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Interview: ROTTING CHRIST
Titel: Wiedererlangtes Ursprungsbewusstsein

Griechischer Wein ist seit Jahrhunderten weltberühmt. Griechischer Black Death Metal seit etwas kürzerer Zeit ebenfalls, zumindest im Falle von Rotting Christ, der okkultistischen Hellenenhorde mit dem für fügsame Gottessklaven seit jeher immens religionsprovokanten Bandnamen.

Derzeit hat das 1987 gegründete Athener Schwarzmagiequintett um Bandleader, Gitarrist und Sänger Sakis Tolis sein neues superbes Dunkelopus „Genesis“ am Start. Mit diesem innovativen Albummeisterwerk, dem siebten in ihrer sehr beständigen Karriere, scheinen sich Rotting Christ nun musikalisch definitiv selbst gefunden zu haben.

„Genesis“ vereint in erfreulich nachvollziehbarer Weise die denkbar besten Momente der bisherigen Kompositionskreativität der Band, sowohl anfänglich favorisierte Musikhärte als auch neuerlich gesteigerte Spielkultur und eine enorm variantenreiche Arrangementbandbreite flossen wohlgemischt in die aktuelle Scheibe ein.

Für mich ist es das zweite Interview mit ihm, für Saitenquäler Sakis hingegen war der vorhergehende Entwicklungsprozess zu „Genesis“ reine künstlerische Intuitivsache, wie er sagt.

Und niemals zuvor hatte die gesamte Band einen solchen Spaß beim Komponieren, Ausarbeiten und Einspielen ihrer Stücke, so der Grieche im weiteren Gespräch:

„Wir verbrachten einen ganzen Monat in den Stage One Studios mit Andy Classen, was eine großartige und vor allem sehr erfahrungsträchtige Zeit für uns darstellte. Und so impulsiv wir die aktuellen Songs geschrieben hatten, so nahmen wir sie auch auf. Alles lief so zwanglos wie seit vielen Jahren nicht mehr. Unsere Musik geht nun zurück zu unseren Wurzeln, um betont ursprungsbewusst und deswegen stärker denn je nach vorn zu gehen.“

Und dies zeichnete sich laut Statement von Sakis schon seit längerem ab: „Nach unserem 2000er Album `Khronos` fühlten wir, dass es an der Zeit war, einige Veränderungen in unserem Sound durchzuführen. Deswegen auch die diesmal ungewohnt lange Veröffentlichungspause. Jedoch arbeiteten wir nachfolgend kein konstruiertes Neukonzept aus, sondern ließen uns einfach die nötige Zeit, welche die Dinge von selbst ins Rollen brachte. Deswegen wählten wir ganz bewusst den Albumtitel `Genesis`, welcher hier unsere musikalische Neuentstehung repräsentieren soll. Altes vergeht, Neues entsteht.“

Der 29-jährige Sympathikus sieht im Albumtitel des neuen Werkes auch die Lobpreisung des überfällig wiederauferstandenen freien Menschengeistes, wie er erfahren lässt. „Wir werden immer als die bösen Satanisten abgestempelt, doch geht es uns gerade auf der neuen Platte in erster Linie darum, die absolute Geistesfreiheit zu glorifizieren. In Zeiten, in denen diverse Religionen die Not der Menschen immer mehr für unlautere Ziele auszunutzen scheinen, sollte man sich davon nicht vereinnahmen lassen. Sondern auf seine Lebenslust hören und tun, wonach der Geist verlangt. Ganz egal, ob nun sexuelle Obsessionen, ungehinderte Lebenslust oder konsumbedingt freigesetzte Begierden: Dies sind nun mal keine verdammten Sünden, sondern elementare Grundbedürfnisse eines jeden Einzelnen von uns allen. Wer sie unterdrückt, leidet Mangelerscheinungen.“

Diese zweifellos zum Nachdenken anregenden Ansichten werden auch in den Songtexten von „Genesis“ wiedergegeben, so erläutert Sakis.

„Im zweiten Stück `Lex Talionis` beispielsweise nehmen wir auf unsere Art und Weise gezielt lyrische Rache an der gezielt betriebenen Verdummung der Menschheit; der Text ist sehr sarkastisch gehalten, um unsere Abneigung gegen globale Manipulationspraktiken darzustellen. Oder das vierte Lied `Nightmare`: Es spiegelt im übertragenen Sinne die vielen täglichen gesellschaftlich bedingten Verhaltens-Alpträume wider, durch die man als brav angepasster Mensch nun mal hindurchzugehen hat, ob es einem passt oder nicht. So ein Leben können wir wirklich nicht empfehlen“, lacht er.

Mit dem gelungenen Frontcover von „Genesis“, welches von Mike Bohatch stammt, können sich Rotting Christ vollauf identifizieren, wie Sakis verrät. „Der Bockschädel soll in hypothetischer Porträtierung und unter Bezugnahme auf den Albumtitel die Wiedergeburt des Teufels darstellen. `Teufel` ist unserer Auffassung nach seit Urzeiten ein sehr machtvolles Wort. Es steht in der Band für eine seit Gründung vorherrschende antireligiöse Grundhaltung, die wir niemals verloren haben noch je verlieren werden.“

Eines ist ihm in dieser Richtung sehr wichtig, wie er anschließend verkündet:

„Obwohl es viele Leute leider nicht verstehen können, sind wir trotzdem überhaupt keine bitterbösen Dunkelknechte oder ritualpraktizierende Satanisten, sondern lediglich unbeirrbare Freigeister, welche die ungehinderte Willensentfaltung des Menschen verherrlichen. Im täglichen Leben sind wir neben unserer Musik umgängliche Typen, mit denen man gut auskommen kann, wenn man sich richtig anstellt. Alle, die uns kennen, können dies auch bestätigen. Uns gefällt diese ständige `Wir sind sehr böse`-Attitüde, welche gerade im Black Metal vorherrscht, überhaupt nicht. Das war noch nie unser Ding.“

Sakis, der bekennende Biodrogen-Anhänger, scheint wie der Rest der philosophierenden Teufelstruppe auch in Punkto Alkoholkonsum überhaupt nicht den gängigen Klischeeschemata zu entsprechen.

„Natürlich trinken wir hin und wieder ein paar gepflegte Biere, aber während beziehungsweise nach dem Genuss rauchbarer Naturprodukte scheint meine beziehungsweise unsere Kreativität wirklich Flügel zu bekommen. Das ist der Weg, den wir bevorzugen, um unsere Gehirne grenzenlos von allen Gedankendogmen zu befreien.“

Die folgenden letzten und stellvertretenden Worte an die Fans läßt sich Sakis nicht nehmen: „Keep the dark cult alive!” Genau so.

© Markus Eck, 20.08.2002

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