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Interview: EDENBRIDGE
Titel: Konstante Individualität

Dass die österreichischen Melodic Metal-Ästheten ihre spirituelle Ader mit den Jahren mehr und mehr in der Musik zum Tragen kamen ließen, wurde von den Fans positiv aufgenommen.

Nun gingen Multiinstrumentalist Arne ‚Lanvall’ Stockhammer und Sängerin Sabine Edelsbacher noch einen Schritt weiter und potenzierten die (schön)geistige Ebenen in den Kompositionen des neuen Albums mit dem ambivalenten Titel „Dynamind“.

Mit der - auch symphonisch - vielfältig instrumentierten Veröffentlichung macht die 1998 gegründete Formation den Zehner an Langdrehern voll, was bei Edenbridge nicht nur für Beständigkeit steht, sondern auch 2019 für stete Weiterentwicklung.

Auf seine Formel angesprochen, die Edenbridge ausmacht, und ob er eventuell ein erlesenes Erfolgsrezept hütet, antwortet Lanvall in aller Offenheit:

„Ich glaube, dass wir uns in erster Linie immer der Musik verpflichtet sehen. Wir haben niemals rechts und links geschaut, was gerade angesagt ist, sondern immer kompromisslos unsere Linie durchgezogen. Und uns dabei auch immer weiterentwickelt, ohne unseren eigentlichen Stil komplett zu verlassen.“

Und das hat sich gelohnt. Schließlich zählen Edenbridge zu den relativ wenigen Überlebenden, viel mehr noch zu den wenigen echten Gewinnern der Anfang bis Mitte der 1990er hochgeschwappten Symphonic Metal-Welle. Was die Selbstsicht zur Positionierung in der weltweiten Genreszene angeht, da zeigt sich auch Sabine ganz locker.

„Sollten wir uns in der ‚Female Metal‘-Schublade befinden, geht das für mich auch ganz in Ordnung, aber wir würden sie dann gerne erweitern. Ich möchte nämlich nicht, dass wir nur über mich als Sängerin definiert werden. Der Stil einer Musik sollte nicht von Frauen- oder Männerstimme abhängen. Leider gibt es im Moment im Metal noch zu wenig unterschiedliche Frauenstimmen. In der Wahrnehmung kommt oft noch alles in einen Topf, wo eine Sängerin vorne steht. Das finde ich schon sehr seltsam. Aber im Grunde ist es auch egal. Was jemandem gefällt oder nicht gefällt, darauf haben wir ohnehin keinen Einfluss. Unsere Fans wissen, dass wir nie einem Trend gefolgt sind - sondern immer unser Ding durchgezogen haben. Ich bin sicher, dass das auch ein Grund ist warum es uns heute noch gibt.“

Wie sie weiter berichtet, ist der neue Albumtitel ein Wortspiel aus dem Sprengstoff ‚Dynamit‘ und dem englischen Begriff ‚Mind‘. „Dynamit, ja, das steht auch für die Dynamik, die für uns auf der Erde momentan spürbar ist, und das zweite involvierte Wort steht für den menschlichen Geist. Der Geist, den jeder Einzelne ins große Ganze mit einbringt und der in weiterer Folge auch wieder rückgekoppelt wird aus dem kollektiven Bewusstsein. Dynamisch bewegt sich die Menschheit zwischen den Polaritäten und wir Menschen schlagen uns, so scheint es, immer mehr auf eine Seite. Glauben zu wissen was gut und schlecht ist, urteilen oft viel zu schnell zwischen richtig und falsch. Da ist der Verstand der die Oberhand gewinnt. Wenn er sich nicht für Hintergründiges und für das Wesen der anderen Seite beziehungsweise Meinung interessiert ist er gefährlich. Es braucht die Verbindung von Herz und Verstand, das Miteinbeziehen der anderen Seite und nicht das Trennende. Dort wo sich diese Polaritäten verbinden, kann wirkliche geistige Entwicklung stattfinden und das ist dann ‚Dynamind‘. Der heilige Gral auf dem Frontcover steht übrigens in diesem Zusammenhang als Synonym für innere Weisheit aus der Verbindung von Herz und Verstand.“

Dem entgegen scheint bei nicht wenigen Zeitgenossen das exzessive Beschäftigen mit sozialen Medien zu wirken, obwohl originär gegenteilig gedacht.

Lanvall nickt mit ernster Miene: „Der Stress nimmt leider immer mehr zu. Und das liegt leider auch vermehrt an ebenjenen sozialen Medien, an denen man als Künstler leider nicht vorbei kommt. Und diese unterstützen die grassierende Oberflächlichkeit natürlich noch mehr.“

Auch Sabine findet das sehr seltsam, so sagt sie.

„Denn einerseits schätzt man diese Entwicklung auch; man bräuchte ja ansonsten nicht alles mitzumachen. Andererseits verliert man sich ganz schnell im Außen. Die Zeit scheint zu rasen wenn mein Gehirn mit zu viel Information beschäftigt ist; Oberflächlichkeiten sind da gar nicht mein Problem, im Gegenteil! [lacht] Ganz anders ist es, wenn ich mich stimmlich vorbereite und meine Körperübungen mache. Da bleibe ich mit der Wahrnehmung bei mir und es erfüllt mich mit Energie. Beim digitalen ‚Irgendwohin-abdriften‘ geht diese ganz schnell flöten. Wie bei allem geht es darum, die richtige Balance zu finden. Zum Glück bin ich mit meiner Wahrnehmung so geschult, dass ich merke, wann Schluss sein sollte.“

Die Medienergebnisse als auch der Empfang des Vorgängeralbums „The Great Momentum“ bei den Anhängern der Band waren laut Lanvall durch die Bank großartig. Dann winkt er lakonisch ab: „Ich muss aber ehrlich sagen, dass mich die Kritiken der Presse nach 25 Jahren in der Musikbranche nicht mehr so tangieren, wie noch zu Anfangszeiten, wenn ich mir teilweise so anhöre, was da alles hochgejubelt wird.“

Sabine merkt dazu aufmerksam an: „Ganz generell gesagt: über Geschmack lässt sich streiten und die Hörgewohnheiten von Menschen sind höchst unterschiedlich. Ich glaube es ist oft keine Frage von Qualität, sondern man trifft zufällig den Zeitgeist oder eben nicht. Ich kann mich nicht an Negativ-Feedback nach ‚The Great Momentum‘ erinnern. Es gibt aber schon auch immer wieder Fans, die alte Songs oder die frühen Alben von uns bevorzugen - und dann wieder jene, welche eben erst mit letzteren dazugekommen sind. Da das so unterschiedlich ist, kann man daraus nicht wirklich etwas ableiten. Das ist ja aber auch gut so und zeigt unsere Bandbreite, mit der wir eben schlecht in eine Schublade passen.“

Edenbridge beeinflussen sich selbst einfach am besten, könnte man leicht behaupten.

Lanvall gesteht, immer weniger Zeit zu haben, um sich mit anderer Musik auseinandersetzten zu können, weil er mit der eigenen permanent beschäftigt ist, wie er es formuliert.

„Und das bezieht sich ja nicht nur auf Edenbridge, sondern auch auf die Filmmusik, die ich schreibe. Und heuer kam auch noch ein symphonisches Auftragswerk zustande, das nächstes Jahr mit 300 Musikern auf der Bühne uraufgeführt wird. Die Musik ist bereits fertig, im Herbst arbeite ich an der Orchesterpartitur. Man nehme am besten die Schnittmenge aus Anton Bruckner, Vangelis, Ennio Morricone, Dream Theater, Threshold und Abba, dann hat man ungefähr die Eckpfeiler dafür.“

Auch erwähnenswertes Neues in der aktuellen Musik von Edenbridge gegenüber den Album-Vorgängern gibt es durchaus, so ist weiter zu erfahren. Lanvall: „‚On The Other Side‘, unsere zweite Single, ist beispielsweise ein Song, den es in der Form noch nie bei uns gab. Die beiden irischen Hauptthemen in ‚On The Other Side‘ fand ich auf einem Zettel, auf dem ich damals Ideen für unser drittes Album ‚Aphelion‘ notiert hatte - und das ist bereits 17 Jahre her. Jetzt hatten sie sich wieder aufgedrängt und bei einem Waldspaziergang komponierte sich der Song dann fast wie von selbst. Manchmal brauchen gewisse Ideen einfach Zeit. Der Opener ‚The Memory Hunter‘ zeigt uns härtetechnisch von einer neuen Seite. Interessant ist sicher auch der Mittelteil von ‚The Last Of His Kind‘. Es war sehr interessant mit einem gleichbleibenden Ton zu arbeiten, der den Herzschlag der Erde symbolisiert, bei denen sich die Akkorde darunter ändern. Noch dazu ist es eine interessante Mischung aus 7/4- und 9/4-Takt. Und auch ‚Tauerngold‘ ist eine sehr ungewöhnliche Nummer, eine bombastische Halbballade mit doomigem Mittelpart.“

Die aktuell vollzogene Band-Kooperation lief wunderbar, berichtet Lanvall. „Speziell unser Drummer Johannes hat mittlerweile das komplette Artwork übernommen, da er in seinem Hauptberuf 3D Designer ist, was natürlich enorm hilft. Sabine hatte die Idee zum Cover mit dem Kelch und dem Gewölbe und Johannes hat das dann fantastisch umgesetzt.“


Sabine ergänzt: „Wir sind ein eingespieltes Team und jeder bringt sich gerne ein. Man könnte es als harmonisch bezeichnen, aber jeder ist auch schwer beschäftigt. Lanvall ist Meister der Koordination. Dennoch sind die zeitigen Abgabetermine häufige Stressoren.“

Lanvall begann relativ bald nach dem Release des letzten Albums „The Great Momentum“ mit dem Ideensammeln und dem Ausarbeiten derselbigen.

„Dann kam es im Sommer 2017 etwas ins Stocken. Das ist meistens ein Zeichen besser zu pausieren und mit frischem Elan wieder an die Sache heranzugehen. Das passierte dann auch im Herbst 2017 - und so kam ich dann in den richtigen Flow um das Songwriting voranzutreiben. Alles in allem dauerte der Songwriting- und Arrangierprozess 18 Monate, mit Pausen natürlich. Bei mir sind Frühling und Herbst meistens die beste Zeit fürs Songwriting. Sommer und Winter wiederum sind perfekt zum Inspirationen holen - in den Bergen beim Skifahren und Wandern oder im Sommer am Meer.“

Normalerweise kommen alle Songs, an denen er arbeitet, letztlich auch auf das jeweilige Album, so offenbart Lanvall. „Nur in den seltensten Fällen beginne ich mit einem Song und bleibe dann irgendwo mitten drinnen stehen. Das ist ein klares Indiz, dass der Song nicht gut genug ist. Insofern vollende ich den dann auch nicht. Im Songwriting beziehungsweise Arrangiermodus höre ich die Songs wirklich tausende Male. Wenn da auch nur irgendein kleines Detail nicht funktioniert oder mich nach so langer Zeit nicht mehr flasht, dann ist was faul.“

Die Edenbridge-Songs 'The Last Of His Kind’, 'The Grand Design’ und ‚Myearthdream' thematisieren in einer Art 'symbolischer Trilogie' den unverantwortlichen Umgang mit der Erde kritisch. Lanvall wird daher gefragt, worum es genau im aktuellen Lied 'The Last Of His Kind‘ geht - etwa den letzten Menschen?


„Nein, der Mensch ist sowieso eine aussterbende Art, er scheint es nur noch nicht zu wissen. Andernfalls würde er nicht in seiner grenzenlosen Dummheit alles vernichten, denn die Natur kann ohne Menschen überleben, der Mensch aber nicht ohne die Natur. Es dreht sich dabei natürlich um das katastrophale Ausmaß des Artensterbens in der Tierwelt auf unserem Planeten aufgrund von Gier und dem stetigen Streben nach Wirtschaftswachstum und Globalisierung.“

Apropos, eigentlich dürfte Übermutter Erde bei der immensen Vielzahl an Umweltschutz- und Tierschutz-Organisationen doch mittlerweile gar nicht mehr so arg geschändet werden. Alljährlich aufs Neue fließen schließlich viele Milliarden an Spenden etc. etc.

Doch die Menschheit scheint es schlimmer denn je zu treiben mit Natur und Tier. Die Menschheit? Oder doch viel eher die mächtigen Eliten und Lobbyisten, die alles zu ihren Gunsten steuern und verschleiern?


Lanvall kommentiert dazu: „Wir alle tragen dazu bei, weil fast überall auf der Welt auf ‚Pump‘ gelebt wird, sei es, was die Ausbeutung der Natur betrifft oder was das Zinseszins-System der Banken betrifft. Nur dadurch kann es überhaupt Wirtschaftswachstum geben. Das funktioniert aber nicht ewig, deswegen kommt es ja alle 70 Jahre zum Kollaps des Finanzsystems. Und dann fängt der Kreislauf wieder von vorne an. Wir sind in der irrigen Annahme, dass wir, wenn wir alle fünf Jahre wählen gehen, irgendetwas verändern. Letztendlich sind es dann aber nur andere Marionetten, die dann an den Fäden der Waffen-, Pharma- und Bankenindustrie zappeln.“


Sabine fügt an: „Wenn die vielen Spenden nur immer dort landen würden wofür sie gedacht sind. Grundsätzlich sollte es ohne Spenden funktionieren beziehungsweise wäre Hilfe zur Selbsthilfe vorzuziehen. Die Ausbeutung hat aber leider System und der ist mit keiner Spende beizukommen.“

Das nachfolgende Gespräch behandelt sonstige lyrischen Inhalte der neuen Scheibe, und Lanvall erzählt: „Einige Songs befassen sich auch auf unterschiedliche Weise mit dem Thema ‚Erinnerung‘. ‚The Memory Hunter‘, ‚All Our Yesterdays‘ und ‚Live And Let Go‘ beispielsweise. Ich denke, wenn man am Ende seines Lebens steht, zählt nichts mehr wie Besitztümer oder dergleichen, sondern nurmehr wie intensiv man gelebt hat und was man erlebt hat.“


Die Idee zu dem Song mit dem ungewöhnlichen Titel ‚Tauerngold‘ hatten wir bei einem Kurzurlaub in einem sehr ursprünglichen Ort namens Rauris in den Salzburger Tauern. Dort wurden bis zum 15. Jahrhundert 10 % des weltweiten Goldes geschürft. Es wird vermutet, dass aber noch 80 % in den Bergen schlummert. Dies brachte einen amerikanischen Konzern auf die Idee, es mit hochgiftigen Chemikalien aus dem Berg zu holen und so wurden der regionalen Bevölkerung an die 500 Arbeitsplätze versprochen. Dies hätte das Tal für immer zerstört. Die Bevölkerung hat sich letztendlich weise dagegen entschieden und so ist ‚Tauerngold‘ ein Synonym für das wahre Gold, nämlich die nahezu unberührte Natur.“

Gibt es Songtexte, die den beiden auf ihrem neuesten Werk immer wieder ganz besonders unter die Haut gehen?

„Also, mir auf jeden Fall ‚The Last Of His Kind‘, wahrscheinlich der beste Text, den ich bisher zur Papier brachte, auch weil mir das Thema so unter den Fingernägeln brannte“, lässt Lanvall wissen.


Sabine: „Für mich ist es die beschriebene Thematik um ‚Dynamind‘. In heiligen Schriften steht ja beschrieben, dass ein vergleichsweise kleiner Prozentsatz an Menschen notwendig ist um einen konstruktiven Bewusstseinswandel zu erreichen. Ich warte und hoffe immer noch darauf.“

Sein stärkster Antrieb, um Edenbridge-Musik zu machen, ist nach wie vor die Musik an sich, proklamiert Lanvall. „Es ist das ständige Forschen nach neuen aufregenden Akkordfolgen, spannenden Modulationen. Einfach Neuland zu betreten und zu erforschen.“ Sabine nickt: „Ja genau, das Sich-neu-zu-entdecken und die eigene Weiterentwicklung, ohne sich zu verdrehen.“

Auf „Dynamind“ sind abermalig die instrumentellen Versionen der Kompositionen beigefügt. Laut Aussage von Lanvall hat das bei Edenbridge ja auch schon Tradition. „Da wir das bei den beiden Vorgängeralben gemacht haben und auch die Re-Releases der ersten fünf Alben damit von uns ausgestattet wurden. Viele Fans nehmen das auch dankbar an, da musikalisch doch sehr viel passiert und man das natürlich noch genauer entdecken kann, wenn mal kein Gesang zu hören ist. Zudem werden die Instrumentalversionen regelmäßig bei den Formel 1-Übertragungen des ORF im Vorspann eingesetzt, was mich als totaler F1-Fan natürlich umso mehr freut. Als der Nachruf auf Niki Lauda mit einer sechsminütigen Zusammenfassung seiner 25 Siege lief, die nur von den Motorgeräuschen und unserer Musik unterlegt war, hatte ich echt Tränen in den Augen.“

Zwischen Ende September und Anfang Oktober sind Edenbridge zum zweiten Mal in China auf Tour, verkündet Lanvall: „Wir werden dort neben den drei Clubshows auf einem Festival in Nanjing als Co-Headliner auftreten. Letztes Jahr waren dort 70.000 Besucher. Nächstes Jahr gehen wir dann im April mit unseren österreichischen Kollegen Visions Of Atlantis auf Europatour.“

Lanvall wünscht sich für die Zukunft von Edenbridge primär, dass die Musik weiter fließt, sagt er. „Dazu braucht es natürlich auch immer wieder Pausen dazwischen, um die Akkus aufzuladen und um neue Inspiration zu bekommen. Und natürlich will ich weiterhin viel live spielen, um damit auch neue Länder zu bereisen.“


Sabine: „Wir freuen uns schon darauf, neue und alte Songs auf die Bühne zu bringen und sind überzeugt, dass eine Menge Lieder vom neuen Album live richtig gut abgehen werden. Ansonsten freuen wir uns, alte Fans wieder zu sehen und hoffentlich auch jede Menge neue dazu zu gewinnen.“

© Markus Eck, 06.10.2019

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