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Interview: DARK FORTRESS
Titel: In unsichtbaren Sphären

Höchst wagemutige Ungewöhnlichkeit, und das auf jedem erschlossenen künstlerischen Gestaltungslevel: Mit „Ylem” legen diese passionierten Schwarzherzen entschlossen einen der seltsamsten Albentitel im gesamten Nachtstahlspektrum bislang vor, und auch die darin eingefangene bezwingende Schmerzausbruchsmusik beißt sich an allen Ecken und Enden hungrig aus den verkrusteten Genredogmen heraus.

Und wie für die aufrechten Black Metal-Visionäre Dark Fortress üblich, verströmen auch die lyrischen Texturen der neuen Kompositionen hochgradig Faszinierendes: Erzdunkel gestimmte Anrufungen an Endmeister Tod, durchzogen von der brennenden Daseinssuche nach Übersinnlichem. Fesselnd.

Die durch ihre surrealatmosphärische Anmut scheinbar weder im Dies- noch im Jenseits ansässigen Spiritistensongs auf „Ylem“ sind gar so derart beklemmender Natur, dass hilflos herbeizitierte Umschreibungen wie „albtraumhaft“, „verstörend“ oder „beängstigend“ glatt wie Kuschelkategorisierungen erscheinen. Uralten paranormalen Phänomenen und existenziellen Universalgeheimnissen also weiterhin beharrlich auf der Spur, gibt sich Gitarrist und Komponist Victor alias V Santura im Gespräch betont tiefgründig.

Zum Interviewzeitpunkt ist er mit der Band zusammen mit Shining und Posthum gerade auf Tour als Support für Satyricon.

„Auch wenn diese Tour gut einen Monat vor der Veröffentlichung des Albums stattfindet, ist es trotzdem eine hervorragende Gelegenheit unser neues Werk einem großen Publikum zu präsentieren. Außerdem werden wir im Februar noch eine kleine Headlinertour zusammen mit Serpent Cult und Farsot spielen.“

Dabei gibt es Tage an denen er nach einer Show von der Bühne kommt und völlig euphorisiert ist, so V Santura.

„Allerdings passiert mir das nicht oft, da ich sehr anspruchsvoll und selbst kritisch bin. Aber auf der laufenden Tour hatten wir schon einige Konzerte, die mich extrem begeistert haben, vor allem Paris und gestern Pratteln. Paris war für mich rein vom Feeling her die geilste Show seit Jahren. In ein eher zurückhaltendes Publikum eine zunehmende emotionale Verwässerung unserer Gesellschaft hinein zu interpretieren geht mir jedoch etwas zu weit. Es ist ganz simpel gesagt nur so, dass der Live-Markt, vor allem in Deutschland extrem übersättigt ist, weshalb es immer schwieriger wird die Leute mitzureißen.“

Der neue Sänger Morean hat sich laut Aussage des Griffbrettspielers sofort sehr gut in Dark Fortress integriert und wurde sehr schnell zu einem unverzichtbaren Bandmitglied.

„Er schreibt sämtliche Lyrics und ist nun auch ins Songwriting involviert – „Silence“ beispielsweise stammt komplett von ihm. Außerdem übernimmt er zusammen mit mir und unserem Drummer Seraph den größten Teil der Businessarbeit für die Band. Wir haben ehrlich gesagt überhaupt keinen Kontakt mehr zu unserem alten Sänger Matthias.“

Jedes neue Dark Fortress-Album ist eine neue Herausforderung für ihn, wie der Gitarrist zu berichten weiß.

„Die eigenen Ansprüche wachsen mit jedem neuen Album und ich für meinen Teil versuche jedes Mal den Vorgänger noch zu übertreffen. Ich denke, das ist durchaus ein sehr ambitioniertes Vorhaben. Ich möchte Musik erschaffen, die auch noch in vielen Jahren bestehen kann.“

Das Band-Klima innerhalb des Sextetts ist, so V Santura, prinzipiell ziemlich gut. Interne Probleme bleiben aber intern und werden nicht an die Öffentlichkeit getragen, so mein Gegenüber:

„Morean und Seraph leben beide in Rotterdam, währen der Rest der Band im „Großraum“ Landshut lebt. Das macht den Bandalltag natürlich extrem schwierig. Regelmäßiges oder gar wöchentliches Proben kommt somit absolut nicht in Frage. Vor wichtigen Shows oder Touren treffen wir uns und proben ein paar Tage intensiv zusammen. Ansonsten kommt uns die Tatsache zugute, dass wir, als wir alle noch in derselben Region gelebt haben, relativ viel und regelmäßig geprobt haben und somit als Band gut aufeinander eingespielt sind.“

Seitdem das Songwriting für das vorhergehende Album „Eidolon“ abgeschlossen war, durchlebte der Gitarrist gemäß eigenem Bekunden eine lange Phase, in welcher er nur sehr wenig kreativ war, fast zwei Jahre lang.

„Dementsprechend hat sich extrem viel kreative Energie in mir aufgestaut. Eigentlich musste ich im übertragenen Sinne nur mal meinen Keller aufräumen, ein bisschen rumstöbern, was so an Ideen in mir schlummert und dementsprechend habe ich in sehr kurzer Zeit den Großteil der Musik für „Ylem“ schreiben können. Dieses Mal war es so, dass die ersten Ideen und Songs von meinen Bandkollegen geschrieben wurden, „Silence“ und „Nemesis“, sowie Fragmente von „Redivider“ waren bereits fertig, bevor ich auch nur ein Riff für „Ylem“ hatte. Es war dieses Mal mein großer Wunsch, dass ich mich endlich mal nicht von Anfang an von einem festen Konzept einschränken lassen wollte. Ich wollte mich einfach hinsetzen und die Ideen fließen lassen. So zu komponieren war extrem befreiend und hätte ich noch einen Monat mehr Zeit gehabt, hätte wir gleich zwei Alben auf einmal aufnehmen können. Mein großes künstlerisches Ziel mit „Ylem“ war, das zu tun, was ich will beziehungsweise was wir wollen und auf Genregrenzen gelinde gesagt zu scheißen. Noch vor zwei Jahren hätten wir uns nie getraut einen Song wie „Wraith“ zu machen – jetzt stehen die Leute Kopf, weil sie so begeistert sind. Na ja, und andere werden für dieses Stück wohl nur Unverständnis haben. Aber wir sagen etwas aus, musikalisch und textlich. Das gibt uns ein Gesicht. „Evenfall“ ist ein anderes Stück, mit dem wir unsere bisherigen Grenzen extrem sprengen. Dieser Song ist ehrlich gesagt bestimmt fünf oder sechs Jahre alt, er entstand irgendwann zu „Stab Wounds“-Zeiten, aber erst jetzt waren wir als Band reif genug, dieses Stück ganzheitlich zu verwirklichen.“

Wenn es um die Musik an sich geht, so gab es für „Ylem“, wenn überhaupt, nur unterbewusste Einflüsse, wie der Gitarrist verkündet.

„Welche Bücher etc. unseren Sänger konkret beeinflusst haben die Texte von „Ylem“ zu schreiben, kann ich nur unzureichend beantworten. Die Inspiration reicht sicherlich vom Alten Testament („The Valley“) über ägyptische Mythologie (offensichtlich „Osiris“) bis zu Crowley („Redivider“) oder David Lynch („Sycamore Trees“), kann aber auch einfach in der Realität („Hirudineans“) liegen.“

„Ylem“ ist dieses Mal kein klassisches Konzeptalbum, auch wenn sich die Texte im weitesten Sinne um ein Thema drehen, so V Santura im Weiteren:

„Der Begriff „Ylem“ beschreibt den hypothetischen Originalzustand aller Materie vor dem Urknall, beziehungsweise die Ursubstanz aus der alles entstanden ist. Die Rückkehr zu diesem Urzustand des „Ylem“ würde gleichzeitig das Ende des gesamten Kosmos bedeuten. Dieser Prozess ist unvermeidlich, auch wenn er vielleicht erst in vielen Millionen Jahren passieren wird. „Ylem“ steht somit auch symbolisch für den unabwendbaren Tod und das Ende von allem. Die meisten Texte auf „Ylem“ sind also Todesinvokationen, jedoch aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.“

Wie mir der eigenwillige Saitenmann nachfolgend auf meine spezielle Fragestellung hin offenbart, kann er sich sehr wohl in den Songs von Dark Fortress verlieren.

„Eigentlich ist es das am meisten befriedigende Gefühl, sich als Künstler zum ersten Mal sein vollbrachtes Werk anzuhören und völlig darin zu versinken. Wenn man sich in seiner Arbeit völlig selbst verlieren kann, ist das eigentlich ein großes Geschenk. Ich hör’ mir die Demoversionen von den Songs teilweise dutzende Male an. Wenn das Album dann endlich fertig produziert ist, brauche ich aber erstmal Abstand.“

Wir setzen uns anschließend mit dem Genre Black Metal an sich auseinander, beziehungsweise welche wichtigen Impulse gegenwärtig überhaupt noch davon ausgehen.

Der Gitarrist ist jedenfalls der Meinung, man sollte nicht auf der Stelle treten und seine Wurzeln nicht verleugnen, aber trotzdem für neue Einflüsse und Inspirationen aller Art offen sein:

„Ich habe nicht das Gefühl, dass das Genre völlig stagniert. Ich habe vor kurzem beispielsweise die französische Band Celeste entdeckt. Auch wenn sich diese Gruppe anscheinend eher einer anderen „Szene“ zugehörig fühlt, empfinde ich die Musik und die optische Präsentation durchaus als Black Metal, aber mit Einflüssen aus ganz anderen Ecken (Meshuggah, Cult Of Luna, Neurosis etc.). Sehr interessant! Auch „neuere“ Bands wie Wolves In The Throne Room zeigen, dass das Genre immer noch interessant ist – und ich bin überzeugt, dass wir mit „Ylem“ auch neue Wege beschreiten.“

Und was die von mir danach angesprochene Verkommerzialisierung des Schwarzmetallmetiers betrifft, dazu lässt mein Gesprächspartner verlauten:

„Na ja, dieses Problem ist nicht wirklich besonders aktuell oder neu, sondern mindestens zehn Jahre alt. Ich habe kein Problem damit, wenn es Musikern vergönnt ist, von ihrer Musik zu leben. Nur hat das Genre durch die Verkommerzialisierung leider auch gleichzeitig fast komplett seine mystische Aura verloren. Aber ich bin niemand, der den „guten alten“ Zeiten nachtrauert. Für mich ist es auch heute noch spannend neue Musik zu erschaffen und dabei ist es mir herzlich egal, ob ein paar T-Shirts von anderen Bands etwas zu bunt sind oder nicht.“

Apropos bunt: Kann ein spezieller Mensch wie V Santura überhaupt moderne TV-Formate wie beispielsweise „Superstar“- oder „Topmodel“-Ausschweifungen etc. ertragen ohne sich übergeben zu müssen? Er nimmt es locker:

„Du müsstest mich eher fragen, ob ich TV sehen kann ohne zu lachen. Überhaupt, stell dir vor, du blickst als neutraler Beobachter auf diese unsere Welt, ohne darin involviert zu sein: Das Treiben der Menschheit ist teilweise so absurd, dass es schon eine gewisse Komik in sich birgt. Und genau diese Komik sehe ich vor allem bei den von dir angesprochenen Fernsehprogrammen. Aber ganz ehrlich: Ich hab’ überhaupt keine Zeit, um mir den ganzen Schrott rein zu ziehen.“

© Markus Eck, 16.12.2009

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