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Interview: HÄMATOM
Titel: Voll drauf!

Zeit, den gut gepolsterten Kopfschutz wieder aufzusetzen! Kinnriemen besonders straff zuziehen, versteht sich.

Denn die vier fränkischen Modern Thrash Metal-Maskenschergen schlagen wieder mal mit schonungsloser NDH-Faust zu, ganz dem Bandnamen entsprechend. Frisch auf die Mütze haut der sportliche Vierer die neue Jubiläumsveröffentlichung namens „X“, die sich als ebenso inhaltsreich wie linientreu und mit Hingabe gemacht erweist.

Akustisch und visuell schütteln einem Hämatom mit dieser limitiert auf den Markt kommenden Packung die Denkmurmel ganz ordentlich durch. Für Schlagzeuger Süd fühlt sich das aktuelle Jubiläum eigentlich gar nicht nach zehn Jahren an, wie er cool offenbart.

„Wir sind gerade erst warm gespielt, der Motor läuft auf Hochtouren, jetzt geht‘s erst richtig los. Man muss auch sagen, dass die ersten fünf Jahre unserer Bandhistorie wohl eine große Findungsphase waren. Wir hatten sehr viel Spaß dabei, haben viel - auch im Nachhinein nicht immer ernst zu nehmenden - Unfug getrieben und eben ausgelotet, was unsere Stärken und Schwächen sind. Es war ein teilweise sehr steiniger und umständlicher Weg, den die Band aber wohl gehen musste, um nun da zu stehen, wo sie steht.“

Hätten die Beteiligten denn in den Anfängen überhaupt gedacht, so weit zu kommen und so viel Erfolg zu haben?

Der Drummer kommt ins Überlegen:

„Gehofft haben wir es natürlich. Doch kann ich mir momentan irgendwie nicht wirklich vorstellen, wie sich der heutige Erfolg aus der damaligen Sicht heraus sozusagen anfühlt. Erfolg ist auch relativ. Sicherlich, wir haben einiges erreicht, vor allem in den letzten fünf Jahren. Aber wir sind noch lange nicht da, wo wir eigentlich hin wollen. Wir müssen und wollen am Ball bleiben. Und das, was die letzten fünf Jahre passiert ist soll ausgebaut werden. Die ersten fünf Jahre unseres Bestehens waren eher schleppend. Da gab es schon diverse Konzerte, bei denen sich die Zahl der Bandmitglieder und die der Zuschauer die Waage gehalten hat. Jetzt passiert gerade viel um Hämatom, was natürlich eine große Bestätigung unseres Schaffens ist, sodass auch vieles leichter fällt und uns stark dazu motiviert, Vollgas zu geben.“

Die Idee zu „X“ hat sich im Laufe eines Jahres entwickelt, so der wilde Kesselprügler rückblickend.

„Dabei war durchaus auch Input von außen hilfreich, also von Label und Vertrieb sowie von befreundeten Musikern. Wir wollten unbedingt ein Jubiläumsprodukt veröffentlichen und dazu touren. Dabei war uns aber klar, dass es keine uninspirierte Zusammenstellung alter Songs alleine sein darf. Eine ausschließliche Best-Of-CD im klassischen Sinne war uns zu wenig. Die oft daraus resultierenden Kritiken von Fans, dass solche Tonträger Geldmacherei seien, wollten wir vermeiden. Also ist die verrückte Idee zu ,X‘ entstanden, das wohl aufwendigste Zwischenprodukt, welches je veröffentlicht wurde: Doppel-CD mit 10 neu aufgenommenen und gemixten Best-Of-Songs, zehn Coverversionen sowie zwei neu geschriebenen, bisher unveröffentlichten Hämatom-Songs. Das Ganze dazu noch im schicken, geprägten Metall-Case.“

Die Unterhaltung geht im Weiteren konkret zu den zwei neuen Studio-Kompositionen „Teufelsweib“ und „Leichen pflastern unsern Weg“ über. Laut Meinung von Süd sind diese sehr unterschiedlich, doch trotzdem immer Hämatom.

„,Teufelsweib‘ hat einen sehr getragenen pathetischen Refrain, hieran könnte auch der ein oder andere Gothic-Fan großen Gefallen finden. Auch inhaltlich wird hierbei mal nicht im Hämatom-Stil abgekotzt, sondern wir transportieren vermehrt Emotionen.“ 


So schildert „Teufelsweib“ die freigesetzten Gefühle des Protagonisten. „Der Mann ist dem ,Teufelsweib‘ verfallen, will ihr jeden Wunsch erfüllen, würde dabei bis zur Selbstaufgabe gehen.“


Mit „Leichen pflastern unseren Weg“ halten die harten Typen der Gesellschaft hingegen mit viel Wut im Bauch einen Spiegel vor, indem sie den Status Quo des gesellschaftlichen Benehmens über Generationen hinweg umreißen.

„Der Song ist 100 % Hämatom: Nämlich musikalisch voll auf die Fresse und inhaltlich geht es darum, mal wieder so richtig Dampf ablassen, sich auskotzen über eine Gesellschaft, die am Ende immer mit Gewalt und Kriegen eine Lösung der Probleme erzwingen möchte und daran scheitert.“

Obwohl diese Krachknechte in der Regel in einem sehr demokratischen Gefüge komponieren und dabei jeder zu jedem Lied seinen Teil beiträgt, so der Stockschwinger, war bei den beiden neuen Songs speziell Gitarrist Ost der Federführende. „Er hatte kurz nach unserer Entscheidung, dass wir zwei unveröffentlichte neue Songs auf ,X‘ packen wollen, einen hohen kreativen Output und lieferte in kürzester Zeit diese beiden tollen Tracks.“

Was nun die Zeitspanne angeht, welche die gesamte Zusammenstellung und das Songwriting in Anspruch nahm, so haben Hämatom dafür im Februar den ersten musikalischen Spatenstich vollzogen. „Es wurden zunächst allererste Coverversionen ausprobiert. Fertig gemixed und gemastered war das ganze Werk dann Ende August.“ 



 Die Auswahl der Coverversionen war manchmal zeitintensiver, so der Beckenschinder, da nicht alle ausgewählten Originalsongs sofort oder überhaupt so funktionierten, wie die Musiker sich das zunächst vorstellten. 



„Zum Beispiel haben Songs, die eine ähnliche Instrumentierung und Attitude wie wir hatten, nicht wirklich funktioniert oder keinen Reiz erzeugt. Deshalb haben wir auch bei der Songauswahl schlussendlich auf Lieder zurückgegriffen, die genrefremd gegenüber der Musik von Hämatom sind. Letzteres, um den bestmöglichen Effekt beziehungsweise die optimalste Veränderung zu erzielen.“

Die Zusammenstellung der Best-Of-Songs ging hingegen trotz einiger Diskussionen relativ zügig voran, freut sich der Rhythmusmacher.

„Wir sind dabei demokratisch vorgegangen, was bedeutet, dass bei Unstimmigkeiten über einzelne Songs einfach mehrheitlich abgestimmt wurde.“

In der Zusammenarbeit der einzelnen Bandmitglieder für den neuen Release rieben sich die einzelnen Individuen mitsamt Ansichten zuweilen auch heftig aneinander.

„Aber wir kennen uns schon lange und das Team funktioniert, auch wenn mal die Fetzen fliegen und meinem persönlichen Geschmack nach zu viel diskutiert wird. Am Ende des Tages zeigt sich aber immer wieder, dass das Besprechen sehr wichtig ist, um Hämatom auf den Punkt zu bringen.“


Das Begleitbuch der inzwischen ausverkauften ,Limited-Freak-Box‘ war auch für die Band eine ganz besondere Zeitreise. „Wir wollen mit den darin zu sehenden Bildern und Texten unsere persönliche Bandbiografie näher bringen: Wie hat alles angefangen? Was war unsere Intention? Was ist schief gelaufen, usw. Nichts sollte fehlen, auch eben die Niederlagen nicht, von denen es schließlich nicht nur wenige gab. Da wir von Anfang an mit Masken und Verkleidung probiert haben, gibt es auch dazu sehr interessante und lustige Bilder, die diese Phase sehr schön visuell dokumentieren. Auch der mühselige Weg der Entwicklung eines CD-Covers wird sehr schön durch viele Bilder dieser vielen grafischen Versuche illustriert. Man sieht sozusagen jeweilige Zwischenstände langer Diskussionen in vielen Bildern. Neben den typischen Aufnahmen von der Band auf der Bühne gibt es natürlich Backstagematerial, Studiobilder, Bilder von Fantreffen und sehr vieles mehr.“

Die „X“ beiliegende DVD zeigt alle Videoclips der Bandgeschichte, was laut Süd auch unbedingt dazugehört. „Von Anfang an war Hämatom wie schon erwähnt eine Band, die das visuelle in ihre Songs mit einbinden wollte. Diese Tatsache hatte eben auch zur Folge, dass wir schon in der Frühphase Videos drehten. Während dabei das erste Filmchen noch sehr schrottig daher kam, wurde schnell auch Geld unsererseits in die Hand genommen, um mit besserem Kameraequipment produzieren zu können. Unser damaliger Musikproduzent hatte im Prinzip auch eine Videoproduktionsfirma und konnte uns hierbei viel helfen. Und jetzt steckt die halbe Band im filmischen Produktionsapparat mit drin und produziert auch für andere Künstler Videos. Bei Hämatom hat die Zahl der Videos zu jeweiligen Veröffentlichungen in den letzten Jahr sehr stark zugenommen, so dass wir inzwischen auf eine beachtliche Videografie zurückblicken können. Letztere geben wir jetzt mit der limitierten ,Freak-Box‘ auch als DVD in kompakt geordneter Form mit nach draußen, so dass man, ohne groß auf Youtube etc. danach zu suchen, einfach in Ruhe auf dem Sofa Hämatom in bester Qualität auf seinem Flatscreen gucken kann.“

Sein persönlicher Lieblingsclip ist gerade „Teufelsweib“, wie der Trommler durchblicken lässt.

„Ein meiner Meinung nach sehr ästhetisches Video, welches auch viel Interpretationsfreiraum lässt. Hier wird keine eindimensionale Story erzählt, vielmehr sollen die Bilder musikalische Emotionen unterstützen. Natürlich hat man als Beteiligter der Dreharbeiten eine andere Beziehung zu so einem Film. Schließlich war es ein sehr langer und aufwendiger Dreh über 24 Stunden, der an unser aller Kräften gezehrt hat plus die Vor- und Nachbereitung. Ich denke, dass er für alle Beteiligten, besonders für die Darsteller, die auch die ein oder andere Grenze zu überschreiten gezwungen waren, eine besondere Herausforderung war.“

Demnächst geht es für die fränkischen Modern Thrasher auch gen Russland.

Die dortige Tour vollzieht sich unter dem Titel „Hämatom over Russia“.

„Den persönlichen Kontakt hatten wir bisher Richtung Osten nur in Polen und Bulgarien, aber noch nicht in Russland, das folgt jetzt. Auf deren sozialer Plattform VK wird auch schon eifrig über Hämatom gepostet, aber erst in einigen Wochen werden wir zu diesem Punkt richtig viel sagen können. Ich denke, die musikalischen Zentralen Russlands sind Moskau und St. Petersburg. Wofür uns die Fans dort am meisten schätzen? Darauf sind wir selbst schon sehr gespannt!“

Jedes fremde Land bringt sowieso neue spannende Abenteuer mit sich, ergänzt Süd im Weiteren.

„Und darüber freuen wir uns. Ich persönlich liebe Nachtfahrten in russischen Zügen, was derzeit auch auf dem Plan steht. Mal schauen wie ich das mit der Band Hämatom erleben werde. Ansonsten ist Russland teilweise schon eine andere Welt im Hinblick auf den Enthusiasmus, den die Fans dort freisetzen. Und das, ohne jetzt unseren wahnsinnigen Freaks hier im Lande nahe treten zu wollen. [lacht] Ich denke, uns werden da richtig große Hämatom-Parties erwarten!“

Aus Anlass der aktuellen Dekade in Sachen Bandjubiläum dazu befragt, wo sich sich Hämatom selbst in zehn Jahren sehen, gerät die Miene des Schlagzeugers in sichtliche Aufbruchsstimmung.


„Erstmal werden wir uns als nächstes auf das Arbeiten an einem neuen Studioalbum konzentrieren, was wieder eine große Herausforderung an uns stellt, da wir uns nicht mit lauwarmen Kompromissen abgeben wollen. Aber wir haben neben vielen neuen Songideen auch große Ideen, was unsere Bühnenshow angeht, die aber bisher nicht zu finanzieren waren. Möglicherweise sind uns in zehn Jahren diesbezüglich nicht mehr so die Hände gebunden, wir werden sehen. Und außerdem sehen wir uns in zehn Jahren noch vermehrter im Ausland. Das ist derzeit eine große Vision bei uns, die durch einige Zeichen bestätigt wird, beziehungsweise wir ermutigt werden daran zu arbeiten.“

© Markus Eck, 22.10.2014

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