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Interview: CADAVEROUS CONDITION
Titel: Aufrecht gelebte Individualität

Diese österreichischen Wahnsinnsknaben schwingen das Death Metal-Zepter mit weitreichendem Radius über unseren sich schüttelnden Häuptern.

Der akustische Workout der Grazer Granatwerfer erschließt sich schlagartig als exzentrisches Todesblei von überragender und einmaliger Klasse. Die neu gerittene Attacke in Form des aktuellen Albums „The Lesser Travelled Seas“ rollt schon bald in die Läden.

Und die Platte sollte von jedem, dieser Musikrichtung einigermaßen wohl gesonnenen Metaller wenigstens einmal angetestet werden. Um dabei zu sein und zu begreifen, wie eine abartig eigenständige Band – trotz mittlerweile ganzer Heerscharen von gleich klingenden Acts – doch noch die entstandene Lethargie dieses Genres mit einem phonetischen Orkan vom Tisch bläst.

Daß wir uns hier nicht falsch verstehen: Cadaverous Condition sind nicht weniger hart oder technisch anspruchsloser – und deswegen eingängiger – als andere, aber sie tun es mit einer dermaßen überzeugenden Individualität, daß es eine wahre Pracht ist.

Anschnallen ist somit angesagt. Das zehnjährige Jubiläum der avantgardistischen Lärmterroristen ist noch gar nicht so lange her.

Also eine schöne Gelegenheit, Bandmitbegründer und ,Leader Of The Pack‘ Wolfgang Weiss gleichzeitig zum neuen musikalischen Kind zu befragen. Die Lage im Bandcamp ist nach wie vor entspannt:

„Wir haben nun schon seit längerer Zeit ein konstantes Line-Up, was ich prinzipiell sehr wichtig finde, es muss einfach eine gewisse Kontinuität geben. Den ursprünglichen Kern der Band bilden nach wie vor Rene Kramer und ich; wir haben Cadaverous Condition gegründet. Wesentlicher Unterschied zum Beginn der Band ist der, daß wir nun zwei Gitarristen haben, dies aber mittlerweile auch schon seit über sechs Jahren. Außerdem langweilen Line-Up-Aufzählungen etc. in Interviews sowieso nur.“

Das sehen fanatische Anhänger der Band sicher anders, aber wieder zurück zur Sache. „Wir kommen aus Graz, Österreich, und hier gibt es keine bekannten Bands. Es gibt auch keine Band die ich empfehlen kann. 1990 haben wir unser erstes Demo veröffentlicht. Wie oben erwähnt wurde Cadaverous Condition von Rene Kramer und mir gegründet. Musikalische Ziele gab und gibt es nicht, das wichtigste ist der kreative Prozess und einfach `etwas zu tun`. Ein Lebensmodell, das aus Arbeit zur Geldbeschaffung, Gründung einer biederen Familie und am Wochenende betrunken sein besteht, reicht mir nicht; ich muß meine Energien anders kanalisieren und die Band ist wesentlicher Teil diesbezüglich. Irgendwie ist es auch der Gedanke `Hauptsache nicht so sein wie andere`. Nun kann man zwar andererseits sagen `es spielen doch viele Leute in einer Band`. Ja, das stimmt, viel zu viele, fast alle! Doch spielt keiner in einer Band wie Cadaverous Condition!“, kommt hier berechtigter Schöpferstolz zum Tragen.

„Wir sind auf keinen Fall der Haufen guter Kumpels, der im Proberaum abhängt, sich regelmäßig besäuft und dann davon träumt entdeckt zu werden. Und welche dann darin das größte Banderlebnis sehen, wenn man in der eigenen Heimatstadt im Vorprogramm einer `bekannten` Band spielt, weil man den Veranstalter kennt. So etwas interessiert mich nicht, es widert mich an.“

Cadaverous Condition waren früher noch bei dem inzwischen vom Markt verschwundenen Musikverleger Lethal Records.

Ist die Band auch noch im Groll mit dem damaligen Labelinhaber? Leider weiß anscheinend niemand etwas Genaues darüber, aber es ranken sich viele Legenden. So kann hier endlich einmal in der Gerüchteküche aufgeräumt werden.

„Bislang haben wir fünf CDs herausgebracht, dazu einige Tapes, Kompilationsbeiträge usw. Bei Lethal Records waren wir von 1992 bis zu deren Ende 1997 etwa. Michael, der ehemalige Inhaber, ist nach wie vor ein Freund von uns. Wir hatten nie finanzielle Probleme mit ihm, mich kümmert dieser `Groll`, den manche gegen Lethal hegen überhaupt nicht. Es ist nur bezeichnend wie langweilig das Leben einiger Leute eigentlich sein muß, da noch immer alte Gerüchte warm gehalten werden. Einige drohen Michael sogar mit Prügel usw. und glauben er habe sich vor ihnen versteckt, was ich recht amüsant finde. Ich glaube die Majorität derer würde wohl eher von ihm eine aufs Maul bekommen.“

,Business as usual‘ also sozusagen. Der Bandname Cadaverous Condition erinnert einen vom ersten Lesen oder Hören weg an das Grind-Genre, welchem die Jungs aber nicht zugerechnet werden dürfen, weil sie zu anspruchsvoll musizieren. Steht die Truppe heute noch zu dem Namen?

„Zu unserer Demo-Frühzeit waren wir in diesem Milieu angesiedelt, es war die Zeit von Carcass und Konsorten. Seit 1992 haben wir mit dem Namen eigentlich ideologisch nichts mehr zu tun, behalten ihn aber bei, da wir zu unserer Vergangenheit stehen und sie niemals verleugnen werden. Es ist von untergeordneter Bedeutung heutzutage.“ So etwas liest man gerne.

Wolfgang leitet über zum aktuellen Silberdeckel: „Wir bringen beim aktuellen Album alles viel besser auf den Punkt als früher. Es ist weniger kompliziert und zerfahren, viel direkter, aber doch härter und doch komplexer. Das wichtigste sind gute Songs und nicht irgendwelche Spielereien. Es gab bei uns noch nie Gitarrensoli. Die wird es auch nie geben, denn ich kenne kaum Metal-Gitarrensoli die man wirklich braucht. Wichtig ist es, die Essenz herauszuholen, sei es nun in unseren schnellen sehr riff-orientierten Death Metal-Songs oder in unseren akustischen Neofolk-artigen Stücken. Es mag unvereinbar klingen. Ist es aber nicht, es ist einfach anders.“

Das Statement bezüglich meiner nachfolgenden Frage ist überraschend knapp ausgefallen: „Meine und unsere menschliche Entwicklung soll keinen interessieren, fangt einmal mit der Musik an, das Weitere kommt später.“ Aber zum Titel der neuen CD erfahren wir dann wieder:

„`The Lesser Travelled Seas` faßt all das zusammen wofür wir stehen: die weniger befahrenen Gewässer, das Abweichen von der Norm, das Okkulte. Musikalisch wie textlich. Eine Art Hymne an die Individualität. Wir befinden uns bewußt auf dem Pfad den die Herde schon längst verlassen hat, wir erforschen die Randbereiche. Des weiteren hatten u.a. die Anziehungskraft des Meeres sowie die Werke von Rod McKuen wesentlichen Einfluss auf die Texte und Gestaltung der Musik.“

Die Texte der Stücke sind laut Aussage von Wolfgang auf jeden Fall atypisch zu Bands, die ähnlich geartete Musik machen.

„Erklärungen zu Texten gebe ich nicht, dies würde nur verwirren. Doch wer sich auch manchmal Gedanken darüber macht, was vielleicht gewesen wäre wenn man an bestimmten Tagen in seinem Leben manche Dinge anders gemacht hätte und in welche Richtung sich die eigene Welt dann bewegen hätte können, oder wer sich in dieser Welt schwer zurechtzufinden glaubt, den könnten auch unsere Texte ansprechen.“

Wolfgang, wer hat denn die meiste Musik für das neue Album geschrieben, wer die meisten Texte verfaßt?

„Diese Frage interessiert wohl keinen Leser, da niemand uns als Personen kennt. Somit ist es nicht von Belang wer bei welchem Song mehr getan hat und wer nicht. Anzumerken gilt, das ein Song eine Coverversion ist und zwar `Heaven Street`, im Original von Death In June. Weiters haben einige Freunde von uns bei manchen Songs mitgewirkt, nämlich Matt Howden von Sol Invictus, Richard Leviathan von Ostara und eine textliche Kollaboration mit RN Taylor von Changes gibt es auch.“

Die Anmerkungen zur aktuellen Metal-Szene teilt wohl jeder: „Daß das Business immer gieriger und schnelllebiger wird ist auf jeden Fall richtig. Ich glaube allerdings nicht daß man pauschal sagen kann: `Früher war alles besser, heute ist alles im Arsch`. Obwohl ich selber manchmal zu solchen Gedanken neige, soll man sich frei davon machen. Man muß aufpassen wenn man so eine Meinung vertritt. Man bekommt da schnell einen schulmeisterhaften Ton und man redet dann wie alte Leute es tun. Wie Lehrer es tun, wie Eltern, die einfach das Neue nicht mehr verstehen und es so verdammen wollen. `Früher war alles besser, früher haben alle auch mehr gearbeitet` oder `Damals war die Welt noch in Ordnung`, das ist alles irgendwie kompletter Mist. Es ist auch eine Flucht, eine Art Angst vorm Älterwerden und Herbeisehnen der nun verlorenen Jugend. Man gehört da schnell dazu und verlacht Jüngere die `keine Ahnung haben`, übersieht aber gerne den Fakt, daß man selber auch einmal der kleine Idiot war beim Besuch des ersten Konzertes. Wichtig ist wie man sich weiterentwickelt. Und der so gepriesene `Zusammenhalt` in der Metal- oder was auch immer-Szene hat mich noch nie interessiert. Warum müssen manche zusammenhalten? Gegen wen? Gegen die Pop-Fans? Absolut lächerlich. Jeder soll seinen Weg gehen, ich halte zu keinem.“

Aufrecht und stolz gelebte Individualität:

„Die Szene ist ganz klar in Deutschland besser, in Österreich spielt jeder Metalfan selber in einer Band und ist neidisch auf die Erfolgreichen. Oder ist das etwa bei euch auch so?“

So schlimm ist es hier zum Glück nicht. Cadaverous Condition spielen laut Wolfgang sehr gerne live. Und:

„Wenn man uns läßt, treten wir auch auf. Ich würde am liebsten einmal (realistisch) in Budapest und Prag spielen, weil es so schöne Städte sind und (unrealistisch) in Island, weil ein Urlaub dort fast zu teuer kommt.“

Mein Gesprächspartner stellt in Bezug auf Attitüde noch klar: „Der Mensch der das Wort `Street-Feeling` erfunden hat gehört sofort standrechtlich erschossen. Kommt sicher aus Amerika. Wir haben eher wenig `Street-Feeling`, da wir weder auf der Strasse wohnen noch hänge ich dort ab. Das Speziellste an unseren Shows ist immer das Intro, ehrlich, das steht immer in Bezug zur Performance.“

Die musikalische Zukunft für seine Band sieht laut Wolfgang wohl genauso schwarz aus wie die Vergangenheit: „Es gibt wenig Gutes auf dieser Welt für Cadaverous Condition.“ Letzte Worte an die Fans? „Wer über Cadaverous Condition-Aktivitäten informiert werden möchte soll sich auf unsere Mailinglist setzen lassen, nähere Infos dazu findet man auf unserer Website www.cadaverouscondition.com“

© Markus Eck, 12.01.2001

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