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Interview: BRDIGUNG
Titel: Noch tiefer ins Eigene

Als sie 2008 mit ihrem Debütalbum „Kein Kompromiss“ zu überraschen wussten, gab es fortan kein Zurück mehr.

Aus der ambitionierten Kellertruppe wurde schließlich über die Jahre eine vollwertige, souveräne und respektierte Band mit eigenen Headlinertouren. Auf dem neuen und fünften Album „Chaostheorie“ führen BRDIGUNG ihren eigenen Weg fort, der mit dem Vorgänger „In goldenen Ketten“ eingeschlagen wurde.

Und die enorm spielfreudigen und thematisch pfiffigen Punkrocker zeigen sich abermalig kompromisslos. Auch dann, wenn es darum geht, kantige Metal-Querverweise ergiebig für heftige Momente zu nutzen.

Komponiert wurden enorm eingängige und zutiefst seelenvolle Nummern.

Köstlich schräger Humor wird dabei natürlich auch voll und ganz ausgelebt.

Doch mit durchdachten Texten, die intellektuellen Hintergrund zu bieten haben, wird noch zusätzlich gepunktet.

Individuelles Verständnis
Der Vorgänger „In goldenen Ketten“ erreichte Platz 25 der offiziellen deutschen Albumcharts.

Fühlten sich die Jungs davon fürs neue Werk unter Druck gesetzt?

Sänger, Gitarrist und Songwriter Julez hierzu:

„Druck ist das falsche Wort. Ich würde es eher Respekt nennen. Unter Druck arbeiten kann funktionieren, aber es ist immer dann immer schwer kreativ zu sein und Ideen zu entwickeln. Wir haben mit unserem Vorgänger ein sehr starkes Album raus gebracht, was auch unglaublich gut von den Leuten aufgenommen wurde. Wenn man das respektiert und verstanden hat, warum dieses Album so funktionierte, dann fällt es einem auch leichter sich beim zukünftigen Songwriting auf diese Stärken zu besinnen. Immer natürlich mit dem Fokus neue Ideen einfließen zu lassen und ein Stück weit zu experimentieren, ohne aber seine Richtung und seinen Sound zu verleugnen. Das war uns auch dieses Mal sehr wichtig und wir sind stolz, dass es auch diesmal so gut geklappt hat. Das Album ist wirklich stark geworden und setzt unserer Meinung nochmals eine Schippe im Vergleich zum Vorgänger drauf.“

Genutzte Freiheit
Und BRDIGUNG haben aktuell nichts an Härte verloren, sogar ganz im Gegenteil. Der Frontmann konstatiert: „Das ist immer wieder ein Thema, was bei den Leuten große Angst hervor zu rufen scheint. Ich lese oft Sätze wie 'Werdet jetzt bloß nicht zu weich' oder ähnliches. Aber das stand, trotz eines gewissen kommerziellen Erfolges, nie zur Debatte. Wir machen rotzigen Punkrock und spielen gerne mit Einflüssen aus Rock und Metal. Daran wird sich auch nichts ändern und die Leute bekommen genau das, was sie an uns mögen. Eine klare Stärke dieser Band war ohnehin schon immer die Vermischung von bestimmten musikalischen Stilen. Aber immer so, dass es nicht krampfhaft sondern homogen und in sich stimmig wirkt. So haben wir angefangen und konnten es seit unserem Debüt im Jahre 2008 kontinuierlich weiter entwickeln. Auch denke ich, dass unser teils bissiger und zynischer Humor, den diese Band textlich und auch live lebt, uns recht große Freiheit darin bietet uns bestimmten Themen zu widmen. Ein Beispiel, dass wir dies auch gerne nutzen wäre unter anderem der Song 'Scheiß auf die scheiß dritte Welt' von unserem neuen Album.“

Offen für Optimierung
Das Songwriting lag auch für die neue Veröffentlichung alleine in seiner Hand, so Julez.

„Es ist so, dass wir in der Band eine ganz klare Aufgabenverteilung haben. Songs und sonstige kreative Dinge sind in meiner Verantwortung. Wir haben im Spätsommer bereits die erste Listening Session gemacht. Hier sitzt die Band mit Chef und Vertrieb zusammen. Dann werden die Titel gehört, es wird bewertet, besprochen und diskutiert. Das letzte Wort liegt zwar bei der Band aber wir legen großen Wert auf externe Meinungen, da man irgendwann einfach so tief drin ist in der Produktion, dass es wirklich schwer fällt noch unvoreingenommen ein Urteil zu fällen.“ 


Individuelle Kreativität
2015 haben sich BRDIGUNG voll und ganz auf die Vorproduktion und die anschließende Produktion von „Chaostheorie“ konzentriert. Julez erläutert: „Für mich als Songwriter heißt das, dass ich eine grobe Struktur dazu erarbeite, in welche Richtung das Album gehen soll. Das bedeutet, ich schaue, was ich über die Zeit an Material angesammelt habe und gehe dann alles nochmals durch. Am wichtigsten ist mir dabei, dass es sich am Ende einfach rund anfühlen und anhören muss. Und natürlich kommen auch noch relativ spontan neue Songs hinzu, je nachdem wie kreativ man gerade ist. Es ist also nicht so, dass man sich sagt, man geht jetzt für Zeitraum XY ins Studio und am Ende hat man ein Album. Ich schreibe eigentlich ständig, mal intensiver, mal unregelmäßiger und setze mir dann selber Deadlines bevor es in die Vorproduktion geht.“

Kopfsache
Wie viel Zeit das gesamte Songwriting beziehungsweise Ausarbeiten des neuen Materials in Anspruch nahm, das kann Julez nicht definitiv sagen. „Insgesamt habe ich an dem Album circa anderthalb Jahre geschrieben bis es in die erste Vorproduktion ging. Bei mir ist es eben auch ein Prozess, der über einen sehr langen Zeitraum geht. Ich warte immer auf neue Eindrücke und Ideen und schreibe oft auch erst dann, wenn es in meinem Kopf praktisch schon fertig ist.“

Gab es nennenswerte Höhen oder Tiefen beim Songwriting für das neue Werk? „Zum Glück keine wirklichen Tiefen, nein. Klar gab es Momente, wo man aufgrund privater Umstände nicht gut drauf war. Das war bisher immer so und so war es natürlich auch bei diesem Album der Fall. Ich denke das Wichtigste ist es, sich davon einfach nicht zu sehr beeinflussen zu lassen. Oft zieht man dann ja gerade aus solchen Momenten neue Kreativität, die man nutzen kann.“

Umfassende Pflichten
Innerhalb der Formation herrscht eine klare Arbeitsteilung.

„Je größer man wird desto wichtiger ist es über feste und klare Strukturen zu verfügen. Wie gesagt sind die Songs und sonstiger kreativer Teil meine Baustelle. Darüber hinaus gibt es ja aber noch unzählige Dinge, um die sich sonst noch gekümmert werden muss. Tourplanung, Social Media, Homepage, Merchandise und ja, leider auch Buchhaltung und Steuern. Das funktioniert nur, wenn jeder seine Aufgaben hat und zuverlässig wahr nimmt, was bei uns glücklicherweise der Fall ist. Ich betone auch immer gerne, wie froh ich bin mit so guten Leuten zusammen zu arbeiten. Dies gilt dann auch nicht nur für die Bandmitglieder, sondern auch die Leute im Hintergrund: Crew, Hands, Label, Vertrieb, Grafiker, Videoproduktion, Marketing usw. Da macht jeder seinen Job wirklich sehr gut!“

Ambitionierter Neuzugang
„Chaostheorie“ ist das erste Album mit dem neuen Bassisten Alex. „Wer uns ein bisschen verfolgt hat der hat ja mitbekommen, dass Tobias, Gründungsmitglied und nach wie vor ein sehr guter Freund, die Band aus gesundheitlichen Gründen verlassen musste. Dieser Schritt hat natürlich beiden Seiten sehr weh getan, besonders mir, da ich die Band irgendwann 2003 mit ihm gegründet hatte. Aber es ging leider nicht anders. Glücklicherweise hat Alex sich sofort bereit erklärt einzuspringen. Und ich denke die Leistung, die er am Bass zeigt, spricht für sich. Wie wir alle macht auch er schon seit seiner frühen Kindheit Musik. Ansonsten prügelt sich Sven nach wie vor sauber durch sein Schlagzeug und Jonzen regelt an der Gitarre zuverlässig all das, was ich beim zeitgleichen Spielen und Singen einfach nicht geschissen bekomme“, platzt es unter einem Lachen aus Julez heraus.

Farbenfrohe Palette
Die stilistische Mixtur der neuen Platte gibt es nicht erst seit ein paar Monaten. „Das war ein Prozess bei uns, der sich wirklich über eine lange Zeit entwickelt hat. Der Musikgeschmack aller Bandmitglieder war seit den Anfangszeiten immer sehr bunt gemischt. Von den Ärzten, den Hosen, der Terrorgruppe zu Bands wie Machine Head, Dark Tranquillity, Manson und In Flames über Pink Floyd und Dire Straits zurück zu Alice Cooper, Hellacopters und Hardcore Superstar. Jeder versuchte irgendwie seine Vorlieben einzubringen und heraus kam eben das, wofür BRDIGUNG heute steht. Ich denke das ist es auch was die Leute an uns zu schätzen wissen und mit einer der Gründe, wieso uns das heute noch genau so viel Spaß macht wie am ersten Tag.“

Grafische Glanzleistung

Laut Ansicht des Sängers und Gitarristen sollte man diesmal wirklich das Frontcover klar hervorheben. „Unser Grafiker Holger Fichtner hat sich damit echt selbst übertroffen. Gleichzeitig setzen wir sowohl bei der Fanbox als auch bei der normalen CD komplett auf Metall. Die Fanbox ist auch gleichzeitig nicht nur Box, sondern auch eines dieser Geschicklichkeitsspiele, bei denen man mehrere Kugeln in die Vertiefungen der Fläche balancieren muss. Wir dachten das würde super passen zum Titel des Albums 'Chaostheorie' und sind mit der Umsetzung mehr als zufrieden. Den hochwertigen, druckvollen Sound der Produktion und die Qualität der Songs erwähne ich jetzt nicht extra, denn das sind die Leute mittlerweile gewohnt von uns, da wir seit Beginn an großen Wert auf eine hohe Qualität bei unseren Releases gelegt haben.“

Die thematisch-kritische Ausrichtung von BRDIGUNG beinhaltet u.a. auch die gezielte Verwendung von offensichtlicher Freimaurer- und Neocon-Symbolik. Julez:

„Die Verwendung bestimmter Symboliken ist ja gerade für den Metal-Bereich nichts Neues mehr. In unserem Fall hat es sich darüber hinaus perfekt ins Gesamtkonzept der Band eingegliedert, da sich sowohl das Vorgängeralbum 'In goldenen Ketten' als auch das aktuelle Album 'Chaostheorie' thematisch mit den Hintergründen bestimmter Umstände auf der Welt befassen. Also waren wir der Meinung, dass es sich auf künstlerischer Ebene gut in das Gesamtkonzept der Alben integriert.“


Aufgeklärter Geist
Ist letzteres sozusagen das individuelle Öl ins Feuer der so genannten ,Verschwörungstheoretiker‘? Oder steckt da bei Julez als Texter fundiertes beziehungsweise profundes Wissen dahinter?

„Das denke ich nicht, wir verzapfen ja keinen Bullshit. Darüber hinaus mag ich das Wort überhaupt nicht, da es einen kritischen Geist sofort gleichsetzt mit irgendwelchen Spinnern, die den ganzen Tag über Ufos, Aliens und sonstigen Quatsch reden. Fakt ist, dass bestimmte Kreise aus Politik, Wirtschaft und Medien enorm von dem profitieren, was zur Zeit in der Welt vor sich geht. Seien es Kriege, die dazu dienen Ressourcen zu sichern oder Terroranschläge, die den Befürwortern von Überwachung in die Hände spielen. Auch ist es kein Geheimnis, dass Länder wie die USA, unter anderem mit Hilfe von Deutschland und anderen Ländern, aktiv Terrorgruppen finanzierten, beispielsweise Al Quaida. Diese galt es dann irgendwann zu bekämpfen also wurden wieder neue ,Monster‘ geschaffen. Diese nutzte man auch gerne dafür um unliebsame Regierungen zu stürzen. Dass diese Gruppen nun außer Kontrolle geraten sind und sich gegen ihre Schöpfer wenden war nur eine Frage der Zeit. Deshalb kotzt mich diese scheinheilige Betroffenheit bestimmter Politiker in den Medien, beispielsweise nach den Anschlägen von Paris, auch enorm an. Wenn diese Leute die Schuldigen suchen, dann müssen sie nur in den Spiegel schauen. Sie haben jahrelang in anderen Ländern geraubt, gebrandschatzt, die Leute vertrieben, den Boden mit Uranmunition verseucht, alles zerbombt. Und jetzt wird sich gewundert, dass diese Leute zu uns fliehen? Dass unter diesen Leuten auch welche dabei sind, die sich rächen wollen? Ich wundere mich eher, dass bisher nur so wenig passiert sind. Aber ich denke es ist nur eine Frage der Zeit bis es auch in Deutschland knallt. Und dann geht die Debatte erneut los: Freiheit oder Sicherheit?“

Klarer Durchblick
Was haben ,sie‘ nach Ansicht des Shouters mit der Menschheit und der Erde vor? „,Sie‘ ist ja nur ein Begriff für eine Gruppe von Leuten mit sehr viel Macht. Ich denke dass es Menschen gibt, die aufgrund ihres großen Einflusses meinen, sie könnten die Welt nach ihren Wünschen formen und beeinflussen. Dazu braucht man neben viel Zeit und natürlich Geld auch noch andere geeignete Mittel. Und das beste Mittel ist nun mal Angst. Angst vor Terror, der uns dazu bringt immer mehr Überwachung zu akzeptieren. Angst vor Flüchtlingen, die uns unsere Arbeit und unser Land wegnehmen. Angst vor einem Zusammenbruch unseres Wirtschaftssystems, ohne das wir in der Steinzeit leben würden und und und. Wir drehen uns immer im Kreis und gerade die aktuellen Entwicklungen in diesem Land machen Sorge. Wir sehen einen immer stärker werdenden Rechtsdruck, den ich für sehr gefährlich halte. Und ich denke, dass es auch bestimmten Leuten da oben in die Hände spielt, wenn sie sehen, dass die Menschen hier lieber gegeneinander gehen als gemeinsam die Augen auf zu machen. Wenn zwei sich streiten freut sich der Dritte.“

Kein Blatt vorm Mund

Ist der Bandname BRDIGUNG daher dieser Tage prophetischer denn je zu sehen?

„Das muss jeder für sich entscheiden. Wir waren ja schon immer eine Band die sich den Mund nicht hat verbieten lassen. Das wissen und das schätzen die Leute da draußen auch. Klar ist gerade der Bandname in unserer heutigen Zeit aktueller denn je. Ich denke aber auch dass es in der Verantwortung jedes einzelnen liegt sich zu informieren, nicht alles zu glauben was einem in den Medien erzählt wird und sich selbst auf die Suche nach Antworten zu begeben. Dies passiert immer öfter als noch vor ein paar Jahren zuvor und das Internet hat schon oft genug bestimmte Meldungen der Medien als dreckige Lüge entlarvt. Diese Entwicklung gibt Hoffnung für die Zukunft.“


Mit viel Spaß dabei
Zu seinem nach wie vor stärksten Antriebsfaktor für die Musik mit der Band befragt, lässt Julez wissen: „In erster Linie ist es natürlich der Spaß. Ohne ihn würden wir das alles gar nicht machen. Von dem ersten gespielten Ton, dem ersten geschriebenen Wort, bis hin zum fertigen Produkt und den Reaktionen der Leute live: Dieser Prozess ist enorm spannend, das kann man gar nicht beschreiben. Und wenn das Album angenommen und gefeiert wird, das gibt einem viel zurück und entschädigt unglaublich für die doch stressigen Momente, die man ohne Zweifel natürlich auch oft erlebt. Auch bekommen wir Nachrichten, in denen Leute uns schreiben, wie sie unsere Musik schwierige Situationen hat überstehen lassen. Das ehrt einen natürlich ungemein und ist auch nach wie vor eine wichtige Motivation für uns. Wir dürfen auch nie vergessen, dass es die Leute da draußen sind, die das alles ermöglichen. Die verdienen ihr Geld teilweise wirklich hart und investieren es dann in eine kleine Band wie uns. Wäre dem nicht so, könnten wir das alles ja gar nicht in der Form machen. Darauf sind wir zum einen enorm stolz und zum anderen natürlich sehr dankbar!“

Voller Einsatz
Ziel war es insgesamt für BRDIGUNG, so der Frontmann, ein geiles Album mit geilen Songs zu schaffen. „Und ich denke wir haben alles gegeben und das Ergebnis spricht einfach für sich. 'Chaostheorie' ist ein starkes und einprägsames Punkrock-Metal-Album geworden. Wer 'In goldenen Ketten' mochte, der wird voll auf seine Kosten kommen. Im April/Mai geht es dann auch schon auf 'Chaostour' quer durch Deutschland. Da freuen wir uns natürlich enorm drauf, zumal wir mit 'Neurotox' wieder eine sehr geile Vorband im Gepäck haben. Alles andere wird sich ergeben, das hat es bisher immer“, verkündet Julez mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

© Markus Eck, 18.03.2016

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