmerkt, fühlt er sich samt seiner Band trotzdem noch immer nicht als Rockstar.

„Ganz im Gegenteil. Berühmt zu sein bedeutet mir eigentlich gar nichts. Für mich stellt das Musikmachen mit Borknagar nämlich in allererster Linie eine probate Möglichkeit dar, meinen Lebenspfad auf diesem Planeten so würdig wie möglich zu beschreiten.“

© Markus Eck, 21.09.2006

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