Interview: | GRABNEBELFÜRSTEN |
Titel: | Vertonte Seelenschlachten |
Wer den wahren Wert dieser auf kreativen Ebenen stetig steigerungsbereiten Black Metal-Individualisten bereits erkannt hat, der zählt wohl zu den wenigen wirklich begeisterungsfähigen Seelen in diesem bereits seit Jahren vollkommen übersättigten Metier. Was im Jahr 2000 mit dem Demo „Sakralästhetik“ begann, das führten diese eigenwilligen Avantgardisten mit den beiden Alben „Von Schemen und Trugbildern“ und „Dynastie – oder wie man Herrschaft definiert“ zielsicher und unbeirrt fort.
Das aktuelle dritte Studioalbum „Schwarz gegen Weiß“ zeigt die tiefsinnig düstere Formation mit dem obskuren Bandnamen erneut in überraschend vielseitig schillernden Facetten, und das nicht nur in musikalischer, sondern auch wieder in lyrischer Hinsicht. Sturm deiner Winter, bekanntlich Sänger und Hauptkomponist dieser ebenso aggressiven wie emotionalen Grollpoeten, schätzt die moderne Gesellschaft jedoch ganz nüchtern betrachtet als logisch ein.
„Ich kann da nur für mich selbst sprechen. Es ist zu leicht, die Gesellschaft zu verabscheuen, das ist so ein typisches ´Keiner versteht mich´-Prinzip. Der Mensch ist eine hochkomplexe Maschine, die jeden Computer übertrifft, denn er besitzt immer noch Reste von Verstand, das heißt, er kann denken, bevor er handelt. Der Verstand ist also unser aller Hoffnung, gesetzt der Prämisse, unser Ziel sei eine etwas schönere Welt, wie auch immer man diese selbst definieren würde. Es ist quasi natürlich, dass der Mensch seine Fähigkeiten nutzt, dass ihn seine Triebe steuern und dass er zuerst sich selber sieht. Es mag sie geben, die altruistischen Meister der Herzen, doch das Menschengeschlecht gebärt sie selten. Der Egoismus ist der Schlüssel zum Verständnis der Geschehnisse, die technischen Möglichkeiten des Menschen nicht zu nutzen hieße dem Egoismus zuwider zu handeln. Die Menschen in den westlichen Gesellschaften bauen sich eine technologische Ellbogengesellschaft, in der man leicht unter die Räder kommt. Gleichzeitig verlangen wir scheinbar nach einer durchsexualisierten Gesellschaft, die ganz klar den Menschen nach der Optik und nicht nach Charakter klassifiziert. Körperkulte gepaart mit technischen Errungenschaften und dem Verlangen nach Statussymbolik zeichnen unser Bild der Wirklichkeit. Wie kann man es dem kleinen Individuum verdenken, wenn es aufgrund der Bombardierung an dieser Botschaft zugrunde geht und die Instinkte und Triebe mit ihm durchdrehen? Der freie Wille ist häufig doch nur Illusion. Von all dem spricht man sich in der schwarzen Szene oft frei. Aber warum existiert hier ebenso ein scheinbar unabdingbarer Dresscode, warum Starkulte? Die Illusion, der großen Familie der geistig noch gesunden Elite anzugehören ist Symptom des gleichen Verfalls, den man beklagt. Dennoch verabscheue ich bewussten Nihilismus, auch der kleinste Strohhalm lohnt ergriffen zu werden.“
Im Schema Schwarz gegen Weiß werden laut dem Vokalisten die Gefechte der einzelnen Charaktereigenschaften im Individuum, um die endgültige Ausprägung desselben, ausgefochten. Existiert das Gute im Menschen, wird man als böser Mensch geboren? Welchen Wert besitzen Worte wie Gut, wie Böse?, bemerkt er fragend, nachdenklich.
„Die Texte unseres dritten Albums beinhalten allerhand Kontroversen, die das lyrische Ich in sich, mit sich und gegen sich führt. Gegensätze markieren das Fundament dieses Albums. Es gibt Textpassagen wie beispielsweise in `Der Traum`, die zugleich demütigen, aber auch Hoffnung spenden. Das Ich hasst und liebt sich, denn in der Selbst-Reflektion entdeckt es allerlei Gründe, beiden Emotionen gleichermaßen zu erliegen. „Schwarz gegen Weiß“ zeigt niemandem einen Ausweg aus der Misere des eigenen Lebens und ist keines Rätsels Lösung. Man geht unwissend in das Album hinein und verlässt es unwissend. Es stellt Fragen, auf die es keine Antworten gibt und gibt Antworten auf undefinierbare Fragen. In dem Moment, wo der Besitzer der CD aufgrund der Texte anfängt nachzudenken, hat „Schwarz gegen Weiß“ auf der gedanklichen Ebene sein Möglichstes geleistet.“
Das neue Albumcover hat wieder Meister Aran von den Black Metal-Kollegen Lunar Aurora gemacht. „Natürlich sind wir mit ihm zufrieden, sonst hätten wir ihn nicht zum dritten Male gebeten, für uns zu zeichnen.“
Was Black Metal angeht, so konsumieren die Grabnebelfürsten zumeist Bands aus Deutschland, wie zu erfahren ist. Mein Gesprächspartner ist sich sicher:
„Nicht aus schwachsinnigen nationalen Motiven, sondern weil die deutsche Szene die beste weltweit ist. Namen wie Darkend Nocturn Slaughtercult, Nocte Obducta, Fornost, Lunar Aurora, Secrets Of The Moon, Dark Fortress, Fjoergyn, Vinterriket und viele andere stehen für äußerst ideenreiche und absolut individuelle Kunst. Aber natürlich sind wir als stilistisch offene Musiker auch in vielen anderen musikalischen Gefilden beheimatet. Iron Maiden bleibt für mich die Metal-Formation schlechthin, trotz etlicher schwacher Songs.“
Die Band hat in Sachen Live-Gigs noch viel lernen, wie Sturm deiner Winter nachfolgend ganz offen zugibt. „Wir besitzen einfach noch nicht genug Routine, arbeiten aber ständig an unserem Fortkommen. Ich denke, dass wir im Laufe der Zeit zu einer sehr intensiven und guten Live-Band mutieren können, wenn das jedes Bandmitglied unbedingt will.“
Und was die bisherigen Reaktionen der Presse zu den vorhergehenden Alben betrifft, sieht der Stimmbandakrobat keinen Grund sich zu beschweren. „Wir bekommen sowohl zu gute als auch zu schlechte Reviews, meist eher zu gute. Unsere beiden Alben waren sicher interessante und gute Werke, aber meiner Meinung nach noch keine Meilensteine, garantiert aber auch keine Null-Punkte-Rohrkrepierer.“
Reaktionen bezüglich des neuen Werkes „Schwarz gegen Weiß“ erhofft er sich im Gegenzug überhaupt keine. „Wir haben alles gemacht, was wir bis dato konnten. Es ist einfach ein Irrtum, wenn ein Musiker an sich zweifelt nur aufgrund der einen oder anderen schlechten, häufig oberflächlichen Kritik. Es ist ebenso ein Irrtum, wenn Musiker sich wie arrogante Rockstars benehmen, nur weil ihr Werk Erfolg hat. Musik muss bluten, „Schwarz gegen Weiß“ blutet. Ich habe erst wenige Reaktionen dazu erhalten. Ein oder zwei Leute fanden die Platte eher enttäuschend, ansonsten habe ich circa zehn Stimmen vernommen, die ziemlich angetan klangen.“
Wir kamen auf den vollzogenen Labelwechsel zu sprechen. Ketzer Records ist für den Sänger nach wie vor ein sehr gutes und engagiertes Underground-Label, welches er jeder ambitionierten Band nur empfehlen kann. „Alex ist 100%ig loyal gegenüber seinen Bands und scheißt auf Trends. Ich wünsche ihm für die Zukunft nur das Beste, denn Leute wie er, denen es in erster Linie um die Sache geht sind selten. Leider mussten wir wechseln, denn wir haben bereits bei Ketzer über den normalen Umständen gearbeitet und haben Produktionen bezahlt, die selbst laut Alex´ Worten die Dimensionen von Ketzer überstiegen. Wir konnten einfach nicht ewig unsere teuren Produktionen selbst bezahlen. Unsere Musik ist zu vielschichtig, als dass wir Proberaum- oder Analogaufnahmen für ein Album verwenden könnten. Bislang war der Wechsel zu Black Attakk ein guter Schritt. Wir fühlen uns dort bestens aufgehoben.“
Das neue Label der Grabnebelfürsten brachte ja erst vor kurzem eine erneute Veröffentlichung im Digipak von „Von Schemen & Trugbildern“ heraus. Mich interessierte, ob wirklich eine solch große Nachfrage nach dieser Scheibe besteht: „Laut Black Attakk schon. Ich selbst kann mir da kein Urteil bilden. Die Erstauflage betrug immerhin 2.000 Einheiten und ich denke, dass das eine große Zahl ist, auch wenn andere Bands viel, viel mehr verkaufen.“
Die Band hat das neue Album wieder mit Armin Rave von Pavor produziert. Dieses Mal sind sie mit dem Klang auch ziemlich zufrieden. „Armin hat ohne Ende Herzblut in „Schwarz gegen Weiß“ fließen lassen und uns eine Menge Studiozeit gratis geschenkt, damit wir unser Budget nicht sprengen mussten. Es ist gut, dass uns Markus Stock die Produktion zur Dynastie damals abgesagt hat.“
Im Wesentlichen ist diese neue Silberscheibe insgesamt schon nach Vorstellung der Beteiligten ausgefallen, wie mir zu Protokoll gegeben wurde. „Wir wollten einen warmen, druckvollen Sound, den haben wir bekommen. Gemessen an den Schwierigkeiten, die wir in der Vorbereitung hatten, können wir sehr zufrieden sein, dass soviel Material zeitig fertig wurde.“
Und die aktuelle Platte ist durchweg stark, wie Sturm deiner Winter befindet. „Meiner Meinung nach wird die CD lediglich von der letzten Veröffentlichung von Secrets Of The Moon und den großartigen „Nektar“-Alben von Nocte Obducta, der besten deutschen Dunkelcombo, getoppt. Aber das ist Geschmackssache.“
Ziele beim Erarbeiten der neuen Songs wurden so einige verfolgt. Wir erfahren: „Wir wollten Aggression mit tief greifender Atmosphäre verbinden. Ich hoffe, wir haben dieses Ziel erreicht. Die neuen Lieder entstanden im Zeitraum der letzten eineinhalb bis zwei Jahre, so genau weiß ich es nicht mehr. Hauptverantwortlich in punkto Songwriting war erneut ich, aber das ist unwichtig. Wichtiger ist, dass wir seit „Dynastie“ wesentlich homogener zusammenarbeiten. Auch in den von mir geschriebenen Songs stecken haufenweise Ideen der anderen. Ich wollte Grabnebelfürsten immer als Einheit dargestellt wissen, denn ich hasse es, im Mittelpunkt der Band zu stehen. „Schwarz gegen Weiß“ ist weniger Sturm Deiner Winter als vielmehr Grabnebelfürsten im Kollektiv.“
„Schwarz gegen Weiß“ ist in sich kompakter, harmonischer und klingt nicht mehr so destruktiv und selbst zerfleischend, wie mir der Sänger bekundet. „Genau so wollten wir es. Man wird hier und da sagen, wir hätten nach kommerziellem Erfolg geschielt, aber dieses Auge ist bei uns blind.
Und wie immer kamen für den Maincomposer keinerlei musikalische Einflüsse zur Geltung, entgegnet er mir. „Zumindest bei mir nicht. Ich weiß gar nicht, warum Bands immer sagen, dass man ohne musikalische Einflüsse nichts erschaffen kann. Was ist das denn für eine Herangehensweise an eigenes Material?“, fragt er zurecht. „Ich liebe und verehre viele Bands unterschiedlichster Musikrichtungen, aber ich will sie doch nicht nachahmen. Unbewusste Einflüsse schließe ich aber nicht aus. Der Mensch ist komplex und ich habe ihn noch nie verstanden.“
Sturm deiner Winter hat die massiven autobiographischen Züge der „Dynastie“-Veröffentlichung seiner Aussage nach beiseite gelassen und diesmal mehr fiktive Geschichten geschrieben. „Ich weiß schon ganz genau, worin ich selbst über mich erzähle. Andere müssten mich in diesem Punkt sehr gut kennen. Ich glaube nicht, dass sich viele Leute allzu große Gedanken über meine Person aufgrund der „Dynastie“-CD gemacht haben, dennoch ist es mir wichtig, dass die Gedanken in den neuen Texten mehr objektiv denn subjektiv ausgefallen sind. Vielleicht laden sie gerade deswegen zur emotionalen Verbundenheit ein, weil man sich in ihnen auch selbst wieder finden kann?“ Sechs letzte Worte an dieser Stelle, an Verehrer und Hasser gerichtet, konnte ich dem Kerl abschließend noch entlocken. „Grabnebelfürsten ist nicht Mittelpunkt Eures Lebens.“
© Markus Eck, 11.05.2005
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