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Interview: KREATOR
Titel: Schonungslose Portraitierung

Voll auf den Punkt gebracht: Der Titel des brandneuen Album-Donners dieser verdammt beißfreudigen Notenfolterer aus Essen könnte das aktuelle Zeitgeschehen wohl nicht besser und treffender beim Namen nennen.

„Phantom Antichrist“ betitelt, haben Kreator damit tatsächlich ein vernichtend gutes Werk am Start, dem keine noch so eiskalte Leichenstarre auch nur eine Sekunde widerstehen kann. Und die übermächtigen Thrash Metal-Titanen um Sänger und Gitarrist Miland ‚Mille‘ Petrozza knüpfen damit nicht nur erfreulich nahtlos an den anhaltend begeisternden 2009er Album-Vorgänger „Hordes Of Chaos“ an. Sondern diesmal wächst der bekanntlich extrem spiel- und tourfreudige Idealisten-Haufen insgesamt glatt sinnbildlich über sich selbst hinaus.

So ist „Phantom Antichrist“ ein bezwingend dominantes Artefakt an wahrlich monumentalem und zeitlos brillantem Thrash Metal-Terror geworden, welches dem noch immer gefährlichen Wind metallischer Trends und stilistischer Zeitströmungen wohl schier auf ewig stabil standhalten kann.

Sämtliche Trademarks, welche das Quartett aus Nordrhein-Westfalen jemals auf der Habenseite verbuchen konnte, wurden für die neue Veröffentlichung nämlich bis ins jeweilige Extrem kultiviert.

Damit steht der Vierer auf dem absoluten Zenit seines Schaffens. 30 (!) Jahre existiert die Band zudem bereits, was allein schon nicht wenig Staunen macht.

„Zu dem Albumtitel ,Phantom Antichrist‘ wurde ich inspiriert, als ich in irgendeiner Radiosendung eines Tages davon hörte, dass Osama Bin Laden nach jahrelanger ,intensiver‘ weltweiter Suche von den Amerikanern und all ihren ,Verbündeten‘ schließlich auf einmal urplötzlich getötet wurde, und darauf hin eilig in irgendeinem arabischen Meer mittels einer Art Seebestattung versenkt worden ist. Letzteres geschah angeblich aus einer Vielzahl von diffusen ,wichtigen‘ Gründen, die bis heute wohl wirklich nur die allerwenigsten Menschen auf dieser Welt verstehen. Angeblich musste die Seebestattung aus religiösen Gründen vollzogen werden, obwohl es innerhalb des muslimischen Glaubens ja gar keine Bestattung auf See gibt. Das brachte mich arg ins Nachdenken, wie es denn damals nun wirklich gewesen sein mag, damals am elften September 2001 mit der großen Tragödie am World Trade Center. Es ließ mich nicht mehr los, darüber zu sinnieren, wer denn die wahren Hintermänner und Akteure hinter dem Ganzen waren. Schließlich hat das Ereignis die Welt nachhaltig verändert. Doch diesmal, beim Tod Bin Ladens, konnte man beobachten, dass der Vorfall nur mittels einiger knapper Erwähnungen verbreitet wurde. Und das, nachdem dieser geheimnisvolle Mann für eine ganze Dekade in globaler Manier kontinuierlich als der große Weltfeind Nummer eins nach allen Regeln der Kunst verteufelt wurde. Nachfolgend las und hörte man eigentlich nichts mehr davon. So blieb die essentielle Frage in mir: Was zur Hölle versuchen uns die Medien eigentlich immer wieder zu erzählen?“, weiß Freigeist und Dauer-Thrasher Mille zunächst den Hintergrund zur Hautthematik der neuen Langspiel-Attacke von Kreator zu umreißen.

So ist „Phantom Antichrist“ zwar thematisch nun nicht direkt als klarer Bezug auf Bin Laden und das Drumherum zu verstehen, so der Sänger und Gitarrist weiter.

„Doch der rote lyrische Faden des neuen Albums zielt dennoch auf den Kontext ab, dass eine vorangestellte bestimmte Person beziehungsweise eine konspirative Vereinigung von Interessenkreisen die alte Weltordnung sinnbildlich in Schutt und Asche legt, um eine neue Gesellschaftsordnung zu installieren. Und da mit Religionen noch immer am meisten bewegt werden kann, dienen Glaubensbelange diesen ,Erneuerern‘ als probates Mittel zur Umsetzung ihrer diabolischen Ziele. Man mag mich dabei ja gerne naiv nennen, oder man möchte mich auch von mir aus einen Utopisten schimpfen, aber ich bin der festen Meinung, dass Religionen im Jahr 2012 doch mittlerweile wirklich obsolet sein sollten. Und genau an diesem speziellen Punkt setzt das neue Album auch an. Die inhaltliche Botschaft der Scheibe lautet eigentlich, dass der Menschen am besten nicht an irgendeine Religion glauben sollte. Dass er keine ihm eigentlich fremden Götzen anbeten sollte. Sondern der Mensch sollte im Sinne seines eigentlichen geistigen Wesens am allerbesten nur an sich selbst und seine Fähigkeiten glauben. Denn dies ist letztlich um so viel stärker, als es je eine Religion sein könnte.“

Bedenkt man dabei die leidige Tatsache, dass ein nicht unerheblicher Teil der gesamten Menschheit sich auch noch ganze 2012 Jahre nach der angeblichen Geburt eines religiösen christlichen Eiferers tagtäglich gegenseitig hasst, verabscheut, denunziert, unerbittlich bekriegt und bestialisch umbringt, gehen einem die Worte des Kreator-Bosses umso eindringlicher durch den Kopf. Mittlerweile steckt der viel zitierte Karren beängstigender Weise so tief im Dreck, dass eigentlich gar kein Weg mehr heraus führt.

„Ich persönlich glaube absolut, dass es in einem kapitalistischen System auch gar nicht anders sein kann und soll, als es gegenwärtig auf dieser Welt der Fall ist“, entgegnet Mille, „so geht es ja auf unserem Planeten immer mehr einzig und allein um die bestimmten Interessen von einigen wenigen Leuten, die wirklich sehr reich sind. In den heutigen dominierenden Massenmedien kommt daher auch gar keine Informations-Kultur im eigentlichen Sinne mehr zustande. Vor allem werden die richtigen Fragen zu den richtigen Themen permanent unterbunden. Leider hat sich das Ganze mittlerweile so verheerend ausgewirkt, dass besagte dominierende Massenmedien eigentlich das gesamte Mediensystem weltweit komplett in der Hand haben und dementsprechend dirigieren beziehungsweise genau vorschreiben, worüber nun berichtet wird und worüber eben nicht.“

Ein Extrem führt bekanntlich stets ins andere: Denn, wie er danach mit aller spürbaren Entschlossenheit und frohem Mut in der Stimme konstatiert, macht der Essener genau deswegen aber auch umso lieber genau die Art von Musik, wie sie von Kreator auf „Phantom Antichrist“ aktuell wieder so atemberaubend dynamisch ausgeführt wird.

Mille aber will mit seiner treuen Horde noch viel besser sein als der Rest. Mehr:

„Dadurch, dass der Bereich Thrash Metal ja seit den frühen 1990er Jahren gezielt mehr und mehr verkommerzialisiert wurde, um ihm die eigentliche Bedeutung zu nehmen, ist es insgesamt gesehen eigentlich nicht mehr allzu schwer geworden, als Band dieser Ausrichtung die Massen für sich zu begeistern und bei der Stange zu halten. Genau genommen hätten wir uns als etablierte Band Kreator die letzten elf Jahre eigentlich auf unseren Lorbeeren ausruhen können, und statt vier mindestens acht Studioalben herausbringen können, für die wir uns nicht mal groß angestrengt hätten.“

Letzteres hätte laut ergänzender Aussage des populären Thrash-Urgesteins auch funktioniert. „Aber genau das ist es ja, was für uns eben nicht in Ordnung ist. Wir wollen so viel mehr. Nämlich, als Musiker immer wieder aufs Neue an seinen eigenen Grenzen zu gehen. Das reizt mich, das reizt uns. Was ich bei Kreator mache, das kommt direkt von innen aus mir heraus. Ich kann nichts anderes machen. Ich will nichts anderes machen. Ich nehme das sehr ernst. Deshalb hinterfrage ich selbst nach wie vor unsere größten Erfolge immer kritisch. Und ich versuche stets genau das auszublenden, was gerade musikalisch ,angesagt‘ ist, weil ich als Künstler nicht im Geringsten davon beeinflusst werden möchte. Meinen Bandkollegen geht es da zum Glück ganz genauso. Wir wollen Musik machen, die unseren Herzen entspringt. So werde ich meinen musikalischen Pfad auch künftig in die Richtung beschreiten, die mich von innen heraus nach vorne bewegt.“

© Markus Eck, 02.05.2012

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