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Interview: NIGHTWISH
Titel: Zielgerichtete Zukunftsvisionen

Mit der Veröffentlichung einer weiteren offiziellen Live-DVD, genau genommen ihrer dritten, namens „End Of An Era“ sorgen die weltweit erfolgreichen Finnenrocker einmal mehr für Fan- und Medienwirbel.

Zur Vorab-Präsentation des erlesenen Bild- und Tonträgers lud das Label diverse Exklusiv-Gäste und Schreiber ein. So begab auch ich mich am Montag, den 24. April bei schönstem Sonnenwetter ins typisch schwäbisch anmutende Örtchen Geislingen, genauer gesagt ins eigens für diese Veranstaltung gemietete Gloria-Kino.

Für diesen speziellen Anlass wurden auch Keyboarder Tuomas Holopainen und Schlagzeuger Jukka „Julius“ Nevalainen eingeflogen, welche im Laufe der Session immer wieder um Fotos und Autogramme gebeten wurden. Da die beiden Musiker allerbester Laune waren, entstanden ebenso unterhaltsame wie lustige Gespräche mit den Anwesenden.

Dass die finnischen Symphonic Metal-Spezialisten trotz des riesigen Erfolges ihrer Band auf dem Teppich geblieben sind, konnte jedenfalls jeder bestätigen, der die beiden Sympathieträger an diesem Abend hautnah erlebte. Von der Plattenfirma üppig bereitgestellte Häppchen wurden neben allerlei gut gekühlten Getränken gerne von der Schar der Geladenen angenommen.

Für den erlesenen Ton- und Filmträger „End Of An Era“ wurde der komplette triumphale Auftritt von Nightwish verwendet, welcher bereits am 21. Oktober 2005 in der riesigen finnischen Hartwall Arena-Halle aufgezeichnet wurde: Bekanntermaßen der allerletzte für Sopranistin Tarja Turunen, den sie mit ihren Bandkollegen absolvieren durfte.

Als es sich das geladene Auditorium gegen 19:30 im Kinosaal gemütlich gemacht hatte, begann die herbeigesehnte Filmvorführung.

In der Tat eine ganz besondere Sache, denn eine Band-DVD einer seiner Metal-Favoriten bekommt man auch nicht alle Tage in einem konventionellen Kino vorgeführt.

Zu sehen waren dann nachfolgend alle 18 Songs, welche das damalige Konzertereignis umfasste, darunter die gehaltvollen Liederperlen „Dark Chest Of Wonders“, „The Siren“, „Nemo“, die Gary Moore-Coverversion „Over The Hills And Far Away“ sowie der abschließende Nightwish-Superhit „I Wish I Had An Angel“.

Ein Ohren- und Augenschmaus tat sich auf: Die zwar jederzeit intensive, jedoch spürbar ungezwungene und gerade dadurch umso ansteckender wirkende Performance des außergewöhnlich spielfreudigen Quintetts wurde hervorragend in Szene gesetzt. Auch das zahlreich anwesende und durchgehend sehr ergriffene Publikum kommt in allen Ehren zur Geltung. All die faszinierten Gesichter der Konzert-Besucher in Kombination mit den betörenden Kompositionen der Finnen zu erleben, hat bestimmt nicht nur mir eins ums andere Mal anhaltende Gänsehautschübe verpasst. Feuchte Augen ehrlich gesagt auch.

Tarja, oft mit gigantischer Leidenschaft zugange, zeigte sich dabei sowohl stimmlich als auch in Persona von ihrer überzeugendsten Erscheinung. Entsprechend den differierenden Songthematiken gewechselte Kostümierungen tragen ein Übriges zur hohen Faszination des Dargebotenen bei. Nach ungefähr zwei Stunden war die mitreißende Vorstellung vorbei, mit welcher bemerkenswert hohe Professionalität mit großer Spielfreude zur Schau gestellt wurde.

Anschließend zerstreute sich die Besucherschar ebenso schnell, wie sie in das Lichtspielhaus eingefallen war. Ich wurde mit den Musikern ins gebuchte Hotel zurückgefahren, wo ich mit den beiden noch einen abschließenden doppelten Whiskey-Cola einfuhr.

Auch der rauschebärtige Hammer-Schreiber Gunnar Sauermann gesellte sich gerne noch mit an die Hotelbar. Müdigkeit machte sich alsbald bei Tuomas und Julius breit. Die Betten lockten allzu sehr und besonders Julius, von den Aktivitäten des absolvierten Tages sichtlich ermattet, konnte da nicht widerstehen.

Am nächsten Tag stand im Fun-Room des Donzdorfer Nuclear Blast-Hauptquartiers ein Interview an. Wir drei ließen uns auf dem riesigen zentralen Ledersofa nieder. Ein angenehmes und entspanntes Dreier-Gespräch konnte seinen Lauf nehmen.

Besonders Tuomas fühlte sich laut eigener Aussage an diesem Tage prächtig:

„Wer nun speziell die Idee dazu hatte, genau dieses Konzert für eine DVD zu verwenden, kann ich beim besten Willen nicht mehr sagen. Ursprünglich war ja geplant, eine Show mit einem richtigen Symphonie-Orchester zu machen. Doch diverse Problematiken betreffend der Umsetzung hinderten uns fortwährend daran. Da unsere Tour im letzten Jahr und ganz speziell auch der Auftritt an diesem am 21. Oktober in der Hartwall-Halle so große Erfolge mit sich brachten, entschieden wir uns dafür, die Aufzeichnungen davon zu verwenden – zumal es auch der letzte Auftritt von Tarja mit uns war. Daher auch der gewählte Veröffentlichungs-Titel `End Of An Era`, welcher für uns schon überaus symbolträchtig ist. Daher ist ebenfalls eine ausführliche Dokumentation über den bisherigen Werdegang von Nightwish enthalten sowie eine umfangreiche Bildergalerie. Von großer Bedeutung war für uns, diese für uns beileibe nicht unwichtige Veröffentlichung nicht mit allerlei Unnötigem zu überfrachten – wir wollten primär Qualität statt Quantität. Die Fans bekommen trotzdem auf jeden Fall einen absolut reellen Gegenwert für den Anschaffungspreis.“

Julius hierzu: „Die vorangegangene DVD von uns umfasste eine ziemlich lange Spieldauer, welche aufgenommene Konzerte rund um den Globus bot. Das wollten wir diesmal nicht gleich wiederholen. Daher bot sich das verwendete Konzert bestens an. Die Zuschauer können zuhause von Anfang bis Ende an einem einzigen Nightwish-Gig teilnehmen, ohne dass sie durch Ein- und Ausblendungen differierender Shots von einem Aufführungsort hin- und her gerissen werden. Eine exklusive Angelegenheit, wie wir finden.“

Bekannter Weise wusste die gesamte Band an diesem historischen Abend vom anstehenden Ausschluss ihres Aushängeschildes, der Frontfrau und Sängerin. Anzumerken war es ihnen auf der Bühne jedoch nicht im Geringsten. Laut besonnen getätigter Aussage von Julius hätte das männliche Line-Up von Nightwish eigentlich eine Unzahl an gemischten Gefühlswallungen durchmachen müssen.

Der Schlagzeuger erinnert sich mit Bedacht in der Stimme zurück: „Es war schon sehr seltsam, dies durchleben zu müssen. Die Umgebung, die großartige Akustik in der Halle sowie das frenetisch jubelnde Publikum ließen uns die bestehende gespannte Situation allerdings beinahe vollkommen vergessen für die Dauer des Auftritts. Alles entwickelte bei diesem Gig eine regelrechte Eigendynamik, der wir uns nur zu gerne vollkommen hingaben. Es erleichterte die Sache sozusagen enorm für uns alle vier, denn die Entscheidung über ihren von uns beschlossenen Ausstieg fiel ja bereits Monate zuvor.“

Tuomas ergänzt seinen Bandkollegen, diesmal mit Zukunftsplänen:

„Momentan stecken wir noch immer mitten in der Suche nach einer Nachfolgerin für Tarja. Leicht wird es gewiss nicht. Bislang haben wir seit dem Aufruf auf unserer Website sage und schreibe über 400 Bewerbungen erhalten, also innerhalb von gerade mal zwei Monaten. Doch leider konnte bislang keine der Bewerberinnen unsere Gesamtforderungen erfüllen. Wir sind jedoch sehr zuversichtlich, denn aufgrund der mit Tarja gemachten zwischenmenschlichen Erfahrungen wissen wir eines neuerdings ganz sicher: Viel mehr noch als auf die Stimme legen wir allergrößten Wert auf die Persönlichkeit der Gesuchten. Wir möchten mit ihr eine absolut fest verschweißte Einheit bilden, menschlich, geistig und künstlerisch. An einem Strang ziehen, in allen Belangen rund um Nightwish. Anders wird es nicht funktionieren. Anders soll es auch nicht gehen. Und wir werden da keine Kompromisse eingehen, das steht felsenfest.“

Daher ist auch kein Zeitlimit vorgesehen, was die angestrebte Neu-Rekrutierung der Nachfolgerin anbelangt. Die Fans sollten sich auf jeden Fall auf eine längere Wartezeit gefasst machen, so Tuomas:

„Und wenn es noch so lange dauern sollte, wir machen auf diesem Sektor ganz bestimmt keine halben Sachen. Selbstverständlich hängt davon auch der Veröffentlichungszeitpunkt des nächsten Albums ab. Darum kümmern wir uns aber im Moment noch nicht, denn wir wollen uns in aller Ruhe auf die täglich neu eingehenden Bewerbungen konzentrieren. Glücklicherweise haben wir ja momentan den DVD-Release von `End Of An Era` stärkend im Rücken, von daher wird unsere Veröffentlichungspause nicht so lange anmuten.“

Anfänglich noch ziemlich skeptisch und sich ihres Könnens an den beidseitigen Spielknöpfen ganz und gar nicht sicher, ließen die beiden sich schließlich doch noch von mir zu einigen spannenden Flipper-Duellen animieren.

Da in besagtem Fun-Room eine Unmenge von den Eisenkugel-Spielgeräten herumstehen, entbrannten nicht wenige aktionsreiche Wettbewerbe zwischen uns dreien. Schlecht geschlagen haben sich die beiden Finnen nicht. Als ich den Ort des Geschehens am späten Nachmittag verließ, daddelten sie noch immer wie die Besessenen.

Ich rufe, ergänzend zum Interview mit Tuomas und Julius, die ausgeschiedene Tarja zu nächtlicher Stunde in ihrer neuen Teilzeit-Wahlheimat Argentinien an, wo sie derzeit bei ihrem Mann und Manager Marcelo Cabuli verweilt.

„Mir geht es wirklich prächtig hier, ich danke der Nachfrage. Dass ich eigentlich ziemlich weit weg von meinem urtümlichen Zuhause bin, macht mir das Herz nicht schwer. Denn ich weiß ja genau, dass ich jederzeit wieder daheim bei meiner Familie und meinen Freunden in Finnland willkommen bin. Das hilft mir schon sehr. Hier in der Großstadt herrscht täglich reges Treiben, ich hingegen komme ja aus einer Kleinstadt, die lediglich circa 20.000 Einwohner hat. Soviel zum Nachdenken darüber komme ich aber ohnehin nicht, denn es gibt hier stets eine Unmenge für mich zu tun“, weiß Tarja mir höchst erfreut zu berichten.

Sie ergänzt: „Ich arbeite auch hier wie immer sehr hart an meiner Stimme, und das beinahe täglich. Schließlich möchte ich bei den anstehenden Shows in bester Form sein. Es tut mir außerordentlich gut, mich wieder dermaßen in die Arbeit zu stürzen, so komme ich mehr und mehr wieder auf meine `kreativen` Füße.“

Mit auffallend feminin klingender Stimme knüpft sie gleich daran an: „Es stehen eine Menge Klassik-Konzerte mit einem Symphonie-Orchester für mich an, worauf ich mich immens freue. Diese Aufführungen differieren ziemlich zu dem, was ich bisher so gemacht habe; sehr reizvoll, wie ich finde. Für Ende des diesjährigen Sommers ist auch die Aufnahme eines Christmas-Albums geplant, welches ich mit einer Band zusammen einspielen werde. Eigentlich ziemlich verrückt, Weihnachtslieder im Sommer einzusingen. Dennoch freue ich mich auch darauf sehr. Nach der Veröffentlichung werde ich mit dieser Formation auch einige wenige Konzerte in Finnland geben.“

Darauf darf man nicht nur als Nightwish-Liebhaber sehr wohl gespannt sein. Eine Art Spannung empfindet die attraktive Sopranistin hingegen eher nicht, wenn sie an die in Kürze anstehende Veröffentlichung der aktuellen Nightwish-DVD denkt.

Und so beschreibt Tarja ihre diesbezüglichen Emotionen eher gerührter Natur:

„Um ganz ehrlich zu sein: Es war ziemlich schmerzlich für mich, mir den Konzertfilm anzusehen. Ich weiß auch momentan nicht so ganz genau, ob ich mir dieses Konzert jemals wieder ansehen möchte. All die vielen begeisterten Menschen, vor denen wir an diesem schicksalsträchtigen Abend aufgetreten sind, all die von tiefen Emotionen gezeichneten Gesichter. Das ist für mich immens aufwühlend, und das wird es wohl auch auf immer sein. Nach all den Jahren mit Nightwish, nach all der harten Aufbauarbeit für die Band, so ein imposantes Konzert geben zu können, diesen einschneidenden Eindruck vergisst man nie wieder. Denn, dort in Finnland aufzutreten, in dieser riesigen Halle, mit einer derart prächtigen Bühnenausstattung und all den mannigfaltigen Gestaltungsmöglichkeiten, das ist nicht zuletzt wohl das Allergrößte, was man als finnische Band überhaupt erreichen kann.“

© Markus Eck, 06.05.2006

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