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Interview: EISBRECHER
Titel: Erlesene Echtheit

Wenn Mr. Cool an sich, Alexander „Alexx“ Wesselsky zum Interview gebeten wird, gibt es bekanntlich einzig Klartext, darauf sollte man gründlich vorbereitet sein. So hält sich der kehlen- und wortstarke Eismann auch diesmal wieder alles andere als zurück, wenn es darum geht, die neue Veröffentlichung gesprächig auf Zielkurs zu bringen. Schließlich gibt es eine inhaltsreiche Jubiläums-Werkschau: „Es bleibt kalt°! (2003-2023)“. 


Ganze zwei Dekaden auf dem coolen Buckel - da gerät selbst einer wie Alexx für eine Millisekunde ins andächtige Sinnieren. Doch dann platzt es auch schon impulsiv raus: „Kinder, wie die Zeit vergeht. Hurra, wir leben noch! Wir haben auf das Beste gehofft und mit dem Schlimmsten gerechnet! Im Ernst: Wenn man Musik macht - und wenn man es blutig ernst meinst, davon seinen Lebensunterhalt bestreiten zu wollen - dann macht man einfach und geht voran … Schritt für Schritt, Meter um Meter … wie beim Bergwandern. Konstant voran und - ganz wichtig: No Fear!“



20 Jahre beinhalten verdammt viele Monate und erst recht massiv Wochen, Tage, Stunden.

Die Frage, ob er je, vor allem im Strudel situativer, starker Zweifel ans komplette Aufhören in Sachen eigene Musik gedacht hat, lässt ihn erwartungsgemäß kalt.

„Zählt man die Megaherz-Jahre ab 1992/1993 dazu, dann bringe ich es auf stolze 30 Jahre Überlebenskampf im Musikgeschäft. Mein Dreissigjähriger-Krieg. Ich habe nach fast zehn Jahren mit Megaherz aufgehört, da ich 2002 keinerlei Lust mehr hatte, unter den vorherrschenden zwischenmenschlichen und vor allem geschäftlichen Umständen, weiterzumachen. Wenn ich an das Aufhören denke, dann tue ich das auch. Dann ist man schon so weit weg, dass man es auch durchziehen sollte. Mit Eisbrecher bin ich an diesem Punkt noch nicht angelangt, trotz aller Härten und Prüfungen. Deswegen feiern wir mit ‚Es bleibt kalt‘ unseren 20-ten Geburtstag. Das haben wir geschafft, diesen Weg sind wir gegangen. Und es kann gerne noch ‚kalt‘ bleiben.“ [grinst]



Entsinnt sich der Meister der lässigen Performance auf gezielte Anfrage hin des eisbrecherischen Jahres 2003, so denkt er am liebsten stets an alles was mit Live-Musik zu tun hat, wie er Einblick gewährt. „Deswegen mache ich das. Deswegen spiele ich in einer Band. Ich bin der Live-Mann, die Bühne erfüllt mich mit Leben und lässt mich Leben geben. Pix ist der Studiomann. Er blüht auf, wenn er sich mit den Sounds und Songs einigeln kann und dabei neue musikalische Wege findet. Ich die Rampensau, er der Produktions- und Studio-Kopf … das macht den besonderen Eisbrecher-Mix wohl aus. Obwohl wir so unterschiedlich sind, haben wir inzwischen 20 Jahre gemeistert. Deswegen feiern wir seit 2018 alle fünf Jahre Jubiläum mit allem was dazu gehört - mit Tour, Album, Interviews und einer Menge Spass.“



Viel, sehr viel, allzu viel hat sich seit damals in der (Musik)Welt getan, nicht immer alles zum Besten, aber auch einiges doch in die richtige Richtung. Alexx verkündet die kritisch resümierende Wesselsky-Bilanz: „Ich bin ein Live-Mensch, ein Bühnen-Tier. Das versöhnt mich mit dem Menschsein, das gleicht mich aus. Ich kann und will nicht ohne. Wer meine Texte seit Anbeginn verfolgt, der erkennt mühelos, welche Sicht ich auf die Welt habe und wie sehr ich mit der ‚Krone der Schöpfung‘ hadere - letztlich auch mit mir selbst, als Vertreter dieser durchgeknallten Spezies. Ich liebe das Leben, aber ich sehe schon sehr lange sehr schwarz. Die Welt wie ich sie sehe, kommentiere ich seit Jahrzehnten; das Musikgeschäft war schon immer ätzend und wird es wohl auch immer bleiben. Am Ende braucht man Talent und Glück und Stehvermögen. Man muss idealistisch bleiben können, obwohl man die Dinge um sich herum immer realistischer sieht - und letztlich sehen muss, um nicht unter die Räder zu kommen. Das ist eine spannende, Nerven zerfetzende Beschäftigung. Ich persönlich halte es für mich einfach und oldschool: Ich kaufe Tickets - manchmal werde ich eingeladen -, ich kaufe Merch, ich kaufe Vinyl - vor allem alt und original - und CDs, denn ich lege als DJ ausschliesslich CDs auf. Also alles so, wie ich es einst zu schätzen gelernt habe. Ich kaufe auch Magazine und Printmedien aller Art, die sich mit Musik befassen. Das heisst im Umkehrschluss: Ich bin nicht bei Spotify und Co. unterwegs, ich streame nicht und ich downloade nicht - und ich war noch nie auf einer Online-Tauschbörse á la ‚Napster‘. Ich empfinde die permanente Aufmerksamkeits-Hascherei auf Facebook und Instagram nur noch als anstrengend und schalte mich meist auch hier ab. Ich mache das Nötigste und akzeptiere, dass es ganz ohne (a)soziale Medien wohl nicht geht … aber ich bin einfach zu alt für den Scheiss und halte es vor allem für Zeitverschwendung. Die Plattenindustrie und die Tech-Giganten hingegen freuen sich: Sie machen das fette Geld - und unten kommt nichts mehr an. Aber: Das Business war schon immer knallhart und fies. Nur eben anders. Kapitalismus ist kein Kuscheltier.“



Die logisch nachfolgende Fragestellung, wie sehr er sich selbst als Künstler, als (musikalischer) Charakter sowie als Mensch an sich seit damals verändert hat, lässt die Augen des Frontmanns zu regelrecht durchbohrenden Fixpunkten werden.

„Ich wurde einfach nur schöner, besser und reifer. Das sagen zumindest alle, wenn ich mit dem Eispickel vor ihnen stehe und sie frage, wie ich mich verändert habe. Das höre ich gern und nehme es an. Ich bin aber auch kein bisschen ruhiger und gelassener geworden. In mir kocht eine ordentliche Wut … und das tut gut!“



Der Dialog zur Entwicklung der musikalischen Zusammenarbeit mit Noel Pix über die Jahre von anfänglichem, gegenseitigen Kennenlernen und Erfahrungen sammeln bis hin zur heutigen, kreativ unzertrennlichen Dualroutine in der Kooperation - Alexx bringt dabei eine Tatsache fokussiert auf den Punkt:

„Wir sind ein perfekt eingespieltes Team. Jeder weiss, was er am anderen hat und der ‚PixAlex-Motor‘ läuft und läuft. So ist es. Das trifft es!“


Von Anfang an also ein dynamisches (Erfolgs)Duo - da muss ja dann auch heute noch eine ganz spezielle, künstlerische Formel verwendet werden, werden sich so einige Leser denken. Nicht viele halten es schließlich - stilistisch, zwischenmenschlich, etc. - so lange so eng verzahnt miteinander aus. Quirlige Blitzantwort:

„Korrekt! Menschlich sind wir zwei so unterschiedlich, dass wir ab und an auf unsere zarte Beziehung Acht geben müssen. Aber das gilt für jede Beziehung, da bilden wir keine Ausnahme. Eine heißkalte Leidenschaft, die manchmal Leiden schafft. Das ist wiederum der Stoff aus dem die Träume und Kreativkreationen sind. Ohne Schmerz geht in der Kunst nichts.“



Der Autor gönnt sich die Freiheit der nicht ganz ernst gemeinten Frage, was Pix wohl nach all der gemeinsam durchgestandenen und wirklich beachtlich gut gemeisterten Zeit über seinen Frostbruder nach acht eiskalten Bieren an Bord sagen würde. Alex lacht herzlich: „Das muss man ihn selbst fragen. Er trinkt nicht … das macht die Sache heikel!“



Und was Alexx über seinen Kompagnon in so einem euphorischen Zustand mit lallender Zunge verlauten lassen würde, sagt er uns hier sehr gerne: „Er ist und bleibt einer der besten seiner Zunft.“ 


Ihrem Debütalbum haben Eisbrecher damals noch CD-Rohlinge mit Kopier-Aufforderung beigelegt, eine originelle Idee - der Sänger blickt dorthin zurück:

„Die Aktion hat damals niemanden groß interessiert - und so haben wir früh beschlossen, dass es zwar gute Ideen und Themen gibt, aber man braucht eben auch Leute, die das mitbekommen. Damals kannte uns niemand - das Debütalbum steht fast immer irgendwo allein im ewigen Eis und ruft: ‚Ich bin da!‘ ins Nichts. Und Jahre später hatte sich die Welt schon dahingehend geändert, dass jeder sein eigener Star ist, somit fast rund um die Uhr mit sich und seiner Selbstdarstellung beschäftigt ist und die schon immer kurze Aufmerksamkeits- und Aufnahmefähigkeit sich in Richtung 30 Sekunden entwickelt hat. Wir machen einfach unser Ding für diejenigen, die es interessiert. Und es gibt zum Glück einige!“



Das kommende Doppelalbum „Es bleibt kalt°! (2003-2023)“: Für die Band wäre die Liederauswahl eher knifflig gewesen - eine Mutter liebt ja schließlich alle ihre Kinder. Alexx berichtet weiter im Kontext, dass die Auswahl der aktuell enthaltenen Songs ohnehin von höherer Warte aus getroffen wurde.

„Das hat sich vor allem unsere Plattenfirma Sony Music zurechtgerückt. Wir haben nur darauf geachtet, dass das Ganze so schön wie möglich wird. Das Artworking hat mir dahingehend Freude gemacht, weil ich gerne artworke. In alten Fotokisten wühlen und ein Cover zu entwerfen, das liebe ich einfach. Vor allem, während wir gerade auf Europa-Tour waren!“

Mt dem Endergebnis ist der unbeirrbare Charakterkopf jedenfalls im Reinen. „Man kann die Scheibe getrost erwerben, man kann es auch lassen. Als Sammler und Fan würde ich zugreifen; als Jemand, der neu auf Eisbrecher gestossen ist, auch - um mir einen ersten Einblick zu verschaffen. Jeder kann, keiner muss.“



2016 wurden Eisbrecher während eines Konzertes im Münchner Zenith erstmals für „Die Hölle muss warten“ und „Schock“ mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet - die Erwähnung setzt augenblicklich glänzende Erinnerungen an dieses erfreuliche Ereignis im auftrittsstarken Kahlkopf frei.

„Eine Goldene Schallplatte ist die einzige offizielle Auszeichnung die für uns noch etwas zählt. Früher war die Nummer eins in den Charts wichtig oder wenigstens in den Top Ten. Das ist komplett gegessen. Die Chartsperformance interessiert heute niemanden mehr und sagt auch rein gar nichts mehr aus. Tricksen und Täuschen und ab in die Top Ten, so läuft das. Gold ist und bleibt wertstabil. Zum Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Die Goldauszeichnung hängt wunderschön an der Wand im Wohnzimmer und beweist, dass man zum Klub der ‚100.000 Alben plus‘ gehört. Man spielt - oder spielte - in der Champions-League mit. Die Goldene hat für uns einen wahren Wert. Wenn sie auch noch richtig aus Gold wäre, dann wäre es noch ‚schönererererer‘. Aber wenn das Wörtchen wenn nicht wär’. [grinst] Die Zenith-Show damals schloss unsere 2016er ‚Schock-Ära‘ ab. Es war eine Sensation, die Goldenen vor so vielen Fans überreicht zu bekommen. Zum Glück war unser Bandtherapeut Dr. Dirty Dietz dabei - wir brauchten ihn wirklich, vor allem ich“, lässt Alexx dazu breit und anhaltend grinsend verlauten.

Der neue Song „Wir sind Gold“ - den gab es bislang nur auf einer speziellen Promo-CD und der US-Version von „Sturmfahrt“, zudem war er bis dato digital unveröffentlicht. Alexx zu Lied und Songtext:

„Wir sind wie wir sind und bleiben uns treu. Wir lassen uns nicht verbiegen, werden auch in Zukunft nicht vor Strandkörben, Autos und Briefkästen auftreten, egal was kommt und hoffentlich einen vernünftigen Weg finden, das Digitale mit dem Wahren und Echten - nämlich dem Gefühl, wenn echte Menschen in echten Räumen aufeinander treffen und echte Energie erzeugen - zu verknüpfen. Wir biedern uns nicht an und müssen nicht um jeden Preis bei allem mitmachen, was gerade heiß und modern ist. Und nur weil es alle anderen machen, wird es noch lange nicht zum Gesetz oder gut oder richtig. Dinge anders zu machen als andere, darin liegt der Reiz. Und man darf auch mal die Klappe halten, wenn alle den Mund aufreißen und dann etwas sagen, wenn alle meinen schweigen zu müssen.“



So geht es ihm und Pix musikalisch nach wie vor mit Eisbrecher darum, mit ihrer Musik Menschen zusammenbringen. „Brücken bauen. Gräben zuschütten. Wir wollen das Eis brechen. Und so wie wir das sehen, gehen uns die Themen so schnell auch nicht aus. Wir haben eine Menge Arbeit vor uns. Packen wir’s an!“



Als bewährt erprobtes Kapitänsduo der etablierten Formation hat die beständige Zweimann-Bruderschaft die leidige Covid-Zeit wie viele andere zähneknirschend hinnehmen müssen - jedoch den Kopf auf der Brücke nie auch nur einen Zentimeter hängen lassen.

„Wir haben nicht eine Note geschrieben in der Covid-Scheisszeit. Wozu auch? Für wen? Wann? Wo? Live-Kultur wurde als ‚systemunrelevant‘ abgeschrieben. ‚Stay the Fuck home‘? Wir haben die zwei Alben fertig produziert und veröffentlicht. Das war’s. Und dann haben wir gesehen, dass nichts passiert, wenn Alben nicht live live auf die Bretter gebracht werden können, dass sich keine Songs als neue Live-Granaten etablieren können etc. Für mich als Bühnenmensch machen Studioarbeit und Live-Shows nur gemeinsam Sinn. Wir haben gewartet, beobachtet und ganze drei (!) Mal - ergo drei Jahre - unsere Europa-Tour und unsere Deutschland-Tour verschoben. Wir haben auf den Moment gewartet, wo die Angst weit genug weg und die Lebenslust endlich wieder nah genug da war. Dann haben wir zugepackt. Und alle wurden belohnt - die Fans, die Band, die Crew, einfach alle! Nein, wir haben diese Covid-Zeit nicht gemeistert, da hat niemand irgend etwas gemeistert; wir haben es einfach nur durchgestanden und jetzt müssen wir sehen was die Zukunft bringt. Denn: Nichts ist mehr wie es vorher war. Geht auf Konzerte und trefft Menschen! Es lohnt sich! Wir müssen wieder zur Nähe zurück, sonst landen wir mit Abstand in der miesesten aller Zukünfte!“ 


© Markus Eck, 01.08.2023

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