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Interview: SALTATIO MORTIS
Titel: Der eigenen Vergänglichkeit bewusst

Allein schon mit ihrem Gruppennamen strafen sie eigentlich alle diejenigen Lügen, welche den Deutschen schon seit jeher eine gewisse Sehnsucht zum menschlichen Ableben nachsagen wollen. Denn die Karlsruher Erfolgsmodelle des Mittelalter Rock musizieren bekanntlich unter dem Banner des sagenhaften altertümlichen Totentanzes, mit welchem man Meister Sensenmann listig zu entkommen trachtete!

Falk Irmenfried von Hasen-Mümmelstein, bei diesen kecken Spielleuten zuständig für Dudelsack, Schalmei und indisches Wui, bezieht Stellung zum dunklen Thema.

Der Bandname Saltatio Mortis steht ja für den berühmten Totentanz des Mittelalters. Wer kam damals darauf, den Begriff zu verwenden?

„Damals hatten wir einen Proberaum in Mannheim im sogenannten Power Tower. Dort gab es den wohl schlechtesten Imbiss der ganzen Stadt, wenn nicht gar ganz Süddeutschlands. Leider war er der einzige Imbiss in der Nähe, also verbrachten wir unsere ersten Bandbesprechungen dort, da wir den Proberaum immer nur stundenweise nutzen durften wegen der Bands mit denen wir den Raum teilten. Mittlerweile hat der Besitzer des Imbiss mehrfach gewechselt, zurecht… Also … wir saßen oder standen in dem sehr engen Kabuff der dort als Gastraum diente und versuchten uns auf einen Bandnamen zu einigen, da wir die Anfrage zu unserem ersten wirklichen und echten Konzert bekommen hatten, zwar ohne Gage aber dafür als Vorband auf dem Bandgeburtstag von Freunden. Es gab also drei Möglichkeiten wie wir dort auflaufen konnten. Wir denken uns etwas ganz neues aus oder wir nehmen einen der beiden Namen unter denen jeweils die eine Hälfte von uns schon Straßenmusik gemacht hatte. Zur Auswahl standen "Saltatio Mortis" und "Die Galgenvögel". Nachdem mir der volle Umfang der Bedeutungstiefe von Saltatio Mortis klar wurde stimmte ich begeistert dafür. Wohlweislich, dass ich einen Teil meiner Zeit in Zukunft damit zubringen würde den Bandnamen zu buchstabieren und zu erklären. Wir haben abgestimmt, ganz einfach. Aber wir wollten eine einstimmige Entscheidung. Hinterher sollte keiner sagen, dass er den Namen ja von vorne herein scheiße fand etc. Also saßen wir unglaublich lange bei Oettinger und fettigen Pommes bis wir die Entscheidung hatten. Zudem gehörte es damals auch zum guten Ton einer jeden mittelalterlichen Bums & Blaskapelle einen gefälligst lateinischen Namen zu haben der aus mindestens zwei Worten bestand. Ich bin sehr froh, dass sich das mittlerweile etwas geändert hat und gratuliere jeder neuen Band die es geschafft hat sich aus diesem Zwang zu lösen.“

Und warum wurde der Gruppenname Saltatio Mortis eigentlich gewählt?


„Wie heißt es so schön? Nomen es Omen. Worte und Namen haben meines Erachtens nach immer noch Kraft und damit übergeordnete Bedeutung. Das Hören und das Formen von Vokalen und Konsonanten, das Aussprechen von Lauten setzt den jeweiligen Hörer/Sprecher in einen Bezug dazu auch wenn man den Wortsinn noch nicht begreift. Ich war zwar meiner Historie nach ein Galgenvogel aber es zog mich irgendwie zu Saltatio Mortis. Die Auseinandersetzung mit dem Bandnamen ist für mich irgendwie wohl nie abgeschlossen. Irgendwie werde ich immer wieder mit seinen verschiedenen Ebenen konfrontiert und muss mich in Bezug dazu setzen. Dass so etwas wie ein Bandname dazu in der Lage ist mich über mittlerweile 15 Jahre immer wieder damit auseinanderzusetzen zeigt mir stets aufs Neue, dass es die richtige Wahl war die wir damals getroffen haben.“

Falk bringt den historischen Hintergrund des Bandnamens aus seiner persönlichen Sicht den Lesern näher.


„Saltatio Mortis steht für den Totentanz. Korrekt übersetzt müsste es eigentlich "Des Todes Tanz" heißen, aber in der Tradition in der wir uns sehen ist Totentanz einfach besser und "Chorea Machabaeorum" war uns einfach zu sperrig. Wir beziehen uns dabei auf die berühmten Totentänze das Mittelalters. Überliefert sind hauptsächlich Bilder von Totentänzen und einige Totentanz-Gedichte. Die tatsächliche Aufführung von Totentänzen ist nur sehr spärlich belegt, hat aber eben auch statt gefunden. Grundsätzlich beschäftigt sich der historische Totentanz damit, dass der Tod stets mitten unter den Lebenden weilt und keinen Stand verschont. Ob arm, ob reich, vor dem Tod sind alle gleich. Besonders begeistert mich der Gleichheitsgedanke, der sozialpolitische Entwicklungen späterer Jahrhunderte vorweg nimmt. Die Totentänze stammen aus einer Zeit in der die großen Seuchen und Kriege in Europa wüteten und dadurch die bekannte Welt auf den Kopf stellten. Der Tod war allgegenwärtig.“

Sehen die Mannen von Saltatio Mortis sich selbst hin und wieder als pfiffige „Totentänzer“, die dem Schlimmen und Traurigen, dem Tragischen und Beängstigenden durch die eigene, fidele Musik zu entrinnen trachten?


„Wir beziehen uns sehr konkret auf eine alte Spielmanns-Legende. Dieser zu Folge wurden an das Bett von sterbenden Menschen Spielleute gerufen, die gegen das verführerische Spiel des Todes anspielen sollten, da man sich den Tod auch als Spielmann vorstellte der mit seinen Melodien die Menschen in sein Reich lockt. Es galt also besser zu spielen als der Tod. Unser Motto lautet darum: Wer tanzt stirbt nicht. Wir sehen uns als Antagonisten des Todes und treten mit jedem Auftritt gegen ihn an. Wir sind also diejenigen die dem Gevatter stets ein Schnippchen schlagen.“

Wie taucht das komplexe Thema Tod darüber hinaus bei Saltatio Mortis auf?


„Der Tod in unseren Liedern und Texten ist eine Metapher, eine Personifikation für Endlichkeit. Der Handel mit dem Tod, mit dem Unausweichlichen ist Thema vieler Sagen und Märchen.“

Den Deutschen wird ja sehr oft eine gewisse Todessehnsucht (was jedoch absolut nicht mit Selbstmord oder ähnlichem gleichzusetzen ist) nachgesagt. Dies zieht sich ja von „Der arme Heinrich“ bis hin in die deutsche Romantik. Wie stehen Saltatio Mortis als Band zu diesem markanten Aspekt?

„Ich finde nicht, dass der „Arme Heinrich“ eine Geschichte voll Todessehnsucht ist. Es ist eher eine höfische Mirakelgeschichte vor dem Hintergrund von Heiligkeit, Aussatz und Erotik. Der Tod darin findet je eben nicht statt, indem Heinrich beschließt das Mädchen nicht für seine Genesung zu opfern. Aber du hast recht. Den Deutschen, besonders denen vor den beiden Weltkriegen, als wir noch den Ruf weltfremder Dichter und Denker hatten, wird eine gewisse innenwohnende Melancholie zugesprochen. Ich würde gern ein aktuelleres Beispiel aufgreifen. Nämlich eine Szene aus und mit der wir gewachsen sind. Die Gothic-Szene. Das Spiel mit den Symbolen des Todes ist untrennbar mit ihr vereinigt. Ich weiß nicht was mich in der Wave- und Gothic-Phase meines Lebens dazu gebracht hat, nachts in Mausoleen zu sitzen und verträumt Gedichte schreibend in Kerzen zu starren. Es ging dabei überhaupt nicht darum, sich mit dem Sterben oder dem Verlust eines geliebten Menschen auseinander zu setzen und mit der damit einhergehenden Trauerarbeit. Es ging dabei wohl eher um eine Gegenbewegung zu den damals tobenden 80ern und der neuen Deutschen Welle. The Cure war einfach mehr meins als Modern Talking. Ich denke, dass es nicht von ungefähr kommt, dass die ersten Unterstützer der damals entstehenden Mittelalter-Szene aus dem Gothic-Bereich kamen, Mittelaltermusik und -Bands in Gothic-Magazinen besprochen wurden und auf Gothic-Partys gespielt wurden. Irgendwie tut es mir sehr leid, dass über all den Hilfestellungen, welche die Gothic-Musik für alle möglichen anderen Entwicklungen und Strömungen geleistet hat, sie sich selbst dabei wohl vergessen hat. Für mich war die Mittelalter-Szene eine Art von Befreiung. Auf einmal konnte ich wieder wild, frei und ausgelassen sein. Es war sozusagen mein privater Weg aus der jugendlichen Depression. Ich bin der Meinung, dass die Gedanken über die Vergänglichkeit der eigenen Existenz ein ganz normaler Schritt in der Entwicklung eines Menschen sind.“


Wie gehen die Deutschen mit dem Thema „Tod“ in der Gegenwart hauptsächlich um? Zu abstrakt? Zu ängstlich? Zu verdrängend? Zu oberflächlich?


„Wir gehen schlecht damit um. Dieses Thema wird von unserer Gesellschaft derart verdrängt und ausgegrenzt, dass man, selbst damit konfrontiert, zunächst hilflos ist und nicht einmal wirklich weiß was zu tun ist und wie man seiner Trauer richtig Ausdruck verleihen kann. Wir sind eine Gesellschaft der ewigen Jugend gewöhnt. Trauer macht einen befremdlichen Eindruck und es wird versucht immer schön so zu tun als ob nichts gewesen wäre. Der Tod an sich, also mein eigener Tod, ist für mich nichts Schlimmes und birgt keinen Schrecken. Ich weiß, dass ich sterben werde, dass einmal alles vorbei ist und das ist auch gut so. Schlecht wäre, so zu tun und zu leben, als wäre dem nicht so. Schade daran ist lediglich, dass ich Dinge, die ich gern erlebt hätte, nicht mehr erleben werde und dass ich von meinen Freunden vermisst werde. Ich hoffe sie werden, sollte es soweit sein, mit einem Lachen an mich denken statt mit Tränen. Das schlimme am Tod ist für die, die übrig bleiben, der unwiederbringliche Verlust und die Lücke die ein Todesfall reißt. Da wir nicht mehr wissen wie man richtig trauert, wird dieser Umstand umso schrecklicher. Wie geht man damit um, wenn es einem einfach schlecht geht, aber von einem erwartet wird, auf die Wie-geht-es-dir-Frage mit einer positiven Antwort zu antworten?“

Hat sich Falk bereits selbst schon tiefer mit dem Tod auseinandergesetzt beziehungsweise setzen müssen? Wie ist seine persönliche Einstellung dazu?


„Ja, das habe ich. Und ich werde die Verluste nie vergessen können. In schöner Regelmäßigkeit holt mich die Trauer einfach ein. Das geht dann aber auch wieder schnell vorbei. Ich finde dies ganz natürlich. Und es beweist mir, wie wertvoll die Menschen, die ich vermisse, für mich waren.“

© Markus Eck, 27.05.2014

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