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Interview: SPI-RITUAL
Titel: Positive Botschaften

Den Namen Stefan Hertrich kennen treue Fans der Gothic Dark Metal-Band Darkseed nur zu gut: Schließlich fungiert der aus Bayern stammende Musikus dort als Frontmann und Sänger.

Weit weniger bekannt sind wohl seine stark esoterisch anmutenden Ethno Dark Metal-Projekte Shiva In Exile und Spi-Ritual. Mit zweitem veröffentlicht der vielseitige Künstler, der auch als Soundtrack-Composer von PC-Spielen werkt, gerade ein Minialbum mit dem Titel „Pulse“. Und wie der eindeutig zweideutige Bandname Spi-Ritual schon nahe legt, eröffnet „Pulse“ trotz der vereinzelten barschen Metal-Ausbrüche mit äußerst ästhetisch angelegten Klangspektren eine faszinierende Welt voller neuer Höreindrücke.

„Die neuen Songs sind größtenteils auf meinen Mist gewachsen, ich kümmere mich auch um den Bass, die Rhythmusgitarren, das Programming und den Gesang“, eröffnet Hertrich den Dialog.

Ohne die aktive Hilfe anderer Künstler wäre Spi-Ritual aber wohl auf keinen Fall zustande gekommen, wie der Multiinstrumentalist sich selbst ergänzt:

„Aktiv beteiligt waren Dr. Phil. Christian Rätsch, ein Autor und Wissenschaftler aus Hamburg, der sich gerne in exotischen Ländern herumtreibt und daher ein großes Arsenal an ethnischen Instrumenten und Sounds hat, der kolumbianische Schamane Kayujali Tsamani, der freundlicherweise einige Perkussions- und Flötenaufnahmen zu Verfügung gestellt hat, sowie die Münchnerin Gaby Koss, die früher bei Haggard als Bandmitglied dabei war.“

Mit eingebracht haben sich laut Stefan auch die aus St. Petersburg stammende Russin Yana Veva mit ihrem wunderschönen weiblichen Gesang und Christian Bystron von der Band Megaherz aus München an der Sologitarre:

„Aber auch Rene Berthiaume von Equilibrium und Markus Glanz von der Band Koyaanis-Qatsy, einer sehr experimentierfreudigen und auch spirituell angehauchten Truppe aus München sind mit von der Partie. Idealistische Unterstützung habe ich zudem von Deviant Creations bekommen, einem Videoteam aus Russland, das für ein wirklich mickriges Budget ein geniales Video gezaubert hat und fast so viel Zeit in die CD gesteckt hat wie ich, sowie Konstantin Viktorov aus Moskau, der die Website und das Cover gestaltet hat.“

Und ganz egal ob Musiker oder Grafiker, sie alle gehören laut Aussage von Hertrich zu Spi-Ritual dazu und haben ihre eigene Vision in das Projekt einfließen lassen. Ich hakte nach, wie sich sein Schaffen mit Spi-Ritual mit den Aktivitäten seiner Hauptband Darkseed vereinbart, ob dies für ihn alles problemlos alles unter einem Hut passt. Man erfährt:

„Beides gleichzeitig kriege ich emotional nicht unter einen Hut. Wie ein Schauspieler, muss man sich auch als Songwriter in seine `Rolle` hineinversetzen. Bei Spi-Ritual ist diese Rolle natürlich anders als bei Darkseed. Darkseed ist eine sehr weltkritische Band, die sich mit grundsätzlichen Schwächen von Menschheit und Politik in unserer westlichen, mechanisierten Welt auseinandersetzt, und die Musik ist ebenso `konkret` und realitätsnah – also keine Ethno-Elemente, typischer bodenständiger Metal mit elektronischen Elementen. Spi-Ritual hingegen ist ein positiveres Projekt, da es eher um hoffnungsvolle Dinge im Menschen geht: Beispielsweise seine Fähigkeit, Niederlagen wegzustecken, mutig Entscheidungen zu treffen usw. Ebenso ist die musikalische Umsetzung durch das Einfließen der Ethno-Elemente positiver und energetischer. Daher kann ich auch nicht eben mal einen Darkseed-Song schreiben, wenn ich gerade am Spi-Ritual-Album sitze und umgekehrt. Für mich ist Songwriting eine 100%ig ehrliche und idealistische Angelegenheit, daher gibt es da für mich keine Fließband-Aktivitäten. Entweder die Zeit ist reif dazu, ein Darkseed- oder Spi-Ritual-Album zu schreiben, oder es ist eben nicht die richtige Zeit dazu. Ein Album schreiben, lediglich weil es terminlich oder finanziell gut passen würde etc. kam für mich noch nie in Frage, und glücklicherweise haben es uns die Darkseed-Fans immer verziehen“, entfährt es meinen Interviewpartner mit einem schelmischen Grinsen.

Nur zu gerne würde der Urheber von Spi-Ritual selbst diverse Reisen zu den Ursprungsländern der Ethno-Klänge unternehmen, wie er kundgibt. „Diese Jahr 2006 würde ich gerne reisen, weiß aber nicht, ob es zeitlich klappt und ob ich die nötigen Connections so ausnützen kann, damit das ganze nicht zu einem gewöhnlichen Touristen-Urlaub verkommt. Mir schwebt da entweder der nahe oder mittlere Osten vor, oder der amerikanische Regenwald, vornehmlich alte Tempelanlagen und vor allem interessante Leute und Musiker.“

Wir sprachen im Anschluss darüber, welche Bedeutung Spiritualität an sich für einen Menschen wie Hertrich überhaupt in seinem Leben einnimmt und was er zum Thema „Herdenmensch-Dasein“ beizusteuern hat. Diese heutzutage leider sehr vernachlässigte Thematik veranlasste ihn dazu, etwas weiter auszuholen, was mir nur recht sein konnte.

„Hierzu müsste ich erst einmal definieren, was für mich ein Herdenmensch ist, und was SpiRitualität ist. Sorry, dass ich etwas ausholen muss: Plakativ betrachtet bezeichnet man als Herdenmenschen gerne den Strom an Leuten, die gleichzeitig morgens aufstehen und in die Bahn einsteigen, um zur Arbeit zu fahren. Das würde ich keinesfalls als Herdenmensch bezeichnen. Für mich gibt es nur einen Faktor, der dafür zählt – und zwar, ob ein Mensch nun einen Kampf führt, weil er mit der Welt unzufrieden ist, oder ob er einfach so dahinlebt. Beziehungsweise reicht eventuell schon das `sich bewusst sein, dass die Welt, so wie sie ist, nicht gut genug ist`. Welchen Beruf der Mensch ausübt oder ausüben muss, weil er sonst durch das soziale Raster fällt, hat damit nichts zu tun. Ebenso spielt der Musikgeschmack hierfür keine Rolle. Viele Menschen sehen sich beispielsweise gerne als verklärter Fan einer Spartenmusik und denken, sie sind dadurch etwas Besonderes, das sie von der Masse unterscheidet. Den vorhin erwähnten Kampf führt man normalerweise als junger Mensch. Sobald es im Leben jedoch bergauf geht, man Geld hat, Sicherheit hat usw., ist es schnell vorbei mit dem Unzufriedensein, dem Nachdenken und dem Kämpfen. Dann wird man zum Herdenmenschen und ist dann in der Regel auch nicht offen für spirituelle Dinge. Die anderen Menschen, die einfach mit dem Kämpfen nicht aufhören wollen oder können, scheitern meistens mit ihrem Kampf, geben ihn im Geiste jedoch nicht auf, sondern kehren sich schützend nach innen, wodurch sie sich von der `Herde` isolieren. Damit wären wir dann bei der Spiritualität. Bei Spiritualität handelt es sich um einen individuellen Weg in nicht-materielle `Welten`, der bei jedem Menschen unterschiedlich sein kann. Meistens ist es ein gnostischer Weg nach innen [gnostisch: ohne Kirche, ohne Gemeinschaft usw., Anmerkung des stark gnostischen Verfassers], der auch ein Weiterentwickeln der Persönlichkeit mit einbezieht. Betroffen sind davon innere Stärke, positives Denken, Mitgefühl, Respekt gegenüber der Schöpfung und schwächeren Teilen in dieser – die Tiere könnten unseren Respekt und unsere Achtung sehr gut gebrauchen. Miteinbezogen sind aber auch das Ausblenden jeglicher Rachebedürfnisse beziehungsweise das negative Aburteilen anderer sowie das Ausschalten des eigenen Egos. Und in diesem Sinne ganz wichtig: Auf die eigene Intuition zu hören, also auf das Bauchgefühl, und nicht so sehr mit dem Kopf denken usw.. Wie Jesus schon sagte: `Der Körper ist dein Tempel!` Jesus ist ein absoluter Vorreiter der modernen Spiritualität, ich zitiere ihn deswegen; aber nicht, weil ich ein gläubiger Kirchenchrist bin“, grinst Hertrich.

Und da es uns recht gut geht hier in Deutschland, besteht dementsprechend auch recht selten der Drang danach, sich ins „innere“ zu flüchten, so der überaus kreative Musiker: „Zumal es in der Regel ein Weg ist, den man alleine gehen muss, der viel Zeit und Geduld fordert und nicht wirklich einen `offensichtlichen Nutzen oder Profit` hat. Andererseits werden wir durch die Vorzüge des aufklärenden Informationszeitalters auch offener für alternative Lebens- und Verhaltenswege. Es hält sich also relativ die Waage.“

Langer Rede, kurzer Sinn: „Ja, auch in unserer Zeit gibt es Zugang zu spirituellen Lebenswegen. Aber es ist ein langer Weg, den man nicht wie eine Lampe ein- oder ausschalten kann. Man muss in das Thema hineinwachsen und braucht dazu eine gewisse Grundskepsis gegenüber allgemein gängigen Werten und Wahrheiten. Ich denke, Spiritualität ist deswegen gerade in der heutigen Zeit interessant, weil man dadurch innerlich stärker wird. Man sehnt sich nach dieser Stärke, weil man sich heutzutage mehr und mehr Dingen ausgesetzt sieht, die man selber nicht beeinflussen oder überprüfen kann, ja man wird als Individuum eigentlich immer schwächer. Wir wissen nicht, was in unserem Essen ist (genmanipuliert ja/nein, Stichwort Kennzeichnungspflicht) und einen klaren weltpolitischen Überblick haben wir seit dem Einsetzen der Globalisierung nicht mehr – alles verstrickt sich ineinander und wird für den normalen Menschen nicht mehr überschaubar und vor allem nicht mehr überprüfbar. Stichwort: Deutsche BND-Mitarbeit im Irakkrieg trotz uns vorgegaukelter Neutralität, CIA-Flüge über Deutschland und von deutschen Flughäfen ausgehend mit `gekidnappten Terrorverdächtigen` usw. usw. usw.. Das Informationszeitalter hat mit sich gebracht, dass wir Realität und Wahrheit nicht mehr erleben, sondern nur noch gesagt bekommen, was Sache ist. Ob es Wahrheit oder Lüge ist, können wir nicht mehr nachvollziehen und wir werden dadurch unsicher und bekommen unterbewusst Ängste. Spiritualität bedeutet nach meinem Ermessen, sich davon nicht entmutigen zu lassen, aber auch, sich davon nicht ärgern zu lassen, sondern sein eigenes Leben im Einklang mit sich selbst zu leben, ohne abhängig von anderen zu sein.“

Das Ziel seiner Ethno-Projekte ist einerseits, eine positive Message weiterzugeben, selbst wenn es sich eigentlich um düstere Musik handelt und nebenbei interessante Menschen kennen zu lernen, so der Spi-Ritual-Projektleiter. „Entweder aus interessanten Ländern, die auf meine Musik aufmerksam werden, oder Menschen aus unserem Kulturkreis, die trotzdem Interessantes zu berichten haben. Ich habe dadurch die Möglichkeit, Erfahrungen von den unterschiedlichsten Leuten aufzuschnappen. Vor allem weltpolitisch derzeit interessant: Fans aus der US Army, aber auch Fans aus dem Iran, oder anderen `Schurkenstaaten` wie Syrien. Dann hin und wieder Autoren oder andere interessante Persönlichkeiten, eigentlich aus allen unterschiedlichen Altersgruppen – die älteren Gesellschaftsanteile dann eher mit meinem New Age/Soundtrack-Projekt Shiva In Exile. Das ist eigentlich der Hauptgrund, warum ich Musik mache. Ein bisher unerfüllter Traum ist eine längere Expedition, auf der ich selbst ethnische Musiker aufnehme und ihre Instrumente für eine CD verwende. Das ist mal ein angepeiltes Ziel für dieses Jahr 2006, vielleicht aber auch für 2007. Der Geldbeutel will aber noch nicht so recht mitmachen“, bringt Hertrich mit einem Lächeln auf den Lippen hervor.

Ich fragte den bayerischen Sänger und Musiker im Anschluss direkt, was es für ihn genau bedeutet, heutzutage als Künstler Musik veröffentlichen zu können. „Interessante Frage, die ich bisher noch nie gestellt bekommen habe. [überlegt] Also prinzipiell ist es gegenwärtig durch das Internet und das Medium CD, welches im Vergleich zu alten Vinylplatten viel billiger herzustellen ist, leicht, Musik zu veröffentlichen. Andererseits jedoch sehr schwer, etwas so zu veröffentlichen, dass es Gehör findet. Wenn man die heutige Musiklandschaft mal negativ betrachtet, handelt es sich oftmals nur noch um Datenmasse, die man sich reinzieht, um nach ein paar Durchläufen zu einer anderen CD zu wechseln – die man sich in der Regel downloaded beziehungsweise brennt, und nicht kauft – was jedoch kein Vorwurf an die Fans sein soll. Das ist mitunter sehr deprimierend. Das heißt, der Hörer beschäftigt sich in der Regel nicht mehr mit der Seele des Tonträgers, sondern hauptsächlich um das vordergründige Entertainment, als schaue man eine Serie im TV an. Wenn ich zurückdenke an die Zeit, als ich selber `Fan` war, und mich wirklich ganz klar für eine Platte von vielen entscheiden musste, war diese Platte für mich wochenlang ein Kleinod, und nicht ein Ordner auf der Festplatte neben 200 anderen. Und dann diese Band auch noch live sehen zu können, das war wirklich einzigartig. Einiges von diesem Zauber ist heutzutage leider verloren gegangen. Aber so ist es nun mal in einer Zeit der Veränderungen. Man beurteilt diese Zeit oftmals negativer, als sie vielleicht wirklich ist. Andererseits habe ich in meiner Ethno-Sparte den Vorteil, global arbeiten zu können, sprich: Ich bin nicht an örtliche Musiker gebunden, da das Internet dabei eine große Hilfe ist.“

Das aktuelle Minialbum „Pulse“ wurde teilweise im russischen St. Petersburg und teilweise in München aufgenommen. „Da ich die Songs in der Regel fast final in meinem eigenen Home-Studio vorbereite, und man nur noch alles komplett neu einspielen muss, aber nicht mehr an den Songs zu feilen braucht, ging es relativ flott. Inklusive Mix haben wir glaube ich knapp zwei Wochen gebraucht. Produktionsleiter war übrigens Tommy Herrmann, mit dem ich zusammen bei Darkseed spiele. Die Arbeit an `Pulse` war super. Das Songwriting hat viel Spaß gemacht, die beteiligten Musiker – wenn auch teilweise `nur` in einer Gastrolle – waren mit ganzem Herzen dabei. Es gab keine Streitereien und keine hoffnungslosen Phasen, in denen ich dachte, die Songs taugen nichts – ich glaube diese Phase haben die meisten Musiker hin und wieder während des Songwritings. Auch im Studio lief alles ohne technische Probleme.“

Die sehr sphärischen Kompositionen auf „Pulse“ zeigen Hertrich musikalisch doch überaus offen. Ich bat ihn, seine eigenen Kreationen ein wenig selbst mit eigenen Worten zu beschreiben, für all diejenigen Leser, welche seine neue Scheibe noch nicht kennen. „Ich würde sagen, Spi-Ritual ist ein Gegenstück zu den beliebten Folk-Metalbands der heutigen Zeit, jedoch nicht auf unsere westliche Mittelalterwelt fixiert, sondern den Orient beziehungsweise die Indianerkultur. In ein paar Schlagworten: New Age Gothic/Metal oder einfach Ethno Metal. Herunter gestimmte, harte und eingängige Gitarrenriffs, brutaler männlicher Gesang, dazu jede Menge ethnische Instrumente wie Perkussion, Flöten usw. und weiblicher Ethno-Gesang.“

Nachfolgend verriet mein Gegenüber mir auch noch, auf welche Art und Weise er die neuen Songs für Spi-Ritual geschrieben hat. „Großer Dank gilt dem deutschen Buchautoren und Wissenschaftler Dr. Phil. Christian Rätsch, der mich mit Regenwaldsounds und Flötensamples versorgt hat. Ebenso den beiden Sängerinnen Gaby Koss aus München und der Russin Yana Veva – Sängerin der Elektroband Theodor Bastard, die ohne inspirierende Playbacks emotionale Vokalisierungen aufgenommen haben. Ich arbeite nämlich `andersrum`, sprich: erst entstehen die Gesänge oder Flötenpassagen und dann bastele ich davon inspiriert und sensibilisiert die Songs, und ganz am Schluss wird Metal daraus, also mit Schlagzeug, Stromgitarren und meinem Geplärre.“

Sehr inspirierend findet Hertrich laut eigener Aussage alle Arten von melancholisch oder düster klingenden Ethno-Instrumenten, beispielsweise aggressive oder stampfende Perkussionen von Instrumenten wie Darbuka oder Djembe, lebendig klingende Flöten wie beispielsweise die armenische Duduk-Flöte oder die Ney-Flöte aus dem nahen beziehungsweise mittleren Osten:

„Den letzten Kick geben mir meistens die gnadenlos tief gestimmten Gitarren. Im Studio kommt dann meistens noch ein besonders Flair auf, wenn meine programmierten Schlagzeug-Parts durch die menschlich groovenden Drums des Schlagzeugers Maurizio Guolo ersetzt werden, der natürlich viele eigene Ideen einbringt und den Songs dadurch die Sahnehaube aufsetzt. Programmiert oder echt gespielt macht einen wahnsinnigen Unterschied, den man zwar manchmal nicht direkt merkt, der jedoch unterbewusst ein Album überaus `rocken` lässt.“

Auch wenn seine Songtexte im englischsprachigen Raum immer wieder sehr gut ankommen, was ihn sehr freut, und diese ihm selbst auch sehr viel bedeuten, so wäre ihm selbst als objektiver Hörer dennoch die „vordergründige“ Musik und Stimmung am wichtigsten, bekundet Hertrich mit sichtlich erhellter Miene:

„Ja, das muss ich ehrlich zugeben. Während ich bei Darkseed seit mehr als zehn Jahren sehr negative Texte schreibe, um die interessierten Hörer dazu aufzurütteln, die Umgebung mit einer gewissen Grundskepsis zu hinterfragen, ist es mir wichtig, auch zu sagen, dass man an diesem Punkt nicht stehen bleiben darf. Weder als Künstler, noch als `normaler Mensch`, der eventuell seinen Alltagskampf mit permanenter Kritik an den Mitmenschen und Frust durchlebt. Die Welt mit kritischen Augen betrachten, zu rebellieren usw., das ist sehr wichtig. Die ganze Metal-Szene ist ja prinzipiell eine Rebellion, beziehungsweise so fing der Metal an. Mittlerweile ist Metal mehr, und zwar durchaus auch eine Flucht in Ideale, seien es Traumwelten von Folk Metal-Bands, oder aber philosophische Ausflüge im Gothic/Dark Wave-Genre usw. Ein Aspekt schien mir jedoch zu fehlen, und zwar zusätzlich zur Kritik und Alltagsflucht auch der Versuch, das hier und jetzt, also unsere Realität, oder die individuelle Umgebung jedes einzelnen Hörers, zu verändern. Dazu ist `positive thinking` nicht verkehrt. Mittlerweile gibt es viele Bücher über das Thema, sei es im Esoterik- oder im Psychologiebereich, sodass wir in der Tat dazu fähig sind, selbst zu schöpfen. Sprich: wer positiv denkt, verändert sein Umfeld positiv. Darum behandeln meine Texte beispielsweise eine Sichtweise, die Probleme als Freund beziehungsweise Helfer auffasst, um den Lebensweg zu ändern usw. Also quasi als `Wink des Schicksals`. Dazu die Aufforderung, Niederlagen mit erhobenem Haupte zu ertragen und immer wieder einen Neuanfang zu wagen. Denn es lohnt sich! Nur wer bereit ist, sich auf Abenteuer einzulassen, wird mit neuen bereichernden Erfahrungen belohnt. Mehr zum Thema positiv denken gibt es in der Multimediasektion der CD.“

Prinzipiell halten den esoterisch Veranlagten seine Texte musikalisch am Leben, nicht eine Erfolgsaussicht oder „leicht verdientes Geld“. Er offenbart: „Ganz im Gegenteil, ich gebe mehr für Musik aus, als ich einnehme. Wenn ich kurzzeitig denke `Jetzt hast du schon über zehn CDs gemacht und bist immer noch keinen Cent verdient`, dann kommt danach sofort `Aber du schreibst Texte, die den einen oder anderen Hörer bewegen`. Auch wenn sie nur 5% der Leute interessieren. Nichts ist schöner als Kommentare wie `Ich hab das Video angekuckt und zusammen mit der Message hat es mir Kraft für den Tag gegeben`, oder `Mit deinen Texten im Kopf sieht man die Welt ganz anders` usw. Das ist viel ermutigender als `Geile CD, Alter!`. Daher freue ich mich schon, wenn die Texte gelesen werden, aber unbedingt notwendig ist es natürlich nicht“, entströmt es ihm.

Eigentlich ist Hertrich kein großer Fan von Lyrik, Gedichten usw., wie er zugibt, aber diese abstrakte Form eignet sich seiner Meinung nach gut dazu, um eine klare, eventuell auch untypische, da positive, Message zu transformieren, ohne missionierend oder uncool zu wirken. „Das war eigentlich die große Herausforderung für Spi-Ritual – positive Texte in die `schwarze Welt des Gothic und Metal` loszulassen. Bisher hat es funktioniert. Ich interessiere mich sehr für Geschichte, Politik und Esoterik, und die letzten beiden Dinge fließen stark in die Texte mit ein. Ich bitte in diesem Kontext ausdrücklich darum, jetzt unter Esoterik nicht eine Wahrsagerkugel oder Tarot-Karten verstehen, denn solche Sachen haben damit überhaupt nichts zu tun.“

In Sachen kommende Live-Aktivitäten mit Spi-Ritual sieht es im Moment eher schlecht aus, da die beteiligten Musiker zu weit verstreut sind – Kolumbien, Russland, Deutschland – und sehr mit ihren Hauptbands beschäftigt sind. „Zumal Live-Spielen die Arbeit an einer CD einschränken kann. Denn wenn man darauf achten muss, dass alles gut live umsetzbar ist, ohne ein Playback-Massaker zu veranstalten, verliert die CD unter Umständen an Vielseitigkeit. Gerade im Ethno-Bereich wäre es schade, denn es gibt dort noch viel zu entdecken. Aber mal sehen, was die Zukunft bringt. Dead Can Dance beweisen ja, dass man Ethno-Einflüsse auch ohne Playback eindrucksvoll umsetzen kann.“

Eine besondere Live-Show würde ihn schon reizen. „Da gäbe es im Ethno-Bereich viele tolle Möglichkeiten in Punkto Kostümierung oder Bühnenobjekte. Rein persönlich stehe ich jedoch eher auf Bands, die mit Schlichtheit überzeugen. Beispielsweise Depeche Mode, Paradise Lost oder Dead Can Dance. Aber bei Ethno wäre die Versuchung zu groß; ich glaube da könnte ich mich nicht zurückhalten, was Bühnenobjekte betrifft. Aber in ein Kostüm kriegen mich keine sieben Pferde rein. Denn dann wäre ich nicht mehr ich selbst.“

Das aktuelle Jahr 2006 wird für ihn auf jeden Fall weiter im Zeichen von einer Kombination aus westlicher Kultur und Exotik stehen. „Entweder kommt ein volles Album zu Spi-Ritual oder meinem anderen Projekt Shiva In Exile heraus, welches eine Mischung aus Ethno und Gothic/Electro/Soundtrack ist. Oder wenn es ganz gut läuft, beide Projekte in 2006.“

Besonders interessant findet Hertrich zwei Arten von Hörern, die seine Musik konsumieren: „Einmal Leute, die sich angesprochen fühlen, da sie im esoterischen, ethnischen oder spirituellen Sektor etabliert sind und ich von ihnen durch Kontakt lernen könnte, und dann das andere Extrem: Leute, die damit gar nichts am Hut haben, aber dadurch Interesse an nicht-materiellen Themen bekommen.“

© Markus Eck, 28.01.2006

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