Interview: | CREMATORY |
Titel: | Kontinuierlicher Aufbauprozess |
Seit ihrer 1991er Gründung gelten die Baden-Württemberger Düstermetaller seit jeher als außergewöhnlich eigenwillige Metalcombo.
Auch großer Mut zu allerlei Innovationen wird der wandelbaren Formation um Sänger Felix Stass völlig zurecht nachgesagt. Ein Paradebeispiel für letzteres: Ende Mai 1996 veröffentlichte die Band ein selbstbetiteltes Album, welches erstmalig in der Historie von Crematory mit komplett deutschen Songtexten besungen wurde.
Von den Kritikern wurde diese Überraschungsscheibe zwar buchstäblich in der Luft zerrissen, die Fans jedoch honorierten den rücksichtslosen Kunstvorstoß der Urheber. Schlagzeuger Markus Jüllich, von Anfang an dabei, resümiert zu „Crematory“.
„Nachdem wir auf unserem zweiten Album ,...Just Dreaming‘ bereits den Titel ,Shadows Of Mine‘ teilweise in deutsch gesungen hatten und dieses Lied sehr erfolgreich war, hatten wir die Idee ein komplettes Album auf Deutsch aufzunehmen. Und das sollte auch musikalisch etwas anders werden - nämlich mehr Rock anstatt Metal. Wir hatten zur damaligen Zeit einfach Bock darauf, wollten mal etwas experimentieren und unserer damaligen zerstrittenen Plattenfirma kein richtiges Crematory-Album mehr geben.“
Die Umsetzung dieser Vorgehensweise fiel den Beteiligten bereits damals sehr leicht, wie sich Markus zurückerinnert, da Felix ohnehin immer zuerst deutsche Texte ausarbeitet, die später übersetzt werden.
„Wir hatten die Lyriken im Proberaum soweit ausgefeilt, dass sie anspruchsvoll genug waren, um auf Platte gepresst zu werden. Die Wortwahl muss bedacht überlegt sein. Denn auf Deutsch versteht man alles viel besser und im Englischen klingt sogar Scheiße gut, wenn sie toll gesungen wird.“
Kommt die damalige Umgehensweise der Musikmedien mit diesem Album auf den Tisch, findet der Fellverdrescher ebenso schnelle wie klare Worte.
„Totale Scheiße! Denn damals wurde mit uns nicht fair umgegangen, da einige Journalisten zu dämlich waren um unseren musikalischen Schritt nachzuvollziehen. Es gab zahlreiche schlechte Kritiken vonseiten der Presse, was uns damals sehr geärgert hat. Wir haben aber darauf geschissen, da wir mit dem Album direkt in die Charts eingestiegen sind.“ Genüsslich lachend fügt er hinzu: „Dieses erste deutsche Album ist bis zum heutigen Tage immer noch das am zweitbesten verkaufte Crematory-Album.“
Die Fans, so der Kesselwart, hatten das Album nämlich überwiegend sehr gut aufgenommen. Es folgt die Lässigkeit, für die Markus bekannt ist. „Man verliert mit jedem Album Fans und gewinnt neue hinzu. Heute noch fordern unsere Anhänger solche Lieder wie ,Ist es wahr‘, ,Ewigkeit‘ oder ,Flieg‘ mit mir‘ auf unseren Konzerten, was zeigt, dass wir doch eigentlich alles richtig gemacht hatten.“
Schon damals wurden die Songs des Drehers live von den Leuten sehr gut aufgenommen, so der Namensvetter des Autoren. „Wir spielten nach der Veröffentlichung eine Headlinertour mit Moonspell und The Gathering als Supportbands. Ebenso traten wir zu der Zeit auf zahlreichen Festivals auf, bei denen die deutschen Songs immer gut ankamen und es auch noch Jahre danach noch immer tun.“
Nachdem der Silberling auf den Markt kam, wurde die Band zunächst am allermeisten von den hervorragenden Verkaufszahlen überrascht. „Das lag daran, dass auch Fans aus dem Rockbereich, die ansonsten beispielsweise auf AC/DC und Billy Idol standen, die CD kauften und wir somit wesentlich mehr Leute erreichten als nur unsere treuen Metaller und Gothics. Niemand von uns hatte damals mit so einem riesigen Erfolg gerechnet.“
Crematory waren die ersten härteren Metaller, die sich überhaupt mit Keyboards zu musizieren trauten.
Waren sie auch die ersten mit deutschen Lyrics? Markus:
„Warlock mit Doro Pesch hatten das zuvor schon mal gemacht. Ich fand das ganz geil und es war auch eine Inspiration für uns. Wobei wir damals auch die meisten Fans in Deutschland hatten, bei denen wir uns mit einem deutschen Album für die tolle Unterstützung bedanken wollten.“
Nach wie vor steht der wuchtige Rhythmusschläger hinter jedem Album seiner Truppe.
„Zur damaligen Zeit war es genau das, was ich machen wollte. Und ohne Vorgängeralbum gäbe es kein Nachfolgealbum. Bei Crematory baut ein Album auf dem anderen auf. Und gerade diese Scheibe war in der ganzen Band für den musikalischen Entwicklungsprozess unwahrscheinlich wichtig. Jede Platte ist für die künstlerische Entwicklung wichtig und man lernt mit jedem Album dazu.“
Speziell der cleane, organische Drumsound, den Crematory im Studio benutzten, war damals etwas ganz Besonderes. „Da ja alle Metalplatten getriggert und gesamplet werden, hatten wir hierzu einen natürlichen und echten Schlagzeugsound, der live eingespielt wurde.“
Bei der Frage, was ihm dieses Album ganz persönlich bedeutet, erhellt sich das Antlitz des Drummers sichtlich. „Wir hatten damals eine sehr geile Zeit, waren auf dem Höhepunkt unserer Karriere und des Traums, ein Rockstar zu werden. An diese Zeit erinnere ich mich sehr gerne mit einem weinenden Auge zurück und bin froh das alles genau so gemacht zu haben.“
Dass das Nachfolgealbum „Awake“ ein Jahr später dennoch wieder mit englischen Texten erschien, hatte seinen Grund. „Weil das deutsche Album etwas Besonderes und nicht richtungsweisend sein sollte. Das war für uns damals als einmalige Sache geplant, weil wir einfach Lust darauf hatten und auf Wolke sieben schwebten. Wir wollten unsere musikalische Vielfalt uns selbst und den Fans unter Beweis stellen.“
2006 brachten Crematory erneut eine Veröffentlichung mit durchgehend deutschen Texten an den Start. „Wir dachten, dass zehn Jahre nach der ersten deutschen Veröffentlichung ein guter Zeitpunkt wäre um eine Fortführung zu erschaffen, was wir dann auch mit dem Album ,Klagebilder‘ gemacht hatten.“
Und so schlecht stehen die Chancen gar nicht mal, dass ein weiteres Crematory-Album mit gänzlich deutschen Texten veröffentlicht wird. Markus geriert sich neugierig.
„1996, 2006 und dann 2016? Wir sollten mal innerhalb der Band darüber nachdenken, 2016 wieder ein deutsches Album zu produzieren, da es zeitlich ja eigentlich an der Reihe wäre. Bock hätte ich darauf. Ich muss mal mit der Band reden und dann werden wir entscheiden was wir machen.“
© Markus Eck, 26.05.2014
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