Top
Interview: ELLENDE
Titel: Vitalisierende Intimität

Als instrumenteller Tausendsassa macht der ergiebig eigensinnige Grazer Musikus Lukas Gosch seit so einigen Jahren auf sich aufmerksam - wobei Erfolg und Interesse an seiner Post-Black-Metal-Combo Ellende kontinuierlich oszillierend simultan anwachsen.

Das sechste Album wurde „Zerfall“ betitelt - und L.G., wie er sich mitsamt Vocals im Line-Up nennt, hat mit seinem getreuen Trommler Paul Färber alias P.F. erneut ganze Sache gemacht. 


„Die Schaffensphase für dieses Album war besonders hart. Ich musste öfter pausieren, weil es, wenn auch subtil verpackt, hauptsächlich um den Tod meines Bruders geht. Gleichzeitig hat mir das gezeigt, wie unwichtig vieles ist und dass das Leben, trotz allem, weitergeht.“

„Zerfall“ ist ein auf vielen Ebenen überraschendes, dabei stets hörenswertes Werk voller intensiver, überaus berührender bis gar massiv aufwühlender Momente.

Der Meister nickt. „Ich denke, wir haben mit diesem Album eine neue Ebene erreicht. Das heißt nicht, dass ich meine alten Alben verschmähe. Man entwickelt sich weiter, verändert sich, und mir wurde immer klarer, was wichtig ist. Ich stehe zu allen Veröffentlichungen. Sie sind Zeitabschnitte, die ihre Berechtigung haben.“

Somit zum 2024er Vorgängeralbum „Todbringerin“ befragt, wird stoisch postuliert: „Ich höre da sehr unterschiedliche Eindrücke. Manche kamen erst später zu Ellende und mögen nur die neueren Sachen, andere die älteren. Manche sind seit Anfang an dabei und ‚mitgewachsen‘. Ich freue mich über den Austausch, aber das hat keinen Einfluss auf mein Schaffen. Es muss mir gefallen und authentisch sein. Alles andere ‚is ma wurst‘, wie man bei uns sagt.“

Sinniert man darüber, dass der Akteur aus der Landeshauptstadt der malerischen Steiermark beachtlich versiert an Gitarre, Bass, Schlagzeug, Klavier/Synths, Samples, Ambience, etc. bei Ellende wirkt, gerät man unweigerlich ins anerkennend-respektvolle Staunen - und fragt sich, wie musikalisch ein künstlerischer Geist eigentlich sein kann. 


Er selbst vergleicht das gerne mit seinem Beruf, wie er überraschend offenbart.

„Ich bin Architekt, also jemand, der vieles kann, aber nichts herausragend gut. Aber Spaß beiseite: All das zu lernen und fürs Songwriting einzusetzen, folgt einer starken intrinsischen Motivation. Kunst und Musik verbrauchen keine Energie, sie geben sie mir. Es ist das Einzige, was mir hilft, dieses Mysterium Leben und Universum etwas besser zu verstehen. Es treibt mich an, und ich entdecke seit meiner Kindheit immer wieder unberührtes Terrain.“

Hart, inbrünstig, fies, krass, intensiv, extrem, zart, verspielt, liebevoll, poetisch, sehnsüchtig … trotz aller Variation und Vielschichtigkeit im Songwriting hört sich auf „Zerfall“ alles wie aus einem Guss an - und das auch, obwohl die Entstehung diesmal ja besonders schwierig werden sollte.

„Es geht ja eben nicht nur um Zerfall, sondern auch um Wiederaufbau. Ellende behandelt nicht nur Negativität, sondern auch Hoffnung, Rebellion und Zusammenhalt. Ich habe das alles beim Schreiben mit durchgemacht und versucht alles so zu verpacken, dass es koexistieren kann und ein Werk ergibt.“

Selbstwahrnehmung, Gesellschaftskritik, Sinnsuche, Weltschmerz, psychisches Unwohlsein, innere Abgründe etc. – definitiv ein anhaltend inspirierendes wie auch (zwischen)menschlich läuterndes Komplexthema für den - schonungslos - philosophierenden Geist L.G., welches beim Songtexten erneut viel hergab. 


„Ja, diese Themen hängen alle zusammen. Viele sind überrascht, wie pragmatisch ich privat bin. Ich bin sogar oft allergisch gegen zu viel Geschwafel. In Ellende habe ich Raum, Fragen zu stellen, auf die es vielleicht keine Antworten gibt. Aber ehrlich gesagt frage ich mich, wer heute noch nicht erkannt hat, dass sich die Menschheit trotz aller Fortschritte seit Jahrzehnten in die falsche Richtung entwickelt.“

Paul betrommelt die neuen Stücke wieder mal mit aller „vertraulichen“ Hingabe , wie zu hören ist, und dokumentiert damit eine hervorragende Eingespieltheit.

„Paul hat, neben dem, dass er ein hervorragender Schlagzeuger ist, die Fähigkeit zu verstehen, was der Song wirklich braucht. Grundsätzlich schreibe ich das Schlagzeug, aber er gibt immer noch fünf bis zehn Prozent ‚P.F.-Geilheit‘ dazu. Es gibt viele Metal-Drummer, die einfach nur schnell blasten können, aber wo bleibt da der Groove? Bei Paul muss man nicht suchen - was er spielt hat Hand und Fuß.“

Zur Kooperation mit Firtans Violinistin Klara Bachmair für die Komposition „Zeitenwende Teil I“ lässt der aufgeweckte Freigeist wissen:

„Ich hatte immer Pech mit Streichern. Die guten wollten im Metalbereich nicht live spielen und waren außerdem zu teuer. Die, die spielen wollten, waren live eher … na ja. Klara spielt traumhaft und ist mit Firtan direkt im Black Metal unterwegs, mit viel Bühnen- und auch Studioerfahrung. Nach dem Feature bei Firtan ist mir erst aufgefallen, dass die Zusammenarbeit auf der Hand liegt. Wir würden das gerne ausbauen und haben dafür bereits etwas Konkretes geplant.“

Peter Mairhofer von Norikum hingegen steuert in „Zeitenwende Teil II“ ein feines Gitarrensolo bei.

„Ich schätze Peter sehr, als Mensch und als Musiker. Wir haben alle etwa zur selben Zeit angefangen, als ich noch meine Death-Metal-Band in der Schule hatte. Daraus entstanden enge Freundschaften. Peter war der Kopf hinter dem Songwriting bei Norikum, sehr bescheiden und zurückhaltend. Die Zusammenarbeit lag für mich auf der Hand, und ich war froh, dass er begeistert zugesagt hat. Seine Hingabe und sein Spiel sprechen für sich.“

In Markus Stocks Klangschmiede Studio E wurde für „Zerfall" gemeinsam gewerkelt und gefeilt - und das Ganze ging laut L.G. zügig vonstatten.

„Weil wir nur Schlagzeug, Gesang und Akustikgitarre im Studio aufnehmen und alles perfekt vorbereiten. Meistens buchen wir vier oder fünf Tage und sind nach dreieinhalb fertig. Markus schafft es, die richtige Atmosphäre einzufangen, ohne dass das Album überproduziert wirkt, was mich bei vielen Metal-Releases stört. Die Sessions sind effizient, und die Zusammenarbeit ist immer angenehm und respektvoll. Ich freue mich jedes Mal aufs Studio, und ich denke, Paul geht es genauso.“

Das Artwork des Albums ist dermaßen penetrant, also eindringlich im wahrsten Sinne des Wortes, dass man einfach nicht wegschauen kann, ob es einem nun gefällt oder nicht.

Was wohl die visuellen bzw. symbolischen Intentionen und Absichten dahinter sind? Eine Art Spinne, die direkt aus dem Hirn in diese Welt kommt - jemand „spinnt“ bspw. also, könnte man dazu denken.

„Sehr gut, so soll es sein. Ich habe oft intensive Träume. Wenn ich immer wüsste, was sie bedeuten, wäre das Leben ja langweilig. Das Gemälde ist eine solcher Eingebungen, die ich umsetzen wollte. Bei Ellende war das bisher bei jedem Artwork so. Keine Grenzen zu haben ist ein Geschenk. Aber viele Ellende-Hörer können oft besser beschreiben, was sie darin sehen, als ich selbst.“

© Markus Eck, 15.12.2025

Photo Credit: Julian Jauk

[ zur Übersicht ]

All copyrights for image material are held by the respective owners.

Advertising

+++