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Interview: TODTGELICHTER
Titel: Steter Tiefgang

Eine der eigenwilligsten und denkerischsten deutschen Dunkelstahltruppen an sich waren sie seit jeher. Und geistig offene Visionäre noch dazu, die sich nicht von musikalischen „Trends“ oder stilistischen Moden in ihrem Tun beeinflussen ließen.

Und auch mit ihrem neuen Überraschungsalbum „Angst“ beweisen Todtgelichter mutig, dass sie im Gegensatz zum Großteil der ach so modernen, massenmedial versklavten Gesellschaft eben alles andere als Ängste vor Weiterentwicklung haben.

Ja, dieser dritte Langspieler zeigt die Hamburger sogar von ihrer bislang originellsten Schaffensseite, was ihre neue wirklich enorm einfallsreiche Düsterplatte zum einen ebenso gehaltvollen wie auch dauerhaft interessanten Dreher macht. Nicht minder interessant verlief auch mein Interview-Dialog mit Trommelmann Tentakel Parkinson.

Seit dem letzten Album „Schemen“ aus dem Jahr 2007 tat sich so Einiges innerhalb der Band, wie in Erfahrung zu bringen war.

„Die am meisten einschneidende und am stärksten prägende Veränderung ist sicherlich der Weggang von Mort und der daraufhin komplett veränderte Gesang. Man hat uns schon zu „Schemen“-Zeiten gesagt, dass Mort’s Gesang der Hauptgrund sei, warum uns die Leute in die Black Metal-Schublade gesteckt haben, obwohl sich in der Musik schon Veränderungen abzeichneten, möchte ich meinen. Nils’ Stimme passt jetzt allerdings sehr viel besser zu den neuen Sachen. Weiterhin ist Marta, die ja seit dem Demo immer einen Beitrag hatte, nun fest ins Line-Up integriert und auch live mit unterwegs. Und zuletzt haben wir einen weiteren Zuwachs in der Todtgelichter-Sippe bekommen – Y, unser Layouter, dessen Input ungemein wertvoll und inspirierend – um nicht zu sagen essentiell – für „Angst“ war“, so der Schlagzeuger.

Todtgelichter waren seit jeher als nonkonforme Schwarzmetalltruppe bekannt. Wie sieht sich der Trupp denn gegenwärtig selbst? Tentakel konkretisiert:

„Wir sehen das eigentlich eher ganz locker, wenn die Leute Schubladen brauchen, um uns einzusortieren, bitte – aber als reine Black Metal-Band haben wir uns damals schon nicht gesehen. Wo wir auch bei dem veränderten Klanggewand wären, wir haben uns mit diesem Album sozusagen „frei gespielt“, haben gemacht, auf was wir Lust gehabt haben, ohne Erwartungen erfüllen zu müssen. Wir sehen uns heutzutage einfach als Extreme Metal-Band, wir finden es spannend, Extreme auszuloten, Kontraste hervorzuheben. So haben wir aktuell beispielsweise bewusst den brutalsten und teilweise schnellsten Song „Phobos & Deimos“ dem softesten und möglicherweise radiotauglichsten Song „Neon“ entgegengestellt.“

Hört man die neuen Songs, so staunt man als Kenner der Gruppe darüber, dass diese Platte sie teils von völlig neuen Seiten zeigt. Ich wollte wissen, wie dies entstand. Wir erfahren:

„Es ist weniger eine Frage, ob wir die alten Sachen satt hatten. Wir schauen ganz einfach nach vorne, wollen Neues ausprobieren. Wir möchten uns nicht kopieren, ebenso wenig, wie wir uns limitieren. „Schemen“ klang anders als „Was bleibt...“. „Angst“ hingegen ist nun wieder etwas Neues. Und auch das nächste Album, wenngleich natürlich im Moment noch nicht absehbar ist, was daraus wird, wird anders klingen. Aber es ist ja nicht so, dass es bei uns einen krassen Schnitt gab und wir auf einmal etwas völlig anderes machen. Vielmehr haben wir einen beständigen Kern, quasi unseren Stil, der sich in den Melodien und Harmonien von Frederic und Claudio manifestiert, und alles andere baut sich um diesen Kern herum auf. Auf diese Weise wird man uns immer erkennen können, auch wenn man bei jedem neuen Album auf alles gefasst sein sollte. Wir wollen uns selbst musikalisch immer wieder neu herausfordern und nicht still stehen.“

An das Songwriting wurde laut dem Drummer im Großen und Ganzen wie immer bislang heran gegangen:

„Der einzige Unterschied war, dass Claudio auf „Angst“ von Anfang an komplett integriert war. Bei „Schemen“ musste er sich noch an gewisse Vorgaben halten, obwohl er auch damals schon eine Menge eingebracht hat, nur war es halt so dass nach Felix´ Weggang schon ein paar Gerüste existierten, in die er sich einarbeiten musste. Auf „Angst“ gab es keine „Altlasten“, wenn du so willst. Und Claudio und Frederic harmonieren wirklich super miteinander, was man an den gegenläufigen Gitarrenmelodien auch hört, wie ich finde.“

Nachfolgend drehte sich das Gespräch darüber, wie sehr die Hamburger Dunkelmetaller bislang mit den Reaktionen von Fans und Medien zufrieden sind. Tentakel expliziert:

„Ich freue mich sehr, dass Code666 für die neue Scheibe gute Promotionsarbeit leisten und wir so ein spürbar gesteigertes Medieninteresse erfahren. Die Rezensionen sind bislang durchweg positiv bis überwältigend, wie es die Fans aufnehmen, weiß ich allerdings noch nicht, da bin ich sehr gespannt darauf. Während ich dies schreibe, befinden wir uns auf dem Weg nach Belgien zu dem letzten Gig unserer Mini-Tour mit Gorath und Eïs, gestern Abend haben wir in Erfurt gespielt und davor in Oberhausen. Auf beiden Gigs haben wir hauptsächlich neues Material zum Besten gegeben, und ich hatte das Gefühl, dass, obwohl die Menge schon etwas verdutzt ob des veränderten Stils war, unser Set sehr gut ankam. Die meisten Reviews weisen ja darauf hin, dass man sich auf Veränderungen gefasst machen sollte, daher mag es sein, dass der ein oder andere schon vorbereitet war.“

Er fügt an: „Es ist live natürlich immer schwerer für den Zuhörer, etwas zu beurteilen, was man noch gar nicht kennt, weiterhin ist das Album erst kürzlich erschienen und wir sind seitdem „on the road“, daher wird sich wahrscheinlich erst in den nächsten Tagen zeigen, was die Fans davon halten. Ich bin aber recht zuversichtlich, da ich denke, das „Angst“ sich nicht verstecken braucht.“ [grinst zufrieden]

Aufgenommen wurde „Angst“ wie immer bislang bei Eike Freese von Dark Age in den frisch umbenannten Hammer Studios, welche früher noch Eikey Studios hießen. Der Schlagzeuger erinnert sich:

„Eike hat sich mit Kai Hansen und Dirk Schlächter von Gamma Ray zusammengetan, daher der neue Name. Ansonsten blieb alles beim Alten, die Zusammenarbeit mit Eike war wie immer sehr inspirierend – wir haben in lockerer Atmosphäre, aber sehr zielgerichtet und konzentriert an „Angst“ gearbeitet, Eike war in diesen Tagen das sechste Mitglied von Todtgelichter. Anders funktioniert das auch nicht, wir brauchen jemanden, der uns versteht und der nicht nur weiß, wo wir mit einem Album hinwollen, sondern sich auch selber kreativ mit einbringt. Und Eike ist niemand, der sich mit Standardjobs zufrieden gibt, er lässt sich jedes Mal völlig neu auf eine Band ein. Wir haben, gerade was die Gitarren angeht, sehr viel experimentiert und alles von null aufgebaut, Tabula rasa gemacht – das ist auch der Grund, warum „Angst“ so anders klingt; es gab keine Pre-Sets oder Standardsounds, dafür aber sehr viel Kreativität und Enthusiasmus.“

Mehr noch: „Eike hat auch ein Händchen dafür, verborgene Talente aus einem herauszukitzeln und nicht nur alles zu geben, was man dachte zu können, sondern darüber hinaus noch mehr. Wenn man also die Chance hat, mit ihm zu arbeiten, sollte man diese dringend nutzen. Er kann locker mit internationalen Top-Produzenten mithalten, ich denke, der Sound auf „Angst“ (oder auch auf der „Acedia“ von Dark Age und der „Panzer Metal“ von Negator) spricht dafür.“

Wie er im Anschluss daran eindeutig offenbart, ist Gevatter Tentakel auch gegenwärtig noch immer mit aller Passion und Hingabe am Werk. So platzt es aus ihm heraus:

„Selbstverständlich, was für eine Frage! Du machst dir keine Vorstellung davon, wie viel Arbeit in „Angst“ steckt, wenn ich da keine Leidenschaft dafür gehabt hätte, hätte ich alles schon mindestens dreimal hingeschmissen. Dieses Album ist unser „Titanic“, unser „Ulysses“. [lacht] Aber ernsthaft, ich habe neulich irgendwo als Interviewantwort von Galder im Bezug auf die neueste Old Man´s Child-Scheibe gelesen, dass ihm das Album davor irgendwie besser gefallen würde – so was kann ich überhaupt nicht verstehen. Ich denke, wenn man nicht davon überzeugt ist, mit dem aktuellen Album sein bestes Werk bis dato abgeliefert zu haben, kann man es auch gleich bleiben lassen, da sich diese Lustlosigkeit auch auf die Musik überträgt. Wir werden jedenfalls weiter danach streben, uns mit jedem Album zu überbieten.“

Wir gingen im Weiteren über zu all die abstoßenden Perversionen, den unglaublichen Abscheulichkeiten und dem ganzen Wahnsinn an sich, welcher mittlerweile über unzählige mediale Kanäle in die weitgehend verkümmerten Gehirne der Menschheit getrichtert wird. Ich stellte die Behauptung auf, dass Todtgelichter mit ihrer neuen Veröffentlichung diese Thematik probat spiegeln. Der Drummer geht in die Tiefe:

„Teilweise richtig. Dieser Teil von „Angst“ wird konkret in „Phobos & Deimos“ behandelt: „Tropft Gift in die Äther / Spuckt Furcht aus den Bildschirmen“. Ich sehe es genauso, die Massenmedien sind geschickte Manipulationsmöglichkeiten und Menschen lassen sich durch Angst ruhig stellen. Ich weiß nicht, ob du beispielsweise die bitterböse Satire „Wag The Dog“ mit Dustin Hoffman und Robert de Niro gesehen hast, da geht es genau darum: Es wird mit einem erfundenen Krieg in einem erfundenen Land eine Medienblase aufgebaut, um letztendlich den Präsidenten durch den Umgang mit der Krise gut dastehen zu lassen und einen Skandal zu vertuschen. Und die Leute glauben es, weil es ja im Fernsehen läuft. Die totale Kontrolle der Volksmeinung durch eine erfundene, aufgebauschte Geschichte. Wirklich guter Film. Ich kann mir gut vorstellen, dass so etwas funktionieren könnte, traurig aber wahr.“

Meister Tentakel ergänzt hierzu noch: „Letztendlich bilden die verschiedenen Facetten der Angst, die wir in Texten abhandeln, aber nicht nur diesen medialen Aspekt ab. Wenn man mal von Urinstinkten, die Angst hervorrufen, absieht, entstehen viele Ängste durch die Art und Weise, in der Menschen heutzutage leben, durch die immer engeren Lebensräume, durch immer größer werdende Anonymisierung bei gleichzeitiger Zunahme von Scheinidentitäten, wie man sie sich beispielsweise bei World Of Warcraft oder Facebook erstellen kann. Ich denke, dass das zu Konflikten führen kann (nicht muss), die dann beispielsweise Angst vor Einsamkeit, vor einer unsicheren Zukunft oder schlicht vor der eigenen Bedeutungslosigkeit hervorrufen. Stelle dir vor, du nimmst den Leuten von heute auf morgen das Internet – alle meine Facebook-Freunde weg, oh mein Gott. Und dann sitzt du da allein in deinem Zimmer. Wirst erschlagen von der Masse von Menschen um dich herum, die du alle nicht kennst. Und bekommst Angst, Unsicherheit, schlimmstenfalls Depressionen. Im Grunde führt alles darauf zurück, dass der Mensch Gewohnheit braucht, und dieses „Gewohnte“ ist eben nicht so sicher, wie wir uns das alle vielleicht wünschen. Perfekter Nährboden für Ängste...“

Tentakel selbst glaubt entgegen meiner im Anschluss aufgestellten Behauptung nicht, dass die Welt immer irrer wird, wie sich nachfolgend herausstellte:

„Ich glaube, dass der Mensch sich über Jahrhunderte nicht großartig verändert hat. Nur die Möglichkeiten haben sich radikal geändert, und durch die neuen Medien wie Fernsehen, Radio oder eben Internet bekommt man sehr viel stärker diesen Wahnsinn mit, der wahrscheinlich schon immer irgendwie vorgeherrscht hat. Hätte es sagen wir mal zu Zeiten Napoleons bereits Fernsehen gegeben, hätte man sicherlich schon damals Berichte über Plünderungen, Vergewaltigungen und Morde durch Besatzungstruppen mitbekommen, wie es die Amerikaner beispielsweise in My Lai verbrochen haben; ich glaube, dass der Mensch in Extremsituationen schon immer zu allem fähig war. Nur heute ist bei praktisch allem, was passiert, eine Kamera oder mindestens ein Handy nicht weit und der Vorfall eine Stunde später auf YouTube zu sehen. Wohin soll das führen? Vielleicht entsteht daraus sogar etwas Positives, wer weiß?“

Da man, so der Drummer, heutzutage durch diese Faktoren eben kaum noch mit irgendetwas ungeschoren davonkommt, weil immer mindestens einer mit dem Handy mitfilmt, könnte es Täter zwingen, sich mit ihren Taten auseinanderzusetzen, in einem ganz anderen Maße als noch vor beispielsweise 30 Jahren:

„Was auf keinen Fall heißen soll, dass ich einen Überwachungsstaat gutheißen würde; aber ich glaube, dass diese Faktoren dazu führen könnten, dass in nicht allzu ferner Zukunft ein Umdenken nötig wird. Und hoffe im Stillen, dass vielleicht doch etwas Gutes aus diesem Umdenken entstehen könnte. Die ganzen neuen Segnungen der Technik und auch die neuen Medien an sich sind ja nicht das Schlimme. Das Schlimme ist, wie immer eigentlich, der Missbrauch, der damit getrieben wird; was ich für die eigentliche Natur des Menschen halte. Nur was beispielsweise Manager und Bankchefs für einen Missbrauch mit ihrer Macht betreiben, wird in letzter Zeit immer öfter bloßgestellt; mit vielem, was die Leute früher jahrelang im Verborgenen machen konnten, kommen sie heute nicht mehr ohne Weiteres durch. Deshalb hoffe ich auf dieses „Umdenken“.“

Apropos, worauf freut sich der Schlagwerker denn, wenn er an 2011 denkt? „Hauptsächlich darauf, mit „Angst“ im Gepäck ein wenig herumzuziehen und das Album zu präsentieren. Ansonsten habe ich keine großartigen Pläne, lasse alles entspannt auf mich zukommen. Wenn man keine großen Erwartungen hat, kann man auch nicht enttäuscht werden. [lacht] Irgendwelche Überraschungen hält das Leben doch immer für einen bereit.“

© Markus Eck, 22.12.2010

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