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Interview: VAN CANTO
Titel: Gehörig gesungene Gitarren

Wenn die fünf metallischsten Stimmen des Universums sich mit einem neuen Album zurückmelden, dann gibt es wie stets bislang vielfach überraschende Höchstleistungen im Kehlenbereich zu erleben.

So auch auf „Dawn Of The Brave“, dem mittlerweile bereits fünften Langdreher des ungemein oktavenstarken Ensembles mitsamt Drummer Bastian Emig. Und Van Canto bleiben ihrem einzigartigen A Cappella Metal-Stil nicht nur gänzlich treu, sondern sie erstaunen das geneigte Ohr auch im aktuellen Falle mit einer pompösen Vielzahl an impulsiv umgesetzten Stimmband-Architekturen.

Konstanter Ideenfluss
Stefan „Stef“ Schmidt, bei Van Canto zuständig für „Lower Rakkatakka“- und „Wahwah Solo Guitar Vocals“, zeigt sich auch im aktuellen Dialog voller Begeisterung für das eigene Schaffen.

„Wir hatten durchaus band-intern am Anfang Überlegungen, dass man mit Van Canto ein oder zwei Alben machen kann, einem dann aber nix mehr einfällt. Aber dann kam es ganz anders und so richtig los ging es mit dem Zuspruch und den sehr gut besuchten Touren ja erst nach dem dritten Album ,Tribe Of Force‘. Und uns fällt immer wieder was ein. Bei uns stimmt eben die Chemie. Wir haben uns schon immer bemüht, das Line-Up der Band stabil zu halten, um letztlich auch die ganzen damit verbundenen, schönen Ereignisse gemeinsam erleben zu können.“

Von vielem noch mehr
Natürlich haben Van Canto einen einmaligen Sound, so Stef, sodass jeder, der hinhört, sofort sagen kann, dass es Van Canto ist.

„Aber innerhalb unserer Bandbreite haben wir uns für die neue Veröffentlichung schon nochmals bewegt, schnellere Songs geschrieben, symphonischer arrangiert und Chöre mit 200 Van Canto-Fans aufgenommen. Und die Soundqualität ist natürlich durch den Mix von Ronald Prent nochmals eine Liga höher.“

Auch „Dawn Of The Brave“ beinhaltet so manches faszinierende Gesangduell.

Üben die Verursacher eigentlich auch oft gemeinsam, um ihre wunderbaren, mehrstimmigen Vorträge hinzukriegen? Stef:

„Wir proben ehrlich gesagt relativ selten. Da wir aber während der Albumproduktion intensiv an den Gesangarrangements arbeiten, ist das die halbe Miete, was die Vorbereitung für Konzerte angeht. Wenn man einen Song beim Aufnehmen 20-mal gesungen hat, dann kennt man seinen Part“, entfährt es ihm lachend.

Von Selbstwertgefühl durchzogen

Das Schreiben des neuen Albums gerierte sich in etwa auch so ein bisschen wie ein Zurückziehen und eine Konzentration auf die sechs Musiker in der Band.

„Wir haben die ganzen äußeren Faktoren ausgeblendet und waren ja auch während der Produktion fast nicht auf Tour, was bei den letzten Alben immer anders war. Was den Titel der Scheibe angeht: Wir wollten etwas betont Heroisches dafür verwenden. Wir finden sowieso, dass wir ein sehr mutiges Album aufgenommen haben. Dabei wurde ein einmaliger Sound erschaffen. Wer kann das schon von sich behaupten? Und dadurch, dass wir immer mal wieder einen großen Hit covern, merkt man, dass die eigenen Kompositionen so schlecht nicht sein können, wenn sie mit diesen Hits mithalten können.“

Den Großteil des Songwritings zur neuen Veröffentlichung hat er im kreativen Alleingang absolviert, so Stef im Weiteren.

„Bei ‚My Utopia‘ hat Bastian mitgeschrieben, bei ‚Unholy‘ Ike.“

Auf Echtheit bedacht
Neben der Tatsache, dass Van Canto erneut alle zu hörenden Gitarren singen, hebt sich die neue Musik laut persönlicher Meinung von Stef auch aktuell vor allem durch die Herangehensweise aus der Masse an melodischen Metal-Bands heraus.

„Wir haben auch diesmal einfach alles ,echt‘ gemacht. Man hört keine 0815-Triggersounds wie auf 99 % der aktuellen Metal-Produktionen, sondern nur die original gespielten Drums. Keine Keyboards und gesampelte Orchester, die alle etwaigen Schwächen einer Komposition einfach mit Sound zukleistern, sondern nur gesungene Stimmen. Die Musik hat Dynamik, und klingt menschlich.“

Und Van Canto sind inzwischen ja sowieso schon fast routiniert, was das Produzieren angeht, so der Mann.

„Das Spannendste war für mich der Mix mit Ronald Prent. Es ist grundlegend schon etwas Besonderes, so jemandem über die Schulter schauen zu können. Und wenn es dann noch die eigene Musik ist, die man beim Mischen hört, ist es einfach perfekt.“

Dreht es sich um das ewig reizvolle Thema „Helden“, so sind doch die allermeisten der Repräsentanten dieser ehrenwert tapferen Gattung seit einigen Dekaden nur noch aus der „Traumfabrik Hollywood“ zu verzeichnen.

Dass reale Heroenseelen und insbesondere ihre Taten dadurch hinsichtlich Beachtung vielfach das Nachsehen haben, lässt den thematischen Kontext umso denkwürdiger erscheinen.

Van Canto jedenfalls haben sich nach ihrem letzten Werk „Break The Silence“ einmal mehr umfassend damit beschäftigt und heraus kam das neue Album „Dawn Of The Brave“.

Darauf präsentiert sich das Vokal-Quintett um Lead-Sängerin Inga Scharf und Drummer Bastian Emig von der bislang reifsten und gesanglich vielfältigsten Seite: Ein beeindruckend imposant angelegter A capella-Vortrag über 13 Stücke, welcher den klassisch-epischen Schwermetall-Stil auf unbändig leidenschaftliche Art und Weise zu zitieren versteht.

Gezielt vermittelte Illusion
„Dawn Of The Brave“ klingt als Titel ganz betont heroisch.

Sehen sich die Van Canto-Vokalisten denn selbst auch als Helden im eigens erfundenen Genre?

Stefan ,Stef‘ Schmidt, bei der Truppe für tiefere „Rakkatakka“-Vokalisierungen und „Wah-Wah-Sologitarren“-Gesangsbeiträge zuständig, legt dazu dar:

„Zumindest ist es unser Ziel, dass sich der Hörer wie ein Held fühlt. Wir nennen unsere Musik ja selbst ,Hero Metal A Cappella‘, und da lag es einfach nahe, mal ein Superheldenkonzept durchzuziehen. Bei ,Dawn Of The Brave‘ geht das vom Titel über Artwork und Fotos bis hin zu den gewählten Covern und natürlich dem Gesamtsound.“

Noch immer einzigartig
Wir sprechen nachfolgend darüber, ob es mittlerweile - löbliches - Feedback von anderen A capella-Formationen gab, welche auf die vielstimmige Kunst des Ensembles aufmerksam wurden. Stef winkt diesbezüglich wieder mal ab:

„Viel weniger als gedacht, ehrlich gesagt. Wir haben auf zwei oder drei Festivals gespielt, die ,vokale Musik‘ als Thema hatten, aber dort waren wir dann genau die gleichen Exoten wie wir die Exoten sind, wenn wir auf einem Metalfestival spielen. Wir sind nunmal persönlich im Metal verwurzelt, auch durch die Bands, in denen wir vor Van Canto aktiv waren.“

Den epischen Soundtrack eines Films oder eines entsprechenden Theaterstücks zu kreieren, daran hat der Mann laut eigenem Bekunden tatsächlich schön öfter gedacht, wie er offenbart.

„Ja klar! Welcher Komponist träumt nicht davon, sich auch als Filmmusiker zu betätigen? Wir haben ja mit unserem ,Peer Returns‘ ein Van Canto-eigenes Nebenprojekt, das als größeres Werk angelegt ist, basierend auf Peer Gynt. Bisher hat es hier ,nur‘ zum zehnminütigen Eröffnungsstück gereicht, auch, weil sich ein großes Hamburger Theater nach einer selbst initiierten Spielplanwahl nachträglich geweigert hat mit uns als Gewinner dieser Wahl zusammen zu arbeiten. Egal. Wir hatten danach mit der Produktion zu ,Dawn Of The Brave‘ genug zu tun, und wer weiß, welche Möglichkeiten sich noch auftun.“

Freundschaftlich aufgestellt
Im Weiteren gezielt darauf angesprochen, was für ihn das Allerwichtigste beim Musikmachen mit Van Canto ist, kommt von dem Kehlenakrobaten eine blitzschnelle Antwort:

„Für mich persönlich ist es das Komponieren und die Tatsache, dass meine besten Freunde in der Band sind und wir somit regelmäßig einen Grund haben uns zu sehen und gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen.“

Auch der aktuelle musikalische Mix vereint große epische Schübe, schwelgerischen Sinn für (klangliche) Schönheit und aufwändigste Stimmbandartistiken vom Feinsten.

Konnte man sich im beständigen Sängerclub namens Van Canto nach den bereits sehr aufwändig gemachten und enorm facettenreich besungenen Vorgängerwerken denn überhaupt noch verbessern, Stef?

„Wir hatten erstens mal viel mehr Zeit für die Produktion, konnten uns somit auch den Details im gebotenen Maße widmen. Dann hat natürlich der Mix von Ronald Prent einiges zur Entwicklung beigetragen, auch weil wir uns während der Aufnahme wirklich an die Decke gestreckt haben um beim Mix das bestmögliche Material am Start zu haben. Und insgesamt merkt man der neuen Platte an, dass wir uns Mühe gegeben haben, dass kein Song abfällt oder nicht in die Gesamtwirkung der Platte passt.“

Ermutigung zu mehr Selbstwertgefühl
Und so drehen sich die Texte der einzelnen neuen Songs laut Statement des Sängers wie immer bei der Gruppe um den Glauben an die eigenen Fähigkeiten und die innere Stärke. „Es ist ein Mut-mach-Album“, so Stef.

In Sachen Coverversionen fanden auf das aktuelle Langspielwerk „The Final Countdown“ von Europe, „Holding Out For A Hero“ von Bonnie Tyler und „Paranoid“ von Black Sabbath ihren Weg.

„Auch haben wir uns des ,Herr der Ringe‘-Soundtracks ,Into The West‘ angenommen. Generell gilt diesbezüglich: Zunächst mal müssen uns die Originale gefallen. Dann müssen speziell die Leadsänger einen guten Bezug zu den Songs haben, schließlich messen sie sich in diesem Fall mit Größen wie Joey Tempest oder Annie Lennox und da muss man dann schon überzeugt singen können, um mitzuhalten. Und dann war es uns wichtig, dass die Songs ins Albumkonzept passen, was speziell bei ,Holding Out For A Hero‘ super funktioniert hat.“

Festhalten am Grundsätzlichen
Den Leuten, die der Band genau das kritisierend vorhalten, also zu covern anstatt mehr eigene Songs zu präsentieren, müssen Van Canto gar nicht immer etwas entgegnen, wie Stef klarstellt.

„Wir haben insgesamt mehr als dreimal so viele eigene Songs wie Coverversionen veröffentlicht und die Cover gehören halt zur Bandidee dazu.“

Als der Dialog zu Metal-Bands überwechselt, die ihn in Sachen Innovation, Originalität und Können begeistern können, äußert sich der Musikus mit glänzenden Augen.

„Ja, vor allem im Progressive Metal-Bereich. Ich finde es insgesamt schade, dass das Können am Instrument weniger wichtig geworden ist, weil man produktionstechnisch so viel machen kann und jedes Album mit Dosen-Orchester und Synthie-Chören zugeballert wird, die dann live vom Band kommen. Bei Van Canto kann ich 100 % überzeugt behaupten, dass jeder unserer Sänger in 99 % der anderen Metalbands Leadsänger sein könnte. Und dass wir gleichzeitig noch einen aussergewöhnlichen Drummer haben, der die Schläge, die man auf Platte hört auch alle selbst gespielt hat. Ein Metal-Album mit mehreren schnellen Doublebass-Songs, in denen kein einziger Schlag getriggert wurde, muss man ja fast schon mit der Lupe suchen.“

Es gibt jedoch noch immer viele tolle Sänger für ihn im Metal-Bereich, wie Stef ergänzend feststellt.

„Wenn ich da jetzt welche nenne, vergesse ich andere. Der Beste meiner Meinung nach ist Eric Adams. Wenn ich einen Tag so singen könnte wie er, würde ich 24 Stunden durchsingen und hätte für den Rest meines Lebens genug Material zum Veröffentlichen“, platzt es unter einem Lachen heraus.

Da liegt noch die bestimmte Frage nahe, mit welchem berühmten (Metal)Vokalisten einer wie Stef gerne mal auf der Bühne ein Duett singen möchte.

„Vor allem mit denen, die wir gecovert haben. Ein Auftritt mit Joey Tempest, Hansi Kürsch, Tarja Turunen und Joakim Broden wäre doch sehenswert, oder?“

Pflege der eigenen Stimme
Längeres Touren, vor allem flankierend zu einem neuen Van Canto-Album, das stellt sich der Laie als sehr anstrengend für die Stimmbänder der Beteiligten vor.

„Nein, ernsthafte Schäden haben meine Stimmbänder bislang nicht erlitten. Natürlich sind wir nach fünf Gigs am Stück auch mal durch. Aber deswegen planen wir die Touren so, dass wir immer mal wieder längere Pausen haben. Wir sind keine Band die 28 Gigs in 30 Tagen abreissen kann.“

Und Kamillentee ist ganz schlecht als als Pflegemittel für seine Stimme, wie er wissen lässt. „Keine Ahnung, woher dieser sehr populäre Tip kommt. Aber Kamille trocknet eher aus, und bei Überlastung geht es eher darum, die Stimmbänder zu ,befeuchten‘. Also am besten viel Wasser trinken und Bonbons lutschen. Und Glück haben.“

© Markus Eck, 07.01.2014

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